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Seit der Jahrtausendwende zeigt sich, dass immer mehr junge Menschen an die Fachhochschulen und Universitäten drängen. Das vermehrte Angebot an Akademikerinnen und Akademikern und der Wandel hin zu einem zweistufigen Hochschulsystem seit der Bologna-Erklärung im Jahr 1999 verändert die Qualifikationsstruktur des neu auf den Arbeitsmarkt kommenden Arbeitsangebots. Offen ist, inwieweit diese bildungspolitisch initiierten Veränderungen die Rekrutierungspräferenzen von Betrieben beeinflussen. Gemäß der Einordnung des DQR qualifizieren sowohl Bachelorabschlüsse als auch Aufstiegsfortbildungen (z. B. zum/zur Meister/-in, Techniker/-in und Betriebswirt/-in) für vergleichbare Tätigkeits- und Verantwortungsbereiche auf Niveaustufe sechs. Trotz dieser formalen Gleichwertigkeit deutete die bisherige Forschungslage (vgl. z. B. Bott/Wünsche 2014; Elsholz/Jaich/Neu 2018; Kapitel C4.1) darauf hin, dass beide Ausbildungswege zwar zu gehobenen Fachkräftepositionen (z. B. Projektleitungen) führen, die jeweiligen Aufstiegschancen sich aber nach Branche und Tätigkeit unterscheiden. Offen war jedoch, wie diese Unterschiede erklärt werden können und wie sich Betriebe entscheiden, wenn sie tatsächlich zwischen Bewerberinnen und Bewerbern unterschiedlicher Qualifizierungswege wählen können. Das Ziel des Forschungsprojektes „Bachelorabschlüsse in Konkurrenz zu Berufs- und Fortbildungsabschlüssen? Eine Analyse betrieblicher Präferenzen“ war es deshalb, die Diskussion um Verdrängungsprozesse von beruflich durch akademisch Qualifizierte am Arbeitsmarkt zu erweitern. Hierfür wurde eine quantitative kausalanalytische Untersuchung zu den betrieblichen Einstellungspräferenzen vorgenommen.

In zwei Betriebsbefragungen – dem RBS des BIBB und dem BIBB-Qualifizierungspanel (Kapitel A7.3, Kapitel C3.6 und C3.7) – wurden Vignettenexperimente mit Personalverantwortlichen durchgeführt, indem sie gebeten wurden, mögliche Rekrutierungssituationen zu bewerten. In einem Choice-Experiment mit 278 Betrieben des RBS stand das Konkurrenzverhältnis zwischen dual Studierenden und Fortgebildeten im Fokus. Ausbildungsintegrierende Studiengänge verbinden geregelte Ausbildungen nach BBiG/HwO mit einem Studium curricular miteinander, während praxisintegrierende Studiengänge die Studierenden für längere Praxisphasen in Betriebe integrieren und die Praxisanteile in Studienleistungen einfließen lassen (vgl. Wissenschaftsrat 2013, S. 9ff.). Die betrieblichen Entscheider/-innen wählten zwischen drei Bewerberinnen und Bewerbern eine Person für eine Projektleitung aus. Die Bewerber/-innen unterschieden sich in der Ausbildungsform (ausbildungs- oder praxisintegrierendes Bachelorstudium oder Aufstiegsfortbildung), dem Ausbildungsort (betriebsintern, -extern), der Berufserfahrung (betriebsintern, -extern), Abschlussnote und fachlichen Passung.

Das Referenz-Betriebs-System (RBS)

Beim RBS handelt es sich um ein Access-Panel, d. h., es wurde ein stabiler Pool von Betrieben aufgebaut, die sich bereit erklärt haben, dem BIBB für Befragungen zur Verfügung zu stehen. Dies erlaubt schnelle und zuverlässige Analysen zu aktuellen Themen. Derzeit werden rund 1.400 Betriebe etwa ein- bis zweimal im Jahr zu aktuellen Fragestellungen der betrieblichen Berufsbildung befragt. Für ausführliche Informationen www.bibb.de/de/12471.php.

Vignettenexperimente

Vignettenexperimente bieten den Vorteil, dass sie „die Vorteile der Umfrageforschung mit denen experimenteller Designs verbinden“ (Auspurg/Hinz/Liebig 2009, S. 59). Dabei werden den Befragten Objekt-, Situations- oder Personenbeschreibungen vorgelegt, für die sie eine entsprechende Einordnung treffen sollen. Indem in den vorgelegten Vignetten bestimmte Beschreibungsmerkmale experimentell variiert werden, lässt sich herausfiltern, welche Merkmalsausprägungen für eine letztendliche Entscheidung relevant sind. Aufgrund des experimentellen Charakters, können die gemessenen Effekte kausal interpretiert werden.

Vignettenstudien wurden ursprünglich in der Psychologie und Marktforschung genutzt, werden inzwischen aber auch in den Sozialwissenschaften immer häufiger verwendet. Dabei kann die Bewertung der einzelnen Vignetten durch die Befragten auf verschiedene Arten erfolgen: Die Befragten beurteilen jede einzelne Vignette nacheinander und weitgehend unabhängig voneinander (der sogenannte Faktorielle Survey) oder sie wählen aus verschiedenen Alternativen die von ihnen am meisten präferierte Vignette aus und müssen sich somit für eine von mehreren entscheiden (sogenannte Choice-Experimente) (vgl. Auspurg/Liebe 2011). Für das Forschungsprojekt „Bachelorabschlüsse in Konkurrenz zu Berufs- und Fortbildungsabschlüssen? Eine Analyse betrieblicher Präferenzen“ wurden beide Verfahren angewendet.

In einer Online-Nachbefragung des BIBB-Qualifizierungspanels 2017 wurde ein Faktorieller Survey angewandt. Hier schätzten die Entscheider/-innen aus 738 Betrieben die Einstellungschance eines Bewerbers/einer Bewerberin für eine Stelle mit bestimmten fachlichen Aufgaben und entsprechender Verantwortung ein. Die Vignetten wurden für acht unterschiedliche Berufsbereiche zugeschnitten. Die jeweilige Rekrutierungssituation unterschied sich in der Anzahl und Qualifikation alternativer Bewerber/-innen, dem Abschluss (Berufsausbildung, Aufstiegsfortbildung, Bachelor- oder Masterabschluss) und der Berufserfahrung des/der konkreten Bewerbers/Bewerberin. Im Gegensatz zum Choice-Experiment standen hier „reguläre“ und keine dualen Studiengänge im Fokus.

Im Ergebnis lässt sich in beiden Erhebungen feststellen, dass Personen mit Aufstiegsfortbildung und Bachelorabschluss bei der Besetzung von Projektleitungspositionen konkurrieren. Dabei ist weniger die konkrete fachliche Tätigkeit oder die Branche des Betriebs entscheidend. Die jeweilige Präferenz des Betriebes für einen Bewerber/eine Bewerberin wird vor allem von seiner betrieblichen Ausbildungsstrategie bestimmt. Zudem kann die Berufserfahrung des Bewerbers/der Bewerberin subjektiv empfundene formale Qualifikationsnachteile ausgleichen.

Ergebnisse des Choice-Experiments im RBS

Das Choice-Experiment zeigt uns, welche Eigenschaften signifikant zu einer erhöhten Auswahlwahrscheinlichkeit von Bewerbern und Bewerberinnen beitragen. Hierfür wurden konditionale Logit-Modelle (vgl. McFadden 1973) berechnet und die Veränderung der Auswahlwahrscheinlichkeiten im Vergleich zu einer Referenzperson betrachtet (vgl. Maier/Steeg 2019). Die Referenzperson hat eine Aufstiegsfortbildung im eigenen Betrieb mit der Note „befriedigend“ in einem teilweise übereinstimmenden Aufgabenbereich abgeschlossen und noch keine weitere Berufserfahrung gesammelt. Schaubild C4.1-1 zeigt auf, um wie viele Prozentpunkte sich die Auswahlwahrscheinlichkeit für diese Referenzperson ändert, wenn sie beispielsweise einen anderen Abschluss oder mehr Berufserfahrung aufweisen würde. Für die Analyse wurden die Betriebe getrennt nach ihrer Ausbildungsstrategie untersucht. So wurden zum einen Betriebe betrachtet, die ausschließlich Fortbildungen förderten und daher keine praktische Erfahrung mit dem Bildungsweg des dualen Studiums hatten (blaue Balken in Schaubild C4.1-1). Die zweite Gruppe umfasste solche, die (auch) dual Studierende ausbildeten und daher mit dieser Qualifikationsform vertraut waren (grüne Balken in Schaubild C4.1-1). Zuletzt wurde die Analyse für Betriebe durchgeführt, welche keinen der beiden Qualifizierungswege förderten (graue Balken in Schaubild C4.1-1).

Schaubild C4.1-1: Effekte der Bewerbercharakteristika auf die Auswahlwahrscheinlichkeit für eine Projektleitungsposition

In Betrieben, die ausschließlich Fortbildungen förderten, hatten Personen mit einem praxisintegrierenden Bachelorstudium eine signifikant um 7,2 Prozentpunkte verringerte Auswahlwahrscheinlichkeit auf eine Projektleitungsposition im Vergleich zu Personen mit einer Fortbildung. Diese Betriebe bevorzugten auch bei einer externen Rekrutierung Personen mit Aufstiegsfortbildung gegenüber Bachelorabsolventen und -absolventinnen im dualen Studium. Des Weiteren zeigte sich ein starker, signifikanter Effekt bei der Abschlussnote. Bei Betrieben, die Erfahrung mit dual Studierenden hatten, wurden Bewerber/-innen aus dualen Studiengängen annähernd gleich häufig für eine Projektleitungsposition gewählt, wie Personen mit einer Fortbildung. Auch der Effekt der Berufserfahrung war weitaus geringer, wohingegen der Effekt einer sehr guten Abschlussnote auf etwa dem gleichen Niveau lag. Bei Betrieben ohne Förderung eines der beiden Qualifikationswege zeigte sich in der Einstellungspräferenz ebenfalls kein Unterschied hinsichtlich der Abschlussart der Bewerber/-innen. Die Berufserfahrung und die Abschlussnote spielten hingegen eine signifikante Rolle.

Ergebnisse des Faktoriellen Surveys im BIBB-Qualifizierungspanel

Die Implementierung eines Faktoriellen Survey Designs mit einer umfangreicheren Anzahl an Merkmalen in den Vignetten und einer inhaltlichen Anpassung an die Betriebe wurde als Online-Nachbefragung des BIBB-Betriebspanels zu Qualifizierung und Kompetenzentwicklung des Jahres 2017 (kurz: BIBB-Qualifizierungspanel) durchgeführt. Durch die gesteuerte Online-Nachbefragung teilnahmebereiter Betriebe war es möglich, die simulierten Rekrutierungssituationen innerhalb des Faktoriellen Surveys an strukturelle Gegebenheiten der Betriebe anzupassen und dadurch auf Berufsbereiche auszurichten, die für die Fragestellung von besonderem Interesse sind. Gewählt wurden die Berufsbereiche „Elektrotechnik (Betriebstechnik)“, „Metalltechnik“, „Informatik (Programmierung)“, „Baudurchführung“, „Chemische Produktion“, „Einzelhandel“, „Finanzen/Banken“ und „Heilerziehung/Heilpädagogik“ weil hierfür im Bildungssystem sowohl Aus- und Fortbildungen wie auch Bachelor- und Masterstudiengänge angeboten werden. Das besondere Interesse des Faktoriellen Surveys galt dem Auswahlverhalten der Betriebe für die Besetzung von Stellen mit bestimmten fachlichen Tätigkeiten. Die Stellenbeschreibung wurde deshalb sowohl für berufstypische Tätigkeiten ausgelegt, die als „Fachkrafttätigkeiten“ bezeichnet werden können, sowie für Tätigkeiten, die eine hohe Fachkenntnis bzw. Spezialisierung erfordern und in den Prüfungsordnungen der entsprechenden Aufstiegsfortbildungen zu finden sind, als auch für planerische, prozessbezogene Tätigkeiten. Die Befähigung hierzu sollte eher in Studiengängen vermittelt werden, da sie einen stärkeren theoretischen/wissenschaftlichen Fokus haben (vgl. Maier/Mergener/Steeg 2020).

Schaubild C4.1-2 gibt die durchschnittliche Rekrutierungschance für die jeweiligen Tätigkeitsprofile nach formaler Qualifikation der Bewerber und Bewerberinnen wieder. Sollten bei der zu besetzenden Stelle hauptsächlich Kerntätigkeiten einer ausgebildeten Fachkraft ausgeübt werden, erhielten Bewerber und Bewerberinnen mit Fortbildungsabschluss die vergleichsweise höchsten durchschnittlichen Einstellungschancen. Da Personen mit einer Aufstiegsfortbildung in der Regel auch über eine abgeschlossene duale Berufsausbildung verfügen, ist dies nachvollziehbar. Dennoch ist es überraschend, dass auch Bachelor- (und Master-)absolventen und -absolventinnen für diese fachlichen Fähigkeiten eine signifikant höhere Einstellungschance als Ausbildungsabsolventen/-absolventinnen zuteilwurde. Bei Besetzungen von Stellen, bei denen Tätigkeiten mit hoher Spezialisierung und Fachkenntnis ausgeführt werden sollen oder die Prozessoptimierung und Lösungsstrategien erfordern, wurden jeweils Masterabsolventen/-absolventinnen bevorzugt. Zwischen Bachelorabsolventen/-absolventinnen und Fortgebildeten ergaben sich hier keine signifikanten Unterschiede. Die Rekrutierungswahrscheinlichkeit für diese beiden Tätigkeitsarten wird deshalb in Schaubild C4.1-3 getrennt nach den Ausbildungsstrategien der Betriebe betrachtet.

Schaubild C4.1-2: Auswahlwahrscheinlichkeiten (in %) nach formaler Qualifikation und geforderten fachlichen Tätigkeiten

Schaubild C4.1-3: Auswahlwahrscheinlichkeiten (in %) nach formaler Qualifikation bei Spezialisten- und prozessbezogenen Tätigkeiten nach betrieblicher Ausbildungsstrategie

Betriebe, die ausschließlich ein Studium im Berufsbereich förderten, bevorzugten für beide Tätigkeitsbereiche Bachelorabsolventen/-absolventinnen gegenüber Fortgebildeten. Bei Tätigkeiten, die eine hohe Spezialisierung bzw. Fachkenntnis erfordern, war die Rekrutierungschance von Bachelorabsolventen/-absolventinnen signifikant um fast 6 Prozentpunkte höher als bei Fortgebildeten. Bei Betrieben, die kein Studium im Berufsbereich förderten, ergaben sich hingegen keine signifikanten Unterschiede. Bei planerischen/prozessbezogenen Tätigkeiten wie z. B. das Optimieren von Prozessen und das Entwickeln innovativer Lösungsstrategien ergaben sich keine signifikanten Unterschiede nach Ausbildungsstrategie der Betriebe, wenngleich Betriebe, die ausschließlich eine Fort- und Weiterbildung im Berufsbereich förderten, hier Fortgebildete bevorzugten. Damit wurden sowohl Bachelorabsolventen und -absolventinnen für Tätigkeiten in Erwägung gezogen, deren Befähigungen explizit in Aufstiegsfortbildungen vermittelt werden, als auch Fortgebildete für Tätigkeiten, die stark planerisch und prozessorientiert sind und häufig in Studienordnungen Berücksichtigung finden.

Ebenso zeigte sich im Faktoriellen Survey in der Tendenz, dass Betriebe, die ein Studium im Berufsbereich förderten, Personen mit akademischen Qualifikationen für verantwortungsvollere Positionen im Betrieb höhere Chancen zuschrieben. Bei weniger Bewerbungen erhöhten sich für alle Kandidatinnen und Kandidaten die Einstellungschancen. Ob sich unter den alternativen Kandidaten/Kandidatinnen aber eher Fortgebildete oder Bachelorabsolventen und -absolventinnen befanden, spielte für die Bewertung der Einstellungschance hingegen keine Rolle. Die mengenmäßige Zunahme von Akademikerinnen und Akademikern auf dem Arbeitsmarkt verändert deshalb das Aufgabenspektrum von Aus- und Fortgebildeten nicht per se. Es hängt vielmehr davon ab, ob der entsprechende Betrieb ein Studium unterstützt.

Fazit

Die Ergebnisse des Forschungsprojektes unterstreichen, dass Personen mit einer Aus- und Fortbildung mit Bachelorabsolventen und -absolventinnen um Stellen konkurrieren. Im Gegensatz zu vorherigen Studien (vgl. z. B. Bott/Wünsche 2014; Elsholz/Jaich/Neu 2018) ergibt sich die neue Erkenntnis, dass die Entscheidung für oder gegen Kandidatinnen und Kandidaten mit einem bestimmten Abschluss nicht von dem Beruf und der Tätigkeit an sich abhängt, sondern von der Ausbildungsstrategie des Betriebes.

Für die Zukunft lässt sich vermuten, dass bei einer zunehmenden Förderung akademischer Bildungsformen durch Betriebe – auch durch duale Studienangebote – der betriebliche Aufstieg eher häufiger mit einem akademischen Bildungsweg gelingen wird. Unterstützen Betriebe eine akademische Qualifizierung, wie es insbesondere in Betrieben mit 200 und mehr Beschäftigten der Fall ist, sind sie geneigt, Personen mit akademischen Qualifizierungswegen gegenüber Fortgebildeten bei der Besetzung von Projektleitungspositionen zu bevorzugen. Für junge Menschen, die auf eine duale Ausbildung mit anschließender Aufstiegsfortbildung setzen, ergeben sich Karrierechancen eher in Betrieben, die explizit lediglich auf den beruflichen Qualifizierungsweg setzen. Dabei handelt es sich vorwiegend um kleinere Betriebe mit ca. 20 bis 99 Beschäftigten. Für dual ausgebildete Fachkräfte ist der berufliche Aufstieg auf eine Projektleitungsposition im Vergleich zu Personen mit Aufstiegsfortbildung oder Studienabschluss vergleichsweise schwerer, jedoch durchaus möglich. Sie benötigen allerdings mehr Berufserfahrung um mit Berufseinsteigerinnen und -einsteigern einer formal höherwertigen Qualifizierung konkurrieren zu können.

(Tobias Maier)