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Dieser Beitrag stellt die Ergebnisse der Basisprojektion der sechsten Welle der Qualifikations- und Berufsprojektionen (QuBe-Projekt) vor, die unter der gemeinsamen Leitung des BIBB und des IAB in Zusammenarbeit mit der Gesellschaft für wirtschaftliche Strukturforschung mbH (GWS) durchgeführt werden. Im Vergleich zur fünften Projektionswelle (BIBB-Datenreport 2020, Kapitel A10.2) wurden einige methodische Erweiterungen vorgenommen: So erfolgt nun eine differenzierte Ausweisung von qualifikationsspezifischen Wanderungsgewinnen und -verlusten. Außerdem wird die Erwerbsbeteiligung mit der sechsten Welle in Abhängigkeit von der wirtschaftlichen Entwicklung bestimmt. Zudem wird mit der adjustierten Suchdauer ein neuer Indikator zur Beurteilung der anforderungs- und berufsspezifischen Fachkräftesituation bereitgestellt.

BIBB-IAB-Qualifikations- und Berufsprojektionen (QuBe-Projekt)

Die QuBe-Projektionen, die in Zusammenarbeit mit der GWS entstanden sind, zeigen anhand von Modellrechnungen, wie sich Angebot und Nachfrage nach Qualifikationen und Berufen langfristig entwickeln können. Als Datengrundlage dient u. a. der Mikrozensus (letztes Erhebungsjahr 2017), welcher als amtliche Repräsentativstatistik des Statistischen Bundesamts, an der jährlich ein Prozent aller Haushalte in Deutschland beteiligt ist, Informationen über die Bevölkerung und den Arbeitsmarkt liefert. Die Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung (in der vorliegenden Projektion bis zum Jahr 2019) ist Grundlage für die Projektion der Gesamtwirtschaft. Die Registerdaten der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten (SVB) und der ausschließlich geringfügig Beschäftigten (AGB) der BA liefern zusätzliche Informationen zu den Erwerbstätigen nach Beruf und den entsprechend gezahlten Löhnen (in der vorliegenden Projektion bis zum Jahr 2017). Die Ergebnisse werden nach bis zu 141 3-Stellern (Berufsgruppen) der Klassifikation der Berufe (KldB) 2010 differenziert.

Die vorliegenden Ergebnisse basieren auf der Basisprojektion der sechsten Projektionswelle. Diese baut auf den Methoden der vorherigen Wellen auf (vgl. Helmrich/Zika 2010; Maier u. a. 2018; Maier u. a. 2014; Maier u. a. 2016; Zika u. a. 2012) und nimmt weitere Neuerungen auf (vgl. Kalinowski/Mönnig/Söhnlein, im Erscheinen). In der Basisprojektion wird ein auf der Empirie basiertes Konzept verfolgt: Es werden nur bislang nachweisbare Verhaltensweisen in die Zukunft projiziert. In der Vergangenheit nicht feststellbare Verhaltensänderungen sind somit nicht Teil der Basisprojektion.

Weitere Informationen zum Projekt unter www.qube-projekt.de; die Ergebnisse sind unter www.qube-data.de verfügbar.

Der Ausbruch der neuartigen Infektionskrankheit COVID-19 im Jahr 2020 stellt eine unvorhersehbare Einflussgröße für die wirtschaftliche Entwicklung dar. Die damit einhergehende Krise hat zu Trend- und Strukturbrüchen in verschiedenen volkswirtschaftlichen Kenngrößen geführt. Die langfristigen Folgen der Pandemie sind aktuell nicht abschätzbar (vgl. Mönnig u. a. 2020b). Um ihre potenziellen Effekte dennoch im Modell abbilden zu können, unterliegt die Basisprojektion der Annahme, dass sich aus der Coronakrise keine langfristigen Verhaltensänderungen ergeben. Die wirtschaftlichen Folgen werden damit lediglich als ein externer Schock betrachtet und das wirtschaftliche Geschehen wird nach einem kurzen Abweichen von der langfristigen Entwicklung in der mittleren Frist die alte Dynamik wiederaufnehmen. Unter Einbezug aktueller Konjunkturindikatoren sowie des am 03.06.2020 von der Bundesregierung beschlossenen Konjunkturpaketes und des Klimapaketes vom 16.12.2019 zeigt die Basisprojektion einen konsistenten Entwicklungspfad des deutschen Arbeitsmarktes bis zum Jahr 2040 auf.

Detaillierte Ausführungen zu methodischen Neuerungen im Vergleich zur fünften Projektionswelle (vgl. Maier u. a. 2018) finden sich in Maier/Steeg/Zika (2020) sowie Kalinowski/Mönnig/Söhnlein (im Erscheinen). Eine detaillierte Darstellung der Ergebnisse der Basisprojektion erfolgt in Maier u. a. (2020), zudem lassen sich die Projektionsergebnisse nach 141239 3-Stellern (Berufsgruppen) der Klassifikation der Berufe (KldB) 2010, 37 Berufshauptgruppen (2-Steller der KldB 2010), vier Qualifikationsniveaus nach der Internationalen Standardklassifikation des Bildungswesens (ISCED) 2011 und vier Anforderungsniveaus im QuBe-Datenportal einsehen und herunterladen.

QuBe-Datenportal

Das QuBe-Datenportal (www.qube-data.de) veranschaulicht die Ergebnisse der QuBe-Projektionen und zeigt mögliche Entwicklungspfade von Arbeitsangebot und -nachfrage auf. Die Ergebnisse der Basisprojektion können differenziert nach 141 Berufsgruppen, 37 Berufshauptgruppen oder nach Qualifikationen (Angebot) bzw. Anforderungsniveaus (Bedarf) für die Jahre 2015 bis 2040 abgerufen werden. Auf der Angebotsseite wird auf der Personenebene die Zahl der Erwerbspersonen und auf der Stundenebene das Arbeitsvolumenpotenzial ausgewiesen. Auf der Nachfrageseite wird der Bedarf an Erwerbstätigen bzw. der Bedarf an Arbeitsvolumen aufgeführt, der für die Produktion der nachgefragten Güter bzw. die Bereitstellung der nachgefragten Dienstleistungen benötigt wird. Auch ist es möglich, die beiden Arbeitsmarktseiten einander gegenüberzustellen. Die Fachkräftesituation im Beruf wird zudem über den neuen Indikator der adjustierten Suchdauer wiedergegeben. Die Ergebnisse der interaktiven Datenbankabfragen werden in Tabellen, Diagrammen und Karten dargestellt und können in unterschiedlichen Dateiformaten (SVG, PNG, HTML, CSV) heruntergeladen und weiterverwendet werden.

Erwartete Bevölkerungsentwicklung

Die QuBe-Bevölkerungsprojektion (vgl. Kalinowski/Mönnig/Söhnlein, im Erscheinen) basiert auf der Bevölkerungsprojektion des vom IAB entwickelten integrierten Arbeitskräfteangebots- und Bevölkerungsmodells (vgl. Fuchs u. a. 2016). Tabelle A10.2-1 veranschaulicht zentrale Kenngrößen der QuBe-Bevölkerungsprojektion. Demnach wird die Bevölkerung bis zum Jahr 2030 auf einen Höchststand von rund 84,1 Mio. Personen ansteigen. Bis zum Jahr 2040 geht die Bevölkerungszahl wieder auf rund 83,7 Mio. Personen zurück und liegt damit etwas höher als im Jahr 2020. Im Gegensatz dazu wird sich jedoch die erwerbsfähige Bevölkerung im Alter zwischen 15 und 69 Jahren im Projektionszeitraum kontinuierlich verringern und im Jahr 2040 nur noch rund 53,4 Mio. Personen betragen.

Dies ist zum einen auf die hohen Wanderungsgewinne insbesondere junger Menschen im Jahr 2015 im Zuge des Syrienkonflikts zurückzuführen. Zudem leistet der leichte Anstieg der Geburtenziffer deutscher Frauen ebenfalls einen Beitrag dazu, dass der Bevölkerungsanteil der unter 15-Jährigen im Vergleich zur erwerbsfähigen Bevölkerung zunimmt. Zum anderen erlangt der Anteil von Personen ab 70 Jahren ein stärkeres Gewicht, da die Babyboomer-Generation im Projektionszeitraum die entsprechende Altersgrenze erreicht. In Verbindung mit einem Anstieg der Lebenserwartung erhöht sich damit ebenfalls das Medianalter. Die veränderte Bevölkerungsstruktur wird damit zukünftig den Bedarf an Betreuungs-, Erziehungs- und Pflegeleistungen erhöhen, während gleichzeitig ein geringerer Anteil von erwerbsfähigen Personen für die Versorgungsleistungen der nicht erwerbsfähigen Bevölkerungsanteile aufkommen muss.

Tabelle A10.2-1: Zentrale Kenngrößen der QuBe-Bevölkerungsprojektion in den Jahren 2020 bis 2040

Arbeitskräfteangebot nach Qualifikationen

Für die Bestimmung des Arbeitsangebots nach Qualifikationen ist zum einen die Zahl der nach Qualifikationen aus dem Erwerbsleben ausscheidenden Personen von Relevanz. Zum anderen wird das Arbeitsangebot durch die jedes Jahr neu auf den Arbeitsmarkt strömenden Personen aus dem Bildungssystem sowie dem Ausland determiniert. In der sechsten Projektionswelle ist es erstmals möglich, dieses Nettoneuangebot nach dem Nettoneuangebot des inländischen Bildungssystems und dem aus dem Ausland zu differenzieren (vgl. Kalinowski/Mönnig/Söhnlein, im Erscheinen). In Tabelle A10.2-2 ist die Entwicklung dieser Größen sowie die der Gesamtanzahl der Erwerbspersonen getrennt nach Qualifikationsstufen im Projektionszeitraum dargestellt. Dabei zeigt sich, dass die aus dem Erwerbsleben ausscheidenden Jahrgänge zunehmend einen höheren formalen Qualifikationsabschluss aufweisen. Während die im Zeitraum zwischen 2020 und 2025 aus dem Erwerbsleben ausscheidenden Personen noch zu 53% (2,66 Mio. von insg. 5,06 Mio.) einen beruflichen Abschluss aufweisen und nur zu 23% (1,18 Mio.) eine Aufstiegsfortbildung, einen Bachelorabschluss oder ein Diplom (FH), beträgt der Anteil Letzterer im Zeitraum 2035 bis 2040 bereits 29% und der Anteil an Personen mit Berufsabschluss nur noch 46%.

Bis 2040 werden im inländischen Nettoneuangebot Personen mit einem beruflichen Abschluss weiterhin den größten Anteil stellen, sie verlieren jedoch leicht an Bedeutung gegenüber Personen mit einer Aufstiegsfortbildung, einem Bachelorabschluss oder Diplom (FH). Trotzdem können in Summe die 4,4 Mio. bis 2040 neu auf den Arbeitsmarkt strömenden Absolventinnen und Absolventen letzterer Qualifikationsstufe die rund 5,4 Mio. aus dem Erwerbsleben ausscheidenden Personen des gleichen Qualifikationsniveaus nicht kompensieren. Gleiches gilt für Personen mit beruflichem Abschluss, deren Zahl sich zwischen 2020 und 2040 um 2,4 Mio. verringern wird. Lediglich das Angebot an Erwerbspersonen mit einem akademischen Abschluss (ohne Bachelorabschluss oder Diplom [FH]) kann bis 2040 weiter erhöht werden, da das Nettoneuangebot aus dem Inland die aus dem Erwerbsleben ausscheidenden Personen überkompensieren wird. Diese Überkompensation wird durch die Entwicklung des Nettoneuangebots aus dem Ausland zudem noch verstärkt. So zeigen sich vor allem Wanderungsgewinne bei der formal höherqualifizierten Zuwanderung, während mehr Personen ohne bzw. mit einem beruflichen Abschluss aus Deutschland ab- als zuwandern.

Im Ergebnis haben damit im Jahr 2040 rund 41% der Erwerbspersonen (ohne Personen in Bildung) einen Berufsabschluss (2020: 44,9%) und 28% eine Aufstiegsfortbildung, einen Bachelorabschluss oder ein Diplom (FH) (2020: 28,6%). Lediglich der Anteil Geringqualifizierter sinkt bis zum Jahr 2040 kontinuierlich auf zehn Prozent ab (2020: 11,8%), während der Anteil an Hochschulabsolvierenden (ohne Bachelorabschluss oder Diplom [FH]) auf 21% ansteigt (2020: 14,6%).

Tabelle A10.2-2: Nettoneuangebot und aus dem Erwerbsleben ausscheidende Personen nach Qualifikationsstufen (ISCED) in den Jahren 2020 bis 2040

Entwicklung von Arbeitskräfteangebot und -nachfrage auf beruflicher Ebene

Die vorangegangenen Ausführungen machen deutlich, dass sich zukünftig sowohl auf der Arbeitsangebots- als auch der Bedarfsseite Strukturveränderungen bis 2040 abzeichnen werden. Um herauszufinden, inwieweit diese Veränderungen auf beiden Marktseiten beruflich zueinander passen, muss das Arbeitskräfteangebot mit der -nachfrage auf Berufsebene verglichen werden. Hierbei gilt es zu berücksichtigen, dass die Entwicklungen des Angebots und des Bedarfs keineswegs statisch und voneinander unabhängig verlaufen. Vielmehr finden Austausch- und Anpassungsprozesse statt, die insbesondere über die Lohnentwicklung in den Berufen miteinander verknüpft sind.

Ein Alleinstellungsmerkmal des QuBe-Projektes stellt die Abbildung beruflicher Flexibilitäten dar, die das Arbeitsangebot nach erlerntem Beruf in das Arbeitsangebot nach ausgeübtem bzw. angestrebtem Beruf überführen. Über berufliche Flexibilitätsmatrizen wird dabei abgebildet, inwieweit Personen in Abhängigkeit ihres Geschlechts, Alters und ihrer Nationalität aus ihrem erlernten Beruf in andere Tätigkeitsbereiche wechseln. Zur Veranschaulichung dieser Austauschprozesse ist in Tabelle A10.2-3 die empirisch ermittelte berufliche Flexibilitätsmatrix der Erwerbstätigen im Jahr 2017 nach Berufsbereichen (1-Steller der KldB 2010) dargestellt. Der erlernte Beruf ist in den Zeilen abgetragen, die Spalten stellen den ausgeübten Beruf dar. Die Angaben sind in Prozent bezogen auf die Anzahl der Erwerbstätigen nach erlerntem Beruf. Somit sind auf der Diagonalen die Anteile der Personen angegeben, die in ihrem erlernten Beruf verweilen. Dieser sogenannte Steher-Anteil fällt im Berufsbereich „Gesundheit, Soziales, Lehre und Erziehung“ mit knapp 75% am höchsten aus. Im Bereich „Sprach-, Literatur-, Geistes-, Gesellschafts- und Wirtschaftswissenschaften, Medien, Kunst, Kultur und Gestaltung“ liegt dagegen mit rund 25% der niedrigste Steher-Anteil vor. Ebenso wechseln Erwerbstätige aus anderen erlernten Berufen nur zu sehr geringen Anteilen in diesen Berufsbereich. Gleiches gilt für die Bereiche „Militär“ sowie „Land-, Forst- und Tierwirtschaft und Gartenbau“. Am häufigsten wechseln Erwerbstätige in die Berufsbereiche „Unternehmensorganisation, Buchhaltung, Recht und Verwaltung“ sowie „Verkehr, Logistik, Schutz und Sicherheit“.

Unter Berücksichtigung dieser beruflichen Mobilitäten, die in der Projektion u. a. in Abhängigkeit der Lohnentwicklung modelliert werden, ist damit eine Bilanzierung des Arbeitskräfteangebots und -bedarfs nach Berufen möglich. Schaubild A10.2-1 stellt vergleichend für die Jahre 2019 und 2040 die Berufshauptgruppen mit den zehn stärksten Arbeitskräfteüberhängen und den zehn stärksten Arbeitskräfteengpässen im Jahr 2040 dar. Im Ausgangsjahr 2019 übersteigt das Arbeitsangebot (Erwerbspersonen) in allen Berufshauptgruppen den Arbeitsbedarf (Erwerbstätige). Dabei liegen die stärksten Arbeitskräfteüberhänge in den Berufshauptgruppen der „Unternehmensführung und Organisation“ (ca. 170 Tsd.), den „Verkehrs- und Logistikberufen (außer Fahrzeugführung)“ und den „Verkaufsberufen“ (jeweils rund 95 Tsd.) vor. Besonders knapp war das Arbeitsangebot dagegen in den „Berufen in Recht und Verwaltung“ (ca. 13 Tsd.), den „Informatik-, Informations- und Kommunikationstechnologieberufen“ (ca. 15 Tsd.), in „Erziehung, soziale und hauswirtschaftliche Berufe, Theologie“ (ca. 30 Tsd.) sowie in den „Medizinischen Gesundheitsberufen“ (ca. 46 Tsd.).

Tabelle A10.2-3: Flexibilitätsmatrix im Jahr 2017 nach Berufsbereichen der KldB 2010 (in %)

Schaubild A10.2-1: Am stärksten ausgeprägte Arbeitskräfteengpässe und -überhänge nach Berufshauptgruppen 2019 und 2040 (in Tsd. Personen)

Bis zum Ende des Projektionshorizonts im Jahr 2040 findet insbesondere im sozialen Dienstleistungsbereich, in den „Medizinischen Gesundheitsberufen“, den „Nichtmedizinischen Gesundheits-, Körperpflege und Wellnessberufen, Medizintechnik“ und in „Erziehung, soziale und hauswirtschaftliche Berufe, Theologie“ ein überdurchschnittlich starker Beschäftigungsaufbau statt. Allein in den „Nichtmedizinischen Gesundheits-, Körperpflege und Wellnessberufen, Medizintechnik“ fällt der Bedarf an Erwerbstätigen im Jahr 2040 um rund ein Viertel höher aus als im Jahr 2019. Damit werden bis zum Jahr 2040 in den drei genannten Berufshauptgruppen in Summe rund 352.000 Erwerbspersonen fehlen. Ebenso wird sich bis 2040 in den „Informatik-, Informations- und Kommunikationstechnologieberufen“ der Arbeitsbedarf um rund 22% erhöhen, wodurch sich 2040 eine Arbeitskräftelücke von rund 46.200 Personen ergibt. Darüber hinaus werden bis zum Jahr 2040 in sieben weiteren von insgesamt 37 Berufshauptgruppen die Zahl der zur Verfügung stehenden Erwerbspersonen nicht ausreichen, um den Bedarf an Erwerbstätigen zu decken. Die stärksten Engpässe werden sich neben den bereits genannten Berufshauptgruppen in den „Reinigungsberufen“ (-100.200 Personen), den „Schutz-, Sicherheits- und Überwachungsberufen“ (-40.700 Personen) und den „Tourismus-, Hotel- und Gaststättenberufen“ (-26.200 Personen) zeigen. Dagegen wird in den übrigen 26 der 37 Berufshauptgruppen im Jahr 2040 ein ausreichendes Arbeitsangebot zur Verfügung stehen. Dabei werden in der „Unternehmensführung und -organisation“ und den „Finanzdienstleistungen, Rechnungswesen und Steuerberatung“ sowie den „Einkaufs-, Vertriebs- und Handelsberufen“ die Arbeitskräfteüberhänge am höchsten ausfallen.

Zur Beurteilung der beruflichen Arbeitsmarktsituation greift eine Bilanzierung von Angebot und Bedarf auf Personenebene jedoch zu kurz. Zum einen wird dadurch die Bilanz der angebotenen und nachgefragten Arbeitsstunden außen vorgelassen. Gerade in Berufen mit einem hohen Teilzeitanteil besteht bei den Beschäftigten oftmals der Wunsch nach Mehrarbeit, sodass das Arbeitsangebot mit einer Betrachtung nach Köpfen unterschätzt wird. Zum anderen können Erwerbspersonen statistisch nur dem Arbeitsangebot eines Berufes zugerechnet werden. Tatsächlich ergeben sich jedoch über die berufliche Flexibilität (s. o.) Beschäftigungsmöglichkeiten in mehreren Berufen. In Berufen, in welchen keine rechtlichen Zugangsbeschränkungen vorliegen, könnte das potenzielle Arbeitsangebot entsprechend höher sein, als durch die Arbeitsmarktbilanz nach Köpfen ausgewiesen. Darüber hinaus hängt die Beschäftigungssuche von Individuen wie auch die Rekrutierungssituation von Betrieben von weiteren Nebenbedingungen (z. B. Produktionsprozesse oder Attraktivität der Arbeitsplätze) ab, die damit keine Berücksichtigung finden. Im Folgenden wird deshalb mit der adjustierten Suchdauer ein Indikator vorgestellt, welcher den zukünftigen Aufwand einer Personalrekrutierung für Betriebe verdeutlicht.

Die Fachkräftesituation im Beruf

Um einen Überblick über die mögliche Fachkräftesituation sowohl im Berufs- als auch im Zeitvergleich zu ermöglichen, wurde mit der sechsten Welle des QuBe-Projektes ein neuer Indikator zur Beurteilung der Fachkräftesituation entwickelt: die adjustierte Suchdauer. Die Suchdauer gibt im Rahmen eines (erfolgreichen) betrieblichen Stellenbesetzungsprozesses die Zeitspanne zwischen dem Beginn der Personalsuche und der Entscheidung für eine Person zur Besetzung der Stelle an. Sie umfasst daher den Zeitraum, in dem ein Betrieb Ressourcen aufwendet, um eine Person zu finden, die geeignet ist für die Ausübung der vakanten Position. Je länger sie andauert, desto eher ist die Stellenbesetzung für Betriebe mit Schwierigkeiten verbunden und desto höher ist das Risiko, die Stelle letzten Endes nicht zu besetzen (vgl. Maier/Steeg/Zika 2020).

Für die Modellierung dieses Indikators werden im QuBe-Projekt Angaben zu rund 30.000 Stellenbesetzungsprozessen (ohne Anlerntätigkeiten) aus den IAB-Stellenerhebungen der Jahre 2012 bis 2017 analysiert. Dabei zeigt sich, dass diese sich ebenso nach betrieblichen Faktoren und Stellenmerkmalen wie beispielsweise verwendeter Suchstrategie oder Betriebsgröße unterscheiden. Um die Suchdauern zur Beurteilung der Fachkräftesituation nach Berufen und Anforderungsniveau nutzbar zu machen, werden sie daher hinsichtlich dieser Einflussfaktoren adjustiert, sodass sie zwischen Berufen und Anforderungsniveaus vergleichbar sind. Diese mittleren adjustierten Suchdauern lassen sich signifikant über die Arbeitsmarktbilanz nach Stunden (Arbeitsvolumenquote) und die Zugangschancen in den Beruf (Substitutionsindikator) erklären. Anhand der Projektion dieser Indikatoren lassen sich damit ebenfalls die voraussichtlichen mittleren adjustierten Suchdauern in einer Stellenbesetzung oberhalb des Anlernniveaus berufs- und anforderungsniveauspezifisch projizieren.

Modellierung adjustierter Suchdauern

Die adjustierte Suchdauer gibt den Aufwand in Tagen wieder, den ein Betrieb benötigt, um eine geeignete Person für die Besetzung einer vakanten Position zu finden. Je länger die mittlere adjustierte Suchdauer in einem Beruf ist, desto schwieriger gestaltet sich damit die Stellenbesetzung und desto wahrscheinlicher ist es zudem, dass die Suche erfolglos abgebrochen wird.

Die Modellierung der adjustierten Suchdauern basiert auf Angaben zu knapp 30.000 erfolgreichen Stellenbesetzungsprozessen (ohne Stellen von Anlerntätigkeiten) aus den IAB-Stellenerhebungen 2012 bis 2017 (vgl. Bossler u. a. 2020). Dabei wird ein zweistufiges Verfahren verfolgt: Zunächst wird mittels eines Ereignisdatenmodells die Suchdauer aus der IAB-Stellenerhebung anhand der folgenden Kovariaten erklärt: Betriebsgröße, Branche, Region, Suchstrategie, Turnover-Rate, vorheriger Status der eingestellten Person, Anforderungsniveau der Stelle, ob es Schwierigkeiten bei der Stellenbesetzung gab sowie ob der ausgeschriebene Beruf von der BA im betreffenden Jahr als Engpassberuf klassifiziert wurde (vgl. Statistik der BA 2019b). Anhand dieses Ereignisdatenmodells wird anschließend die Median-Suchdauer geschätzt und nach Berufsgruppen, Berufshauptgruppen sowie Anforderungsniveaus zusammengefasst. Diese durch das Ereignisdatenmodell geschätzte und zusammengefasste Median-Suchdauer wird als adjustierte Suchdauer bezeichnet, da sie die in der IAB-Stellenerhebung beobachtete Suchdauer hinsichtlich der Einflüsse der erklärenden Variablen bereinigt und somit zwischen Berufen und Anforderungsniveaus vergleichbar macht.

In einem zweiten Schritt wird anhand eines Paneldatenmodells der Zusammenhang zwischen der adjustierten Suchdauer nach Berufsgruppen und Anforderungsniveaus in den Jahren 2012 bis 2017 und den beiden Indikatoren der Arbeitsvolumenquote und dem Substitutionsindikator modelliert. Durch die Projektion der Arbeitsvolumenquote und des Substitutionsindikators lässt sich anhand des Panelmodells ebenfalls die Veränderung der adjustierten Suchdauer prognostizieren. Eine detaillierte Beschreibung des Vorgehens und der Ergebnisse findet sich in Maier/Steeg/Zika 2020.

Arbeitsvolumenquote und -volumenpotenzial

Die Arbeitsvolumenquote setzt das Arbeitsvolumenpotenzial mit den erbrachten Arbeitsstunden der Erwerbstätigen ins Verhältnis. Das Arbeitsvolumenpotenzial stellt dabei die maximal angebotenen Arbeitsstunden der Erwerbspersonen dar. Es ist ein hypothetisches Konstrukt, das angibt, wie groß das Arbeitsangebot, gemessen in Stunden, tatsächlich ist. Zur Berechnung dieses Konstruktes wird im Mikrozensus auf die Zahl der maximal gewünschten wöchentlichen Arbeitsstunden in den letzten fünf Jahren zurückgegriffen, sofern diese über den regelmäßig tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden liegen (vgl. Zika u. a. 2012, S. 8).

Substitutionsindikator

Der Substitutionsindikator berücksichtigt, inwieweit Personen mit fachfremder oder fehlender Qualifikation befähigt sind, einen bestimmten Beruf auszuüben. Somit dürfen bestimmte Tätigkeiten, beispielsweise im medizinischen Bereich, lediglich von Personen mit einer entsprechend einschlägigen Qualifikation ausgeübt werden. Der Substitutionsindikator entspricht dabei dem Anteil der Erwerbspersonen, die einen Beruf innerhalb der übergeordneten Berufshauptgruppe erlernt haben, an allen Erwerbspersonen innerhalb einer Berufsgruppe (ausübend bzw. anstrebend). Je höher dieser Anteil ausfällt, desto geringer ist die Substituierbarkeit.

Insgesamt beträgt die mittlere Suchdauer über alle Berufe und Anforderungsniveaus hinweg (oberhalb von Anlerntätigkeiten) im Jahr 2020 rund 64 Tage. Bis zum Ende des Projektionshorizonts im Jahr 2040 ändert sich diese nur geringfügig. Dagegen zeigen sich in einzelnen Berufshauptgruppen (2-Steller der KldB 2010) und Anforderungsniveaus deutliche Veränderungen. In Schaubild A10.2-2 sind die mittleren adjustierten Suchdauern nach Berufshauptgruppen für Fachkraft- (grün), Spezialisten- (orange) und Expertentätigkeiten (blau) für die Jahre 2020 (Quadrate), 2030 (Kreuze) und 2040 (Dreiecke) dargestellt. Dabei werden Kombinationen, in denen weniger als 10.000 Personen erwerbstätig sind, ausgeblendet.

Schaubild A10.2-2: Entwicklung der mittleren adjustierten Suchdauer nach Anforderungsniveau und A10 Berufshauptgruppe 2019 bis 2040 (in Tagen)

Die mittlere adjustierte Suchdauer wird den Ergebnissen zufolge bis 2040 in den „Mechatronik-, Energie- und Elektroberufen“, Berufen der „Informations- und Kommunikationstechnologie“ (IKT) sowie den medizinischen und nicht medizinischen Gesundheitsberufen, Körperpflege- und Wellnessberufen sowie der Medizintechnik bei oberhalb von drei Monaten liegen. Dabei fällt der Anstieg ab 2019 in den IKT-Berufen sowie den „Medizinischen Gesundheitsberufen“ besonders stark aus, während in den „Mechatronik-, Energie- und Elektroberufen“ das Niveau von 2019 beibehalten wird. Schaubild A10.2-2 verdeutlicht dabei, dass sich der betriebliche Aufwand für eine Stellenbesetzung zwischen den Anforderungsniveaus innerhalb einer Berufshauptgruppe stark unterscheiden kann. So zeigt sich, dass die mittlere adjustierte Suchdauer tendenziell mit dem Anforderungsniveau steigt. Dies gilt insbesondere für die IKT-Berufe, die „Bauplanung, Architektur und Vermessung“ sowie die „Technische Forschung, Entwicklungs-, Konstruktions- und Produktionssteuerungsberufe“. In Letzteren liegt im Jahr 2019 die mittlere adjustierte Suchdauer für Expertentätigkeiten mit 93 Tagen um mehr als drei Wochen oberhalb der von Fachkrafttätigkeiten.

Jedoch gibt es ebenso Berufshauptgruppen, in denen Betriebe bei der Besetzung von Fachkraftpositionen einen höheren Aufwand haben als für Spezialisten- und Expertenstellen. Dies trifft insbesondere auf die „Nicht medizinischen Gesundheitsberufe, Körperpflege, Wellness, Medizintechnik“ zu, die u. a. die Altenpflege enthalten, sowie auf die Fahrzeugführung und die Metallberufe zu. Starke Anstiege der mittleren adjustierten Suchdauer für Fachkraftstellen werden zwischen 2019 und 2040 in den medizinischen und nicht medizinischen Gesundheitsberufen (9 bzw. 5 Tage) sowie den „Schutz-, Sicherheits- und Überwachungsberufen“ (5 Tage) erwartet.

Auf Ebene der Spezialisten- und Expertenstellen wird sich insbesondere in den IKT-Berufen sowie den medizinischen Gesundheitsberufen die Fachkräftesituation aus Sicht der Betriebe verschlechtern. So ist in letzteren mit einem Anstieg der mittleren adjustierten Suchdauer von fünf bzw. vier Tagen auszugehen. Auf Expertenebene betrifft dies insbesondere die Berufe der Human- und Zahnmedizin. Für IKT-Expertentätigkeiten wird sich die mittlere adjustierte Suchdauer vom bereits hohen Niveau von 121 Tagen in 2019 bis 2040 um weitere 16 Tage erhöhen. Für Spezialistentätigkeiten ist mit einem Anstieg von elf Tagen auf 95 Tage in 2040 zu rechnen.

Eine Reduzierung der mittleren adjustierten Suchdauer und damit eine Entspannung der Fachkräftesituation wird im Projektionszeitraum bei allen drei betrachteten Anforderungsniveaus in den Berufshauptgruppen der „Unternehmensführung und -organisation“ sowie Berufen der „Finanzdienstleistungen, Rechnungswesen und Steuerberatung“ erwartet. Während sich dieser Rückgang in der „Unternehmensführung und -organisation“ verstärkt auf Ebene der Fachkraft- (-7 Tage) und Spezialistentätigkeiten (-5 Tage) zeigt, stellt sich in den Berufen der „Finanzdienstleistungen, Rechnungswesen und Steuerberatung“ für Spezialisten (-7 Tage) und Experten (-6 Tage) in 2040 eine entspanntere Fachkräftesituation als in 2019 dar. Als Grund für diese Entwicklungen ist analog zur Verschärfung der Fachkräftesituation in den IKT-Berufen die fortschreitende Digitalisierung als relevanter Faktor zu betrachten. Auf Expertenebene kommt es zudem in der Berufshauptgruppe der „Gebäude-, Versorgungstechnik“ mit sieben Tagen zu einer erheblichen Reduzierung der mittleren adjustierten Suchdauer und fällt in 2040 damit auf ein Niveau von 75 Tagen.

Detaillierte Ergebnisse zur Entwicklung der mittleren adjustierten Suchdauer stehen differenziert bis zur Ebene der 3-Steller der KldB 2010 im QuBe-Datenportal zur Einsicht und zum Download bereit.

Fazit

Die Basisprojektion der sechsten Welle des QuBe-Projektes zeigt einen konsistenten Entwicklungspfad für die Wirtschaft und den Arbeitsmarkt in Deutschland bis zum Jahr 2040 auf. Dabei werden die in der Vergangenheit erkennbaren Verhaltensweisen fortgeschrieben und darüber hinaus die von der Bundesregierung verabschiedeten Maßnahmen zur Unterstützung des Klimas (vgl. Mönnig u. a. 2020a) und der Konjunktur (vgl. Wolter u. a. 2020) berücksichtigt. Die wirtschaftlichen Folgen im Jahr 2020 im Zuge der COVID-19-Krise werden dabei als externer Schock berücksichtigt, der keine langfristigen Verhaltensänderungen nach sich ziehen wird.

Die QuBe-Bevölkerungsprojektion zeigt auf, dass sich bis 2040 der Anteil der nicht erwerbsfähigen Bevölkerung im Vergleich zur erwerbsfähigen Bevölkerung (15 bis 69 Jahre) an der Gesamtbevölkerung erhöhen wird. Diese veränderte Bevölkerungsstruktur führt zukünftig zu einem erhöhten Bedarf an Betreuungs-, Erziehungs- und Pflegeleistungen. Diese Entwicklung sowie der wirtschaftliche Strukturwandel spiegeln sich in den zukünftigen berufsspezifischen Arbeitsbedarfen wider. So werden in Zukunft in stärkerem Maße Erwerbstätige in Dienstleistungsberufen benötigt, wozu insbesondere die Lehr-, Erziehungs- und Gesundheitsberufe zählen. Aus diesem Grund wird im Jahr 2040 das Gesundheits- und Sozialwesen mit rund sieben Mio. Personen die meisten Erwerbstätigen stellen. Auch die berufsspezifische Qualifikationsstruktur wird sich aufgrund des sektoralen Wandels der Wirtschaft verändern. Die auf den Arbeitsmarkt drängenden Generationen sind verstärkt in Dienstleistungstätigkeiten qualifiziert, während die aus dem Erwerbsleben ausscheidenden Generationen ihren beruflichen Schwerpunkt in produzierenden Berufen hatten.

Trotz oder gerade wegen dieser Entwicklungen zeichnen sich auf Berufsebene zunehmend Schwierigkeiten in der Personalrekrutierung ab. Dies zeigt sowohl die Bilanzierung des Arbeitskräfteangebots mit dem -bedarf als auch die Projektion der berufsspezifischen Suchdauer. Bei den Fachkräften sind Rekrutierungsschwierigkeiten für die Betriebe insbesondere in den medizinischen und nicht medizinischen Gesundheitsberufen zu erwarten. Hier wächst die Zahl der neuen Stellen stärker an als das Angebot. Es müssen deshalb mehr Ressourcen aufgewandt werden, um die entsprechenden Stellen zu besetzen. Um das Nettoneuangebot an Personen mit einem beruflichen Abschluss zu erhöhen, welche üblicherweise Fachkrafttätigkeiten ausüben, müssten die Erfolgsquoten, insbesondere von Personen nichtdeutscher Nationalität, in den beruflichen Bildungsstätten erhöht werden. Zugleich könnten Fachkräfteengpässe auch durch entsprechende Zuwanderungsanreize behoben werden. Bei den Expertentätigkeiten wird sich im Jahr 2040 für die Betriebe vor allem die Rekrutierung in den IKT-Berufen sowie den „Mechatronik-, Energie- und Elektroberufen“ erschweren.

(Stefanie Steeg – Bundesinstitut für Berufsbildung, Christian Schneemann – Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung)

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    Die KldB 2010 umfasst insgesamt 144 Berufsgruppen. Die Angehörigen der regulären Streitkräfte werden jedoch in den Projektionsergebnissen nicht nach Rang unterschieden, sodass nur 141 Berufsgruppen ausgewiesen werden.