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Das Jahr 2020 wurde geprägt durch die COVID-19-Krise. Zum Prognosezeitpunkt der im BIBB-Datenreport 2020, Kapitel A2.2 veröffentlichten Prognose von PROSIMA war der negative konjunkturelle Verlauf der Wirtschaft infolge der Kontaktbeschränkungen und des Shutdowns ab März 2020 noch nicht absehbar. So wurde noch von einem positiven Wirtschaftswachstum in Höhe von +1,1% ausgegangen. Trotz der positiven Wachstumserwartungen wurde jedoch mit einem Rückgang des Angebotspotenzials in Höhe von -1,3% im Vergleich zum Jahr 2019 gerechnet. Dies ist als eine Reaktion auf das seit Langem zurückgehende Nachfragepotenzial zu deuten, welches insbesondere Klein- und Kleinstunternehmen vor Rekrutierungsschwierigkeiten stellt (vgl. Eckelt u. a. 2020). Bei einer zurückgehenden Anzahl an Ausbildungsinteressierten lässt sich auch die Ausbildungsbereitschaft der Betriebe, Praxen und Verwaltungen nicht aufrechterhalten. Für das Jahr 2020 wurde für das Nachfragepotenzial deshalb ein Rückgang um weitere -2,2% im Vergleich zum Jahr 2019 erwartet, was vorwiegend der leicht zurückgehenden Anzahl an Schulabsolventen und Schulabsolventinnen geschuldet war.

Aufgrund des zurückgehenden Angebotspotenzials wurde für das Jahr 2020 – auch ohne die Berücksichtigung der COVID-19-Krise – ein Rückgang der angebotenen Ausbildungsplätze von 578.200 im Jahr 2019 auf 568.900 im Jahr 2020 erwartet. Bei den neu abgeschlossenen Ausbildungsverträgen wurde ein Rückgang von 525.100 (2019) auf 514.900 (2020) prognostiziert, während die unbesetzten Ausbildungsplätze mit 54.000 nahezu auf dem Wert des Jahres 2019 (53.100) hätten verharren sollen. Bei der Ausbildungsplatznachfrage (erweiterte Definition inklusive Bewerber/-innen mit Alternative) wurde ebenfalls von einem leichten Rückgang von rund 598.800 Personen im Jahr 2019 auf 584.900 Personen im Jahr 2020 ausgegangen. Bei den unvermittelten Bewerbern und Bewerberinnen prognostizierte PROSIMA einen leichten Rückgang von 24.500 auf 22.400 Personen und die Zahl der unvermittelten Bewerber/-innen mit Alternativen hätte von 49.200 (2019) auf 47.600 (2020) zurückgehen sollen.

Als ersichtlich war, dass die COVID-19-Krise zu einem stärkeren wirtschaftlichen Einbruch führen wird, wurden im Mai 2020 mehrere Simulationsrechnungen mit PROSIMA erstellt (vgl. Maier 2020). Dabei wurde zum einen deutlich, dass diese konjunkturelle Entwicklung einen stärkeren Rückgang des Ausbildungsplatzangebotes zur Folge haben wird (siehe auch Muehlemann/Pfeiffer/Wittek 2020). Zum anderen war aber auch aus dem Verhalten während der Finanzkrise im Jahr 2009 klar, dass Jugendliche die vermeintlich schlechteren Ausbildungschancen antizipieren könnten und sich entsprechend vom Ausbildungsmarkt zurückziehen würden (vgl. Maier 2020). Um die große Prognoseunsicherheit zu erfassen, wurden mit PROSIMA deshalb Szenarien erstellt, die einerseits einen Rückgang des preisbereinigten Bruttoinlandproduktes (BIP) zwischen -2,8% (Sachverständigenrat zur Begutachtung der Gesamtwirtschaftlichen Entwicklung 2020) und -11,2% (Dorn u. a. 2020) annahmen. Zum anderen wurde aber auch ein Rückgang des Nachfragepotenzials (-4,8% statt -2,2%) in ähnlicher Höhe wie während der Finanzkrise unterstellt.

Das preisbereinigte BIP ging im Jahr 2020 tatsächlich um 5% zurück und lag damit nahe an der unteren Prognose des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung („ausgeprägtes V“) in Höhe von -5,4%. Zudem ist auch die Zahl der institutionell erfassten Ausbildungsinteressierten – ähnlich wie während der Finanzkrise – stark zurückgegangen. Die tatsächliche Entwicklung zum 30. September 2020 wird deshalb im Folgenden mit dem Szenario verglichen, welches einen Rückgang des preisbereinigten BIP in Höhe von -5,4% und einen erweiterten Rückgang des Nachfragepotenzials unterstellt hat.

Es zeigt sich, dass die Einschränkung der wirtschaftlichen und sozialen Aktivitäten eine starke Wirkung auf den Ausbildungsmarkt entfaltet hat (Kapitel A1.2). Das Ausbildungsplatzangebot verringerte sich um 50.700 Plätze im Vergleich zum Jahr 2019 (-8,8%) auf 527.400 institutionell erfasste Ausbildungsplatzangebote und lag damit nur geringfügig über dem prognostiziertem Wert von 520.100 Plätzen. Die Zahl der unbesetzten Ausbildungsplätze stieg trotz des zurückgehenden Ausbildungsplatzangebotes um +6.800 (+12,8%) auf 59.900 Plätze an. Hier wäre gemäß der Simulationsrechnung ein Rückgang auf 38.900 Plätze (-27%) zu erwarten gewesen. Diese konträre Entwicklung hat vermutlich zwei wesentliche Ursachen. Zum einen nahm auch die Nachfrage nach Ausbildungsplätzen um -53.000 Personen (-8,9%) im Vergleich zum Vorjahr – und damit im stärkeren Maße als in der Simulationsrechnung prognostiziert (-36.200 bzw. -6%) – ab. Zum anderen haben beide Marktseiten aufgrund der Kontaktschwierigkeiten infolge von Corona am 30. September 2020 noch nicht so zueinandergefunden, wie es sonst zu diesem Zeitpunkt im Jahr der Fall ist. Denn auch die Zahl der unvermittelten Bewerber und Bewerberinnen (mit und ohne Alternative), stieg um +4.500 (+6,1%) im Vergleich zu 2019 auf 78.200 Personen an. Aufgrund des Rückgangs der Ausbildungsplatzbewerber/-innen fiel dieser Anstieg jedoch nicht so stark aus wie erwartet (+7.700 bzw. +10,4%). Da sowohl das Ausbildungsplatzangebot als auch die -nachfrage abnahmen, aber sich die bereits in der Vergangenheit aufgetretenen Passungsprobleme weiter verstärkten, sank die Zahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge um -57.600 (-11%) auf einen seit 1975 historischen Tiefstwert von 467.500 Verträgen. Die Simulationsrechnung von PROSIMA hätte rund 481.200 und damit nur einen Rückgang von rund -43.900 (-8,4%) neuen Ausbildungsverträgen erwartet. Die Prognose lag damit rund 13.700 Neuverträge über dem tatsächlichen Wert (vgl. Oeynhausen u. a. 2020, Kapitel A1.2).

Der Vergleich der Kenngrößen des Ausbildungsmarktes mit den geschätzten Entwicklungen verdeutlicht, dass vor allem der Rückzug der Ausbildungsplatznachfragenden vom Ausbildungsmarkt in der Krisensituation unterschätzt wurde. Die Zahl der Schulabgänger/-innen aus allgemeinbildenden Schulen ging von 2019 auf 2020 um rund -4,2% (-33.400) zurück. Dieser Rückgang betraf aber vorwiegend Schulabgänger/-innen mit (Fach-)Hochschulreife (-29.500 bzw. -10,6%), denen auch andere Ausbildungsalternativen (zum dualen System) offenstehen. Ohne die COVID-19-Krise wäre deshalb ein Rückgang des Nachfragepotenzials um -2,2% zu erwarten gewesen. Durch die Krise wurde für die Simulationsrechnung ein absoluter Rückgang der ausbildungsinteressierten Jugendlichen in Höhe der Schulabgänger/-innen unterstellt. Prozentual ging das Nachfragepotenzial um -4,8% und damit im gleichen Maße wie während der Finanzkrise zurück. Tatsächlich zeigt die Aktualisierung der Datenlage, dass das Nachfragepotenzial noch stärker – nämlich um -5,7% – zurückging.

Wäre dieser stärkere Rückgang des Nachfragepotenzials bekannt gewesen, wären bei einem exogen gesetzten Wirtschaftswachstum von -5% im Vergleich zu 2019 rund 478.500 neu abgeschlossene Ausbildungsverträge vorausgesagt worden (+11.000 gegenüber dem tatsächlichen Wert) sowie eine Ausbildungsplatznachfrage in Höhe von 558.800 Bewerber/-innen. Die Zahl der unvermittelten Bewerber/-innen wäre mit 80.100 nur geringfügig überschätzt worden (+1.900 bzw. 2%). Das Angebot an Ausbildungsstellen wäre mit 517.700 ebenfalls geringer ausgefallen (-9.700 gegenüber dem tatsächlichen Wert) aber es wäre dennoch ein Rückgang der unbesetzen Ausbildungsstellen (auf 39.100) erwartet worden. Die etwas höher geschätzte Anzahl an angebotenen Ausbildungsplätzen und neu abgeschlossenen Ausbildungsverträgen lässt sich auf das Angebotspotenzial zurückführen. Dieses hätte aufgrund der konjunkturellen Entwicklung um 8,8% zurückgehen können (vgl. Muehlemann u. a. 2020), ist jedoch nur um 6,8% gesunken. Damit haben die Betriebe mehr Ausbildungsplätze angeboten, als es aufgrund der wirtschaftlichen Entwicklung zu erwarten gewesen wäre.25

Aus den Ex-post-Analysen für das Jahr 2020 ergibt sich somit zum einen, dass das Nachfragepotenzial überschätzt wurde, was sich insbesondere auf die Zahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge auswirkte, und zum anderen, dass die Modellogik von PROSIMA in keinem der Szenarien in der Lage war, die weiter zunehmende Zahl an unbesetzten Ausbildungsstellen bei einem Rückgang des Ausbildungsplatzangebotes zu antizipieren. Zunehmende Passungsschwierigkeiten am Ausbildungsmarkt sind zwar nicht neu, jedoch dürften die Kontaktschwierigkeiten im Verlauf der COVID-19-Krise eine besondere Rolle gespielt haben.

Bildungspolitisch gab es die Hoffnung, dass für das Ausbildungsjahr 2020/2021 noch etwa gleich viele Ausbildungsverträge geschlossen werden wie für das vorausgegangene Ausbildungsjahr, dass diese zum Stichtag 30. September 2020 aber noch nicht erfasst würden (vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 09.09.2020). Die zu einem späteren Zeitpunkt zustande kommenden Ausbildungsverträge sollten deshalb erst zum Stichtag 30. September 2021 in der Ausbildungsmarktstatistik sichtbar werden.

In der Tat zeigt die Ausbildungsmarktstatistik der Bundesagentur für Arbeit (2020b), dass im Januar 2021 bereits 74.600 Berufsausbildungsstellen gemeldet waren. Dies waren rund 7.800 mehr als zum Januar 2020, rund 12.000 davon waren noch unbesetzt (+1.100 im Vergleich zum Vorjahrjahresmonat). Im November 2020 (Bundesagentur für Arbeit 2020), waren von rund 71.500 gemeldeten Stellen (+7.900 im Vergleich zum November 2019) noch 25.300 unbesetzt (+5.000 im Vergleich zum Vorjahresmonat). Bei den Bewerbern und Bewerberinnen wurden zum November 2020 mit 61.100 ebenfalls mehr Personen (+10.600) im Vergleich zum Vorjahresmonat registriert. Davon waren rund 31.200 noch unversorgt (+5.300 im Vergleich zum Vorjahresmonat). Bis zum Januar stieg die Zahl der Bewerber/-innen sogar auf 76.600 Personen an (+12.400 im Vergleich zum Vorjahresmonat). Auch die Zahl der unversorgten Bewerber/-innen nahm auf rund 32.600 zu (+5.500 im Vergleich zum Vorjahresmonat).

Die BA-Statistik zeigt zum einen, dass zwar einige (ca. 4.000) der bei der BA registrierten unbesetzten Ausbildungsstellen nach dem 30. September 2020 besetzt werden konnten. Zum anderen wird aber auch deutlich, dass die Passungsproblematik zwischen Ausbildungsplatzangebot und -nachfrage auch im Ausbildungsmarkt 2021 weiter an Bedeutung gewinnen wird. Zumal im Januar 2021 mehr ehemalige Bewerber/-innen mit Alternative aus dem letzten Ausbildungsjahr als Ausbildungsplatzsuchende bei der BA registriert waren als im Vorjahresmonat.

  • 25

    Da es sich bei PROSIMA um ein ökonometrisches Prognosemodell handelt, kann daraus nicht gefolgert werden, dass die positive Abweichung von rund 9.200 Ausbildungsstellen dem Bundesprogramm „Ausbildungsplätze sichern“ kausal zuzuschreiben ist. Hier zeigt sich, dass von Oktober 2020 bis Januar 2021 rund 29.500 Prämien positiv beschieden wurden (vgl. Bundesagentur für Arbeit 2021a). Nimmt man zur Kenntnis, dass ein Antrag erst nach Ablauf der, üblicherweise viermonatigen, Probezeit gestellt werden kann, so dürfte es sich bei einigen der Anträge sicherlich auch um sogenannte Mitnahmeeffekte handeln. D. h., dass die Ausbildungsentscheidung des Betriebes schon vor Bekanntwerden der Prämie gefällt wurde.