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Die Erfassung und Nutzung der Kompetenzen von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern durch Betriebe, zusammengefasst unter dem Begriff „Kompetenzmanagement“, wird im Rahmen repräsentativ angelegter empirischer Studien über betriebliche Strategien zur Deckung des Qualifikationsbedarfs weitgehend vernachlässigt. 

Betriebliches Kompetenzmanagement

Die Personalarbeit wird auf Kompetenzen im Unterschied zu Qualifikationen ausgerichtet. Dazu dienen betriebsspezifische Kompetenzmodelle. Das Management von Kompetenzen umfasst die Planung, Realisierung und Kontrolle des Kompetenzerwerbs. Die Grundlage dafür sind Messungen der Kompetenzen im Sinne einer Ist-Erfassung, von denen die Differenzen zu einem Soll-Zustand (Kompetenzmodell) abgeleitet werden. Entsprechend schließen Kompetenzentwicklungsmaßnahmen daran an. In Unternehmen mit einem entwickelten Kompetenzmanagementsystem sind idealerweise alle Planungen und Abstimmungsprozesse an das strategische Management gebunden. Die relevanten betrieblichen Handlungsfelder (1) Aus- und Weiterbildung, (2) die Schaffung passender Rahmenbedingungen zum Lernen in der Arbeit, (3) die betrieblichen Entwicklungs- und Karrierewege und (4) die Personalrekrutierung werden prospektiv kompetenzorientiert aufeinander abgestimmt. 

Trotz ausführlicher konzeptioneller Vorarbeiten und Vorschlägen zur Operationalisierung (vgl. z. B. Dietzen 2005; North/Reinhardt 2005; Grote u. a. 2012; North u. a. 2018) werden vor allem Einzelfallstudien in ausgewählten Großbetrieben und Unternehmen sowie Befragungen von Experten und Expertinnen durchgeführt (vgl. Molzberger 2018; Schenk/Reinhardt 2003; Schenk/Schnauffer/Voigt 2005; Kiesenbauer 2018, 2020). Seit einiger Zeit zeichnet sich aber ein wachsendes Interesse an verallgemeinerbaren Erkenntnissen ab, da von den Betrieben selbst Kompetenzmanagement als wichtiges Element des betrieblichen Human Resource Managements angesehen wird und als zentrales Handlungsfeld an Bedeutung gewinnt. Entsprechende betriebliche Strategien und Praktiken, die vor allem ein Lernen in der Arbeit ermöglichen und gestalten, werden neben den klassischen Formen zur Deckung des betrieblichen Qualifikationsbedarfs wie Aus- und Weiterbildung oder die Rekrutierung von Fachkräften als neue Institution in Betrieben und Unternehmen als erforderlich angesehen.

Um diese Informationslücke empirisch zu schließen, wurde im Rahmen einer Betriebsbefragung im Jahr 2018 untersucht, wie der aktuelle Stand des Kompetenzmanagements ausfällt und in welcher Art und Weise Betriebe und Unternehmen dieses Instrument zur Qualifikationsbedarfsdeckung nutzen. 

BIBB-Qualifizierungspanel

Das BIBB-Betriebspanel zu Qualifizierung und Kompetenzentwicklung ist eine jährliche Befragung, mit der repräsentative Längs- und Querschnittdaten zum betrieblichen Qualifizierungsgeschehen in Deutschland erhoben werden. Die betrieblichen Angaben werden über laptopgestützte persönlich-mündliche Interviews (CAPI) und optional über internetgestützte Interviews (CAWI) erhoben. 

Weiterführende Informationen zur Konzeption des BIBB-Qualifizierungspanels und aktuelle Informationen sind unter www.qualifizierungspanel.de abrufbar. 

Abgefragt wurde der Grad der Institutionalisierung des betrieblichen Kompetenzmanagements und damit die Standardisierung in der Erfassung und Nutzung von Kompetenzen. Dabei sollte möglichst das gesamte Spektrum an generellen Möglichkeiten erfasst werden, in welcher Weise Kompetenzen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter berücksichtigt werden, das Kompetenzmanagement betrieblich verankert ist und bei der Deckung des Qualifikationsbedarfs genutzt wird. Betriebe wurden daher über verschiedene Antwortvorgaben gefragt, ob in Ihrem Betrieb die Kompetenzen der Beschäftigten grundsätzlich erfasst werden, darüber hinaus dokumentiert und letztendlich für Personaleinsatzstrategien berücksichtigt werden. Es wurde einleitend darauf hingewiesen, dass als Kompetenzen von Beschäftigten neben fachlichem Wissen und Fertigkeiten auch soziale, methodische, personale und kommunikative Fähigkeiten zu verstehen sind und deren Berücksichtigung als Kompetenzmanagement bezeichnet wird.

Im Ergebnis berücksichtigt mit 53,1% zwar die Mehrheit der befragten Betriebe und Unternehmen die Kompetenzen ihrer Beschäftigten, dies allerdings in einer Weise, bei der betriebsintern weder systematisch noch dokumentatorisch vorgegangen wird Tabelle C4.3-1. Es werden aber in dieser Betriebsgruppe die verschiedenen Kompetenzendimensionen der Beschäftigten mit 21,0% berücksichtigt, mit 3,7% ein Abgleich zwischen der erforderlichen und den vorhandenen Kompetenzen durchgeführt und mit 21,1% beides berücksichtigt. Betriebe mit einem systematischen Vorgehen, das die Erfassung und Dokumentation einschließt, kommen auf knapp 10% aller befragten Betriebe und Unternehmen. Hier praktiziert die Mehrheit der Betriebe mit 6,1% einen integrierten Ansatz und gleicht unter Berücksichtigung der Mehrdimensionalität von Kompetenzen den Soll- und Ist-Zustand miteinander ab. Gut über ein Drittel aller Betriebe gibt mit 37,2% an, kein Kompetenzmanagement in der abgefragten Art und Weise zu praktizieren. 

Weiteren Aufschluss über diese Ergebnisse kann über eine Strukturanalyse der befragten Betriebe erreicht werden. Ausgewählt als Strukturmerkmale wurden hierfür die Betriebsgröße und die Zugehörigkeit zu einem Wirtschaftsbereich Tabelle C4.3-2. Entsprechend der Vermutung, dass mit zunehmender Betriebsgröße auch der Grad der Institutionalisierung des Kompetenzmanagements einhergeht, während bei abnehmender Betriebsgröße eher ein Verzicht auf die systematische Erfassung und Nutzung der Kompetenzen vorliegt, stellt mit durchschnittlich 53,1% die Betriebsgruppe mit einem im Betrieb nicht fest verankerten Kompetenzmanagement dennoch die jeweils größte Gruppe dar. Die Analysen zeigen weiterhin, dass nur das verarbeitende Gewerbe sowie medizinische und pflegerische Dienstleistungen beim Anteil an Betrieben, die in systematischer Weise Kompetenzen ihrer Beschäftigten nutzen, deutlich über dem Durchschnitt liegen. Demgegenüber finden sich überdurchschnittlich hohe Anteile an Betrieben ohne ausgewiesenes Kompetenzmanagement in der Land- und Forstwirtschaft, in der Bauwirtschaft und im Bereich der überwiegend persönlichen Dienstleistungen.

An den vorliegenden Ergebnissen lässt sich die derzeit noch immer starke Heterogenität in der Einführung und Nutzung des Kompetenzmanagements als Instrument der Qualifikationsbedarfsdeckung ablesen. Damit nimmt das Kompetenzmanagement aktuell für die Mehrzahl der Betriebe und Unternehmen den in der Literatur als „Proto-Institution“ bezeichneten Status ein (vgl. Lawrence 2002).

Tabelle C4.3-1: Institutionalisierungsgrad des betrieblichen Kompetenzmanagements (in %)

Tabelle C4.3-2: Ausgewählte Strukturmerkmale von Betrieben und Unternehmen mit unterschiedlichem Institutionalisierungsgrad des Kompetenzmanagements (in %)

Welche Folgen sich durch die Einführung neuer Praktiken, Regeln, Verfahren und Technologien in betrieblichen Institutionalisierungsprozessen für andere institutionalisierte Strategien und Praktiken zur Deckung des betrieblichen Qualifikationsbedarfs ergeben, lässt sich an den folgenden Analysen ablesen. 

In der Gesamtbetrachtung ergibt sich ein starker Zusammenhang zwischen den verschiedenen Handlungsfeldern zur Deckung des betrieblichen Qualifikationsbedarfs Tabelle C4.3-3:

Je stärker das Kompetenzmanagement institutionell im Betrieb verankert ist, 

  • desto höher fällt die Beteiligung der Betriebe  an der beruflichen Ausbildung Jugendlicher und junger Erwachsener aus,
  • desto höher fällt der Anteil an Betrieben mit Weiterbildung aus, ungeachtet, ob es sich um kursförmige, informelle Weiterbildung der Beschäftigten oder um Aufstiegsfortbildungen handelt, und 
  • desto höher fällt der Bedarf der Betriebe an qualifizierten und hoch qualifizierten Arbeitskräften bei nachlassendem Bedarf an Arbeitskräften für einfache Tätigkeiten aus. 

An den Ergebnissen lässt sich auch feststellen, dass Qualifizierungsmöglichkeiten für Beschäftigte mit einfacheren Tätigkeiten immer deutlich unter denen von qualifizierten Beschäftigten liegen. Auch die digitale Infrastruktur der befragten Betriebe als eine der betrieblichen Möglichkeiten, fehlende Qualifikationen der Beschäftigten ersetzen zu können oder bei Fachkräftemangel digitale Technologien alternativ zu nutzen (vgl. Zentralverband des Deutschen Handwerks 2020), steht in einem kohärenten Zusammenhang mit den anderen Formen der Qualifikationsdeckung. 

Im Ergebnis lässt sich eine Art „institutionelle Konsistenz“ zwischen den unterschiedlichen betrieblichen Handlungsfeldern erkennen, die für die Deckung des Qualifikationsbedarfs relevant sind. Es scheint selbst in Betrieben mit einer nur ansatzweisen Berücksichtigung der Kompetenzen ihrer Beschäftigten zu einem positiven Effekt für andere Handlungsfelder zu führen. 

Abzulesen ist dies darüber hinaus an den Angaben der Betriebe, wenn im Rahmen des Kompetenzmanagements ein Abgleich zwischen den Ist- und Soll-Kompetenzen durchgeführt wird, personale, methodische, kommunikative und soziale Kompetenzen der Beschäftigten in die Erfassung und Nutzung dieser Fähigkeiten einbezogen werden oder eine Kombination aus beidem praktiziert wird Tabelle C4.3-3. Dennoch scheint dies für Beschäftigte mit einfacheren Tätigkeiten zu schlechteren Beschäftigungschancen zu führen, da die Anteile an neu eingestellten Arbeitskräften in Betrieben ohne entsprechende Praktiken höher liegen.

Für weitere Forschungsarbeiten sollte daher von der Hypothese ausgegangen werden, dass sich das betriebliche Kompetenzmanagement möglicherweise als das zentrale fundierende Prinzip für das gesamte System der betrieblichen Qualifikationsbedarfsdeckung konzipieren lässt. In diesem Sinne kann untersucht werden, in welcher Art und Weise Betriebe an ihren betrieblichen Institutionen „gearbeitet“ haben oder derzeit mit deren Aus- und Umbau beschäftigt sind. Konzeptionell stellt beispielsweise der „institutional-work“-Ansatz entsprechende Analysekategorien zur Verfügung (vgl. Lawrence/Suddaby 2006; Lawrence/Leca/Zilber 2013).

(Klaus Troltsch, Agnes Dietzen)

Tabelle C4.3-3: Struktur unterschiedlicher betrieblicher Institutionen zur Deckung des Qualifikationsbedarfs (in %)