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Hintergrund

Durch die mediale Vermittlung von Lerninhalten ermöglicht Fernlernen eine weitgehende Orts- und Zeitunabhängigkeit des Lernens. Zu den adressierten Zielgruppen zählen daher insbesondere Erwerbstätige, die sich berufsbegleitend (weiter-)bilden möchten, mobilitätseingeschränkte Personen, Menschen in der Familienphase oder Strafgefangene.

Die Anfänge von Fernlernen (im 19. Jahrhundert: Korrespondenzlernen, später: Fernunterricht; englisch: Distance Learning) lassen sich in die beginnende Industrialisierung in der Mitte des 19. Jahrhunderts datieren. Dabei wurde es in Deutschland über einen langen Zeitraum nahezu ausschließlich von kommerziell agierenden, nicht akademischen (Bildungs-)Anbietern eingesetzt, um eine vorrangig individuelle Nachfrage zu bedienen. Im Zuge der bundesrepublikanischen Bildungsexpansion Anfang der 1970er-Jahre stieg das Interesse an entsprechenden Bildungsangeboten. Dabei zeigte sich eine weitverbreitete Diskrepanz zwischen den anbieterseitigen Geschäfts- und den nachfrageseitigen Bildungsinteressen. In der Folge wurde 1977 das Fernunterrichtsschutzgesetz (FernUSG) als Verbraucherschutzgesetz verabschiedet (vgl. z. B. Dieckmann/Zinn 2017).

Definition von Fernunterricht gemäß Fernunterrichtsschutzgesetz (FernUSG)

„Fernunterricht im Sinne des Gesetzes ist die auf vertraglicher Grundlage erfolgende, entgeltliche Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten, bei der

  1. der Lehrende und der Lernende ausschließlich oder überwiegend räumlich getrennt sind und
  2. der Lehrende oder sein Beauftragter den Lernerfolg überwachen“ (§ 1, Abs. 1 FernUSG, https://www.gesetze-im-internet.de/fernusg/__1.html).

Alle Bildungsangebote, die der o. g. gesetzlichen Definition entsprechen, sind seither gemäß FernUSG durch die Staatliche Zentralstelle für Fernunterricht (ZFU) zulassungspflichtig. Im Zuge ihres Zulassungsverfahrens prüft sie, ob das vorgelegte Lehrgangsmaterial die Erreichung der Bildungsziele ermöglicht. Bei Fernlehrgängen, die bundeseinheitlich geregelte berufsbezogene Inhalte vermitteln, holt sie i. d. R. zusätzlich eine fachliche Stellungnahme des BIBB ein. Weitere gesetzliche Aufgaben des BIBB ergeben sich aus § 90 Abs. 3 Nr. 4 BBiG. Demzufolge soll es durch zusätzliche eigene Aktivitäten „zur Verbesserung und Ausbau des berufsbildenden Fernunterrichts“291 beitragen.

War die Differenzierung zwischen Präsenz- und Fernlernen in der „analogen“ Welt relativ eindeutig, so lässt sich im Zuge der Digitalisierung eine zunehmende Konvergenz dieser einst unterschiedlichen didaktischen Ansätze beobachten: So führt die technologische Entwicklung zu einem veränderten Verständnis von „Präsenz“. Als solche gilt inzwischen auch die synchrone (zeitgleiche) digitale Vermittlung von Lerninhalten, bei der sich Teilnehmende zu einem festgelegten Datum bei einer vorgegebenen Webadresse einloggen müssen (z. B. zu einem Webinar). Dies hat zur Folge, dass es inzwischen eine Vielzahl von digitalisierten Bildungsangeboten gibt, die nicht als Fernlernen (im Sinne der gesetzlichen Definition) gelten, da ihr Präsenzanteil mehr als die Hälfte des Lehrgangsumfangs ausmacht.

Distance Education an Hochschulen

Im Unterschied zum nicht akademischen Fernlernen und auch im internationalen Vergleich gewann die Distance Education an bundesdeutschen Hochschulen erst relativ spät an Bedeutung. Als ein zentraler Meilenstein ist dabei die Gründung der FernUniversität in Hagen 1974 anzusehen (vgl. Lehmann 2012). Im Zuge ihrer – bildungspolitisch durch Programme wie dem Bund-Länder-Wettbewerb: „Aufstieg durch Bildung: Offene Hochschulen“292 forcierten – Öffnung setzen Hochschulen inzwischen zunehmend didaktische Formate ein, die ein berufsbegleitendes Studieren ermöglichen. Neben Teilzeit- und Abendstudien erfolgt dies vor allem in Form von didaktischen Formaten, die (kurze) Präsenzphasen und digital und medial unterstützte Selbstlernphasen ermöglichen. Dies hat zur Folge, dass in der wissenschaftlichen Weiterbildung „der Anteil der Fernlehre […] in den letzten zehn Jahren zugenommen hat“ (Wissenschaftsrat 2019, S. 46).

Da gemäß FernUSG im Hochschulsektor ausschließlich auf privatrechtlicher Basis durchgeführte Fernstudienangebote zulassungspflichtig sind, ist dessen Definition den staatlichen Hochschulen, die auf öffentlich-rechtlicher Basis agieren, vielfach unbekannt. Unter dem Rubrum „Distance Education“ fungieren daher unterschiedliche didaktische Formate mit unterschiedlich lang ausgeprägten Präsenz- und Selbstlernphasen. Zwar ist zur Charakterisierung dieser Formate der Begriff „Blended Learning“ inzwischen weit verbreitet, doch wird auch er sehr uneinheitlich verwendet, sodass die letztendlich gewählte Bezeichnung vom jeweiligen Sprachgebrauch der einzelnen Hochschule abhängt (z. B. spricht die FernUniversität in Hagen inzwischen nicht mehr von „Fernstudium“, sondern von „Blended Learning“, um ihr didaktisches Studienformat zu charakterisieren).

Datenlage

Innerhalb des Spektrums der ansonsten weitgehend unregulierten organisierten Weiterbildung stellen die gesetzlichen Bestimmungen des FernUSG eine Besonderheit dar. Sie ermöglichen im privatwirtschaftlichen Bereich die trennscharfe Bestimmung eines Segmentes, das, insbesondere im nicht akademischen Bereich, in Bezug auf den Einsatz von (inzwischen digitalen) Bildungsmedien und -technologien durchaus als Vorreiter gelten kann. Aufgrund der Zulassungspflicht liegen der ZFU umfangreiche Angaben zu dem bei ihr registrierten Bildungsangebot vor. Demzufolge führten im Zeitraum 01.01.–31.12.2019 insgesamt 411 Anbieter 3.876 Bildungsangebote durch, die den Kriterien des FernUSG entsprechen (davon 473 hochschulische Studien- und Zertifikatsangebote und weitere 320, die als sogenannte Hobbylehrgänge der Freizeitgestaltung dienen). Gut die Hälfte der übrigen 3.081 nicht akademischen Bildungsangebote schließt mit einem non-formalen Teilnahmezertifikat des Anbieters ab.

Darüber hinaus erlaubt auch die seit Mitte der 1980er-Jahre jährlich auf freiwilliger Basis bei den Anbietern entsprechender Bildungsangebote erhobene Fernunterrichtsstatistik Einschätzungen zur Angebots- und Teilnahmeentwicklung in diesem Feld. Diese wird – nach einer umfassenden Revision und Umbenennung in „Strukturdaten Distance Learning/Distance Education“ – seit 2016 jährlich durch das BIBB erhoben.293

Neben dem durch das FernUSG definierten akademischen und nicht akademischen Anbieterkreis werden seither zusätzlich auch staatliche Hochschulen in die Befragung einbezogen, um Aufschluss über deren Distance Education zu gewinnen. Da diese im Rahmen der wissenschaftlichen Weiterbildung zunehmend an Bedeutung gewinnt (vgl. z. B. Wissenschaftsrat 2019), erlauben die Daten auch einen ersten Einblick in ein hochschulisches Handlungsfeld, zu dem bislang kaum Daten vorliegen.294

(Angela Fogolin)