Im Berichtsjahr 2020 musste der Ausbildungsmarkt erhebliche Einbußen verkraften. Das Ausbildungsplatzangebot im Rahmen der dualen Berufsausbildung sank gegenüber dem Vorjahr um 50.700 Stellen2 (-8,8%) auf 527.400 Angebote. Parallel zum sinkenden Angebot nahm auch die Ausbildungsplatznachfrage um 53.000 Personen (-8,9%) auf 545.700 Nachfrager/-innen ab Tabelle A1.1.1-3.3
Die starke Schrumpfung des Ausbildungsmarktes 2020 ist zu einem großen, jedoch nicht ausschließlichen Teil, auf das Krisengeschehen rund um die COVID-19-Pandemie und ihre Eindämmungsmaßnahmen zurückzuführen. Insbesondere als Folge einer geringeren Zahl an Schulabgängern/-abgängerinnen Tabelle A1.1.1-4, einem sinkenden Ausbildungsinteresse und steigenden Zahlen unbesetzter Ausbildungsstellen in den vergangenen Jahren, war auch unabhängig von der Pandemie mit Rückgängen auf dem Ausbildungsmarkt gerechnet worden. Die noch vor Beginn der Coronakrise durchgeführte Punktschätzung durch das „Ökonometrische Prognose- und Simulationsmodell des Ausbildungssystems“ (PROSIMA) hatte bei 568.900 Angeboten und 584.900 Nachfragern/Nachfragerinnen gelegen. Das Modell hatte somit einen Angebotsrückgang um -9.300 Stellen bzw. -1,6% und einen Nachfragerückgang um -13.900 bzw. -2,3% im Vergleich zu 2019 prognostiziert (BIBB-Datenreport 2020, Kapitel A2.2). Berechnet man die Differenz zwischen den erwarteten und den tatsächlichen Rückgängen, so lässt sich das Ausmaß des krisenbedingten Angebotsrückgangs auf 41.500 Ausbildungsstellen (-7,3%) und des krisenbedingten Nachfragerückgangs auf -39.200 bzw. -6,7% schätzen (vgl. Oeynhausen u. a. 2021).
Tabelle A1.1.1-3: Entwicklung von Angebot und Nachfrage 2010 bis 2020 in Deutschland (Stichtag 30. September)
Tabelle A1.1.1-4: Entwicklung der Zahl der Schulabgänger/-innen und -absolventen/-absolventinnen 2010 bis 2020 (2020 geschätzt)
Von ihrem Ausmaß her ist die starke Schrumpfung des Ausbildungsmarktes in etwa vergleichbar mit der Entwicklung zum Zeitpunkt der Weltfinanzkrise 2008/2009 (BIBB-Datenreport 2010, Kapitel A1.1). Damals sanken das Ausbildungsplatzangebot innerhalb eines Jahres um 54.000 Plätze (-8,5%) und die Nachfrage der jungen Menschen um 59.400 (-8,3%). Die damaligen Rückgänge ließen sich jedoch nicht nur durch die Finanzkrise, sondern auch durch einen starken, vor allem demografisch bedingten, Rückgang der Zahl der Schulabgänger/-innen und durch den Trend zur schulischen Höherqualifizierung erklären.
Eine Kompensation des betrieblichen Angebotsrückgangs durch überwiegend öffentlich finanzierte („außerbetriebliche“) Ausbildungsangebote fand 2020 nur in sehr geringem Umfang statt: Verglichen mit dem Vorjahr stieg das außerbetriebliche Ausbildungsplatzangebot bundesweit um 500 Stellen bzw. 3,6% auf 14.900. Umgekehrt sank das betriebliche Angebot um 9,1% bzw. 51.300 Stellen auf nunmehr 512.500.
Angebot: Differenzierungen nach Zuständigkeitsbereich
Die Zahl der angebotenen betrieblichen Ausbildungsstellen ging 2020 in fast allen Zuständigkeitsbereichen zurück Tabelle A1.1.1-3. Besonders starke Rückgänge waren im Bereich Industrie und Handel zu verzeichnen. Hier wurden bundesweit 288.200 betriebliche Ausbildungsstellen angeboten, -39.500 bzw. -12,1% im Vergleich zum Vorjahr. Im Handwerk ging die Zahl der betrieblichen Ausbildungsplatzangebote bundesweit um 8.500 bzw. -5,5% zurück. Auch im Bereich der freien Berufe, in dem das betriebliche Angebot in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen war, wurde 2020 ein Rückgang von 3.300 bzw. -6,6% verzeichnet. Das Angebot lag damit in etwa wieder auf dem Niveau von 2017. Kaum Veränderungen (-0,2%) gab es im öffentlichen Dienst. Einzig im Bereich Landwirtschaft kam es 2020 zu einer leichten Angebotssteigerung: Mit bundesweit 13.300 betrieblichen Stellen wurden hier bundesweit 200 Stellen bzw. +1,5% mehr angeboten als im Vorjahr.
Nachfrage: Differenzierungen nach persönlichen Merkmalen
In den letzten Jahren veränderte sich die Ausbildungsplatznachfrage in ihrer Merkmalsstruktur. Zum einen wurde die Ausbildungsplatznachfrage deutlich „männlicher“, da sich der Rückgang der Ausbildungsplatznachfrage weitgehend aufseiten der jungen Frauen vollzog. Innerhalb der letzten zehn Jahre ging die Ausbildungsplatznachfrage von Frauen kontinuierlich zurück. Seit 2010 fiel sie um 71.900 bzw. -26,5% auf 199.100 (im Vergleich zum Vorjahr: -20.500 bzw. -9,3%). Bei den jungen Männern stieg die Nachfrage im Laufe des vergangenen Jahrzehnts teilweise sogar noch an. Durch den insgesamt starken Nachfragerückgang im Berichtsjahr 2020 fiel die Zahl der männlichen Nachfrager um 22.900 bzw. -6,2% geringer aus als 2010 und lag nun bei 346.600 (im Vergleich zum Vorjahr: -32.600 bzw. -8,6%) Tabelle A1.1.1-3.
Zum anderen zeichnet sich die Nachfrage seit einigen Jahren – infolge einer demografisch bedingt sinkenden Zahl an Schulabgängern/-abgängerinnen und des Trends zur Höherqualifizierung – durch eine im Schnitt stark gestiegene schulische Vorbildung aus. Während 2010 noch 158 Nachfrager/-innen mit Hauptschulabschluss auf jeweils 100 studienberechtigte Nachfrager/-innen entfielen, waren es 2020 nur noch 86. Die Zahl der Nachfrager/-innen mit Studienberechtigung überstieg somit erneut die Zahl der Nachfrager/-innen mit Hauptschulabschluss4 Schaubild A1.1.1-1.
Während steigende Zahlen geflüchteter Ausbildungsstellenbewerber/-innen 2017 und 2018 zu einer leicht steigenden Ausbildungsplatznachfrage beigetragen hatten, wurden 2020 nur noch 17.200 Nachfrager/-innen im Kontext Fluchtmigration registriert (-3.200 bzw. -15,8% im Vergleich zu 2019).5
Schaubild A1.1.1-1: Entwicklung der Ausbildungsplatznachfrage nach Schulabschluss (Schätzungen)1
Angebots-Nachfrage-Relation
Da Ausbildungsplatzangebot und Ausbildungsplatznachfrage 2020 bundesweit in einem ähnlichen Ausmaß schrumpften, veränderte sich das Verhältnis zwischen beiden Größen (eANR = erweiterte Angebots-Nachfrage-Relation) mit rechnerisch 96,6 Ausbildungsplatzangeboten je 100 Ausbildungsplatznachfragern/-nachfragerinnen gegenüber dem Vorjahr 2019 kaum (knapp +0,1 Prozentpunkte6). Die Angebots-Nachfrage-Relation war damit aus Perspektive der Jugendlichen weiterhin deutlich besser als in den Jahren zuvor Tabelle A1.1.1-3.
Wie bereits in den Vorjahren, gab es jedoch deutliche Unterschiede zwischen den Bundesländern. Das Bundesland mit dem höchsten eANR-Wert war 2020 erneut Bayern. Hier kamen rechnerisch 110,4 Angebote auf 100 Nachfrager/-innen (+0,7 Prozentpunkte im Vergleich zu 2019). Ebenfalls überdurchschnittliche eANR-Werte wurden in Thüringen mit eANR = 107,8 (+6,0 Prozentpunkte), in Mecklenburg-Vorpommern mit eANR = 106,1 (+0,2 Prozentpunkte) und in Sachsen-Anhalt mit eANR = 101,5 (+1,5 Prozentpunkte) erreicht. Unterdurchschnittliche Werte wurden vor allem in Berlin mit eANR = 84,4 (-0,4 Prozentpunkte), in Bremen mit eANR = 89,3 (-2,8 Prozentpunkte) und in Hamburg mit eANR = 89,4 (+0,9 Prozentpunkte) gemessen Tabelle A1.1.1-5.
Tabelle A1.1.1-5: Eckdaten zum Ausbildungsmarkt im Jahr 2020 differenziert nach Bundesländern
Die regionalen Unterschiede in den Ausbildungsmarktlagen waren auf Ebene der Arbeitsagenturbezirke noch deutlich ausgeprägter als auf Ebene der Länder. Aus Sicht der Nachfrager/-innen war die Ausbildungsmarktlage in vielen Arbeitsagenturbezirken im Süden und Osten Deutschlands deutlich günstiger als in Bezirken im Norden und Westen des Landes: Spitzenwerte von über 120 erreichte die eANR 2020 in den bayerischen Arbeitsagenturbezirken Schwandorf (132,5), Deggendorf (128,4), Passau (128,1), Weiden (123,8) und Regensburg (120,1) sowie im thüringischen Altenburg-Gera (124,8). Die niedrigsten Angebots-Nachfrage-Relationen von unter 80 wurden 2020 in den Regionen Hameln (77,9) und Oberhausen (79,5) beobachtet. Weitere sehr niedrige Werte von unter 85 wurden in den Regionen Bochum (81,8), Eberswalde (82,0), Detmold (82,2), Offenbach (82,4), Hagen (82,5), Kassel (82,8), Celle (84,4), Solingen-Wuppertal (84,5) und Emden-Leer (84,9) gemessen Schaubild A1.1.1-2.
Schaubild A1.1.1-2: Verhältnisse von Angebot und Nachfrage (eANR) 2020 in den Arbeitsagenturbezirken
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2
Ganze Zahlen werden im Text auf ein Vielfaches von 100 gerundet. Genauere Werte können den Tabellen entnommen werden, wobei auch hier alle ganzen Zahlen, die im Zusammenhang mit der BIBB-Erhebung zum 30. September stehen, als Folge von datenschutzrechtlichen Bestimmungen auf ein Vielfaches von 3 gerundet wurden.
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3
Die Angebots- und Nachfragezahlen, getrennt nach West- und Ostdeutschland, mit den Entwicklungen von 2009 bis 2020 finden sich in Tabelle A1.1.1-1 Internet, entsprechende Differenzierungen nach Ländern in Tabelle A1.1.1-2 Internet. Für eine tabellarische Darstellung der Ausprägungen aller Marktindikatoren auf Ebene der Arbeitsagenturen siehe Oeynhausen u. a. 2021.
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4
Da im Rahmen der BIBB-Erhebung über neu abgeschlossene Ausbildungsverträge nicht die schulische Vorbildung der Auszubildenden erfasst wird, lässt sich die Aufteilung der Nachfrage nach Schulabschlüssen lediglich mithilfe von DAZUBI – „Datenbank Auszubildende“ des BIBB auf Basis der Daten der Berufsbildungsstatistik der statistischen Ämter des Bundes und der Länder (Erhebung zum 31. Dezember) – schätzen. Hierfür wird die relative Aufteilung der zum 31. Dezember erfassten neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge auf die verschiedenen Schulabschlüsse auf die aktuellen Neuabschlusszahlen aus der Erhebung zum 30. September projiziert. In Verbindung mit Daten der BA-Ausbildungsmarktstatistik, welche differenzierte Angaben zu den Schulabschlüssen enthält, wird anschließend die Nachfrage nach Schulabschluss berechnet.
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5
Nur registrierte Ausbildungsstellenbewerber/-innen, die in eine Ausbildungsstelle einmündeten oder bis zum Stichtag auf Ausbildungsplatzsuche waren. Die Gesamtzahl aller bei der BA registrierten Bewerber/-innen im Kontext Fluchtmigration betrug 2020 33.200 (-4.900 bzw. -12,9% im Vergleich zum Vorjahr) (vgl. Bundesagentur für Arbeit 2020g).
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6
Aufgrund von Rundungen blieben die in Tabelle A1.1.1-3 ausgewiesenen Dezimalstellen der beiden ANR-Werte für 2019 und 2020 unverändert.