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Der folgende Abschnitt legt aktuelle Entwicklungen zur beruflichen Ausbildung von Jugendlichen mit Migrationshintergrund dar. Zuerst werden auf der Grundlage der Berufsbildungsstatistik Ergebnisse zur Ausbildungsbeteiligung von Jugendlichen ausländischer Staatsangehörigkeit berichtet, in einem zweiten Schritt Untersuchungsergebnisse zur Teilhabe von Jugendlichen mit Migrationshintergrund an beruflicher Ausbildung.

Migrationshintergrund

Berufsbildungsstatistik, Schulstatistik und integrierte Ausbildungsberichterstattung erfassen nicht den Migrationshintergrund, sondern die Staatsangehörigkeit. Auf dieser Datenbasis sind nur Aussagen zu Personen differenziert nach der Staatszugehörigkeit möglich.

Der Begriff „Migrationshintergrund“ erlaubt eine Differenzierung der Personen aus einem Zuwanderungskontext. Das in empirischen Erhebungen erfasste Merkmal Migrationshintergrund ist in der Regel ein Konstrukt aus mehreren Variablen, das auf je unterschiedliche Weise operationalisiert wird. Es ist daher erforderlich, die für die Definition von Migrationshintergrund jeweils verwendeten Kriterien und die Begründung ihrer Auswahl offenzulegen (vgl. Settelmeyer/Erbe 2010).

In den empirischen Untersuchungen des BIBB werden meist die aktuelle Staatsangehörigkeit und die Muttersprache (bzw. die als erste erlernte/-n Sprache/-n), teilweise auch das Geburtsland und in Deutschland verbrachte Zeiten erhoben (vgl. Settelmeyer/Erbe 2010), zum Teil auch der Fluchtmigrationshintergrund (BIBB-Datenreport 2019, Kapitel A8.1.1).

Die Ausbildungsbeteiligung der Wohnbevölkerung mit deutscher bzw. ausländischer Staatsangehörigkeit, die eine duale Berufsausbildung nach BBiG bzw. HwO beginnt, die sogenannte Ausbildungsanfängerquote (Erläuterung in Kapitel A5.8), unterscheidet sich weiterhin. Wenngleich die Ausbildungsanfängerquote ausländischer Jugendlicher 2019 im Vergleich zum Vorjahr nahezu unverändert bei 38,4% (2018: 38,7%) lag, war sie erneut deutlich niedriger als diejenige deutscher Jugendlicher (56,3%; 2018: 56,5%) (Kapitel A5.8, Tabelle A5.8-4). Die Ausbildungsanfängerquote männlicher Ausbildungsanfänger mit ausländischem Pass ist verglichen zum Vorjahr um einen Prozentpunkt auf 45,1 gesunken (2018 46,2%). Die Differenz zwischen den männlichen Ausbildungsanfängern mit deutschem und ausländischem Pass ist auch weiterhin beträchtlich und zudem deutlich höher als diejenige zwischen den Ausbildungsanfängerinnen. So lag 2019 die Ausbildungsanfängerquote männlicher Jugendlicher mit deutschem Pass mit 69,3% erheblich höher als die männlicher Jugendlicher mit ausländischem Pass mit 45,1%. Die Differenz zwischen den Ausbildungsanfängerinnen fiel auch 2019 geringer aus (deutsche Nationalität 42,7%; ausländische Nationalität, 29,4%). Im Vergleich zum Vorjahr zeigt sich bei deutschen Ausbildungsanfängerinnen kaum eine Veränderung (2019:42,7%, 2018: 43,5%). Demgegenüber ist die Ausbildungsanfängerquote ausländischer Ausbildungsanfängerinnen im Vergleich zum Vorjahr 2019 um rund einen Prozentpunkt angestiegen (2019: 29,4%, 2018: 28,2%) (Kapitel A5.8, Tabelle A5.8-4).

Ein größerer Anteil von Anfängern und Anfängerinnen im (Aus-)Bildungsgeschehen ohne deutschen Pass befand sich auch 2019 im Übergangsbereich. Nach den Daten der Integrierten Ausbildungsberichterstattung waren bei Berücksichtigung aller Bildungssektoren (Berufsausbildung, Erwerb der Hochschulreife (Sek II), Studium) von allen nicht deutschen Bildungsanfängern und Bildungsanfängerinnen 2019 31,4% im Übergangsbereich und damit deutlich mehr als der Durchschnitt aller Ausbildungsanfänger/-innen ohne deutsche Staatsangehörigkeit (16,7%) (Kapitel A4.1, Tabelle A4.1-2). Unterproportional waren Anfänger/-innen ohne deutsche Staatsangehörigkeit demgegenüber im Sektor „Berufsausbildung“ (12,9%) sowie im Sektor „Erwerb der Hochschulreife“ (6,5%) vertreten, überproportional hingegen im Sektor „Studium“ (Kapitel A4.1, Tabelle A4.1-2).

Da amtliche Statistiken keine Antworten geben können auf Fragen zum Übergang junger Menschen mit Migrationshintergrund in berufliche Ausbildung, wird hierfür auf Stichprobenerhebungen zurückgegriffen.

Nach der BA/BIBB-Bewerberbefragung 2020 (Kapitel A8.1 und A8.1.1) befanden sich am Jahresende 2020 29% der bei der BA registrierten Bewerber/-innen mit Migrationshintergrund in einer betrieblichen Berufsausbildung nach BBiG bzw. HwO, 28% der migrantischen Bewerber/-innen ohne Fluchterfahrung und 32% derjenigen mit Fluchterfahrung – im Vergleich zu 46% der Bewerber/-innen ohne Migrationshintergrund (Schaubild A8.1.1-2). Eine außerbetriebliche Ausbildung trägt bei migrantischen Bewerber/-innen nicht zu einer Kompensation ihrer geringeren Übergänge in eine betriebliche Ausbildung bei (Verbleib in einer außerbetrieblichen Ausbildung: ohne Migrationshintergrund 5%, mit Fluchthintergrund 5%, mit Migrationshintergrund ohne Fluchthintergrund 4%, Tabelle A8.1.1-2). Migrantische Bewerber/-innen ohne Fluchthintergrund aber auch mit Fluchthintergrund verblieben am Ende des Jahres zudem deutlich häufiger außerhalb des Bildungssystems: Sie waren Ende 2020 rund doppelt so oft wie Bewerber/-innen ohne Migrationshintergrund (6%) sozialversicherungspflichtig beschäftigt oder jobbten (mit Fluchthintergrund 12%, mit Migrationshintergrund ohne Fluchthintergrund: 11%) und erheblich häufiger ohne Beschäftigung (ohne Migrationshintergrund 9%, mit Fluchthintergrund 14%, mit Migrationshintergrund ohne Fluchthintergrund: 16%, Tabelle A8.1.1-2). Bewerber/-innen mit Migrationshintergrund sind nach der Ausbildungsmarktstatistik der BA mit 48% unter den unbekannt Verbliebenen erheblich stärker vertreten als bei denjenigen mit bekanntem Verbleib (34%, Tabelle A8.1.2-2). Die BA/BIBB-Bewerberbefragung 2018 zeigt jedoch, dass gerade unbekannt verbliebene Bewerber/-innen mit Migrationshintergrund (mit und ohne Fluchterfahrung) nur halb so oft in eine betriebliche Ausbildung einmündeten wie unbekannt verbliebene Bewerber/-innen ohne Migrationshintergrund. Zudem waren sie am Jahresende erheblich häufiger als die Vergleichsgruppe der unbekannt Verbliebenen ohne Migrationshintergrund außerhalb einer vollqualifizierenden Ausbildung verblieben (BIBB-Datenreport 2019, Kapitel A8.1.1).

Unter Berücksichtigung wichtiger Faktoren wie des Bewerbungsverhaltens, der schulischen Voraussetzungen, der Herkunftsregion aber auch der Ausbildungsberufe auf die sich die Jugendlichen beworben haben, lässt sich auf der Grundlage der BA/BIBB-Bewerberbefragungen aber auch auf Basis der NEPS-Daten belegen, dass bei einem Migrationshintergrund Bewerber/-innen bzw. nicht studienberechtigte ausbildungsinteressierte Schulabgänger/-innen im Vergleich zu denjenigen ohne Migrationshintergrund eine signifikant geringere Einmündungswahrscheinlichkeit in eine betriebliche Berufsausbildung haben; meist auch noch 20 Monate nach Ende der allgemeinbildenden Schulzeit (vgl. Beicht 2017; Beicht/Walden 2018). Dies trifft in besonderem Maße Jugendliche türkischer bzw. arabischer Herkunft (vgl. Beicht 2017).

Diese Ergebnisse weisen in die gleiche Richtung: Junge Menschen münden bei einem Migrationshintergrund trotz engagierter Suchaktivitäten und längerer Übergangsprozesse seltener in eine betriebliche bzw. vollqualifizierende Ausbildung (alle Formen) ein. Weder ungünstigere schulische Voraussetzungen und Schulleistungen, metakognitive Fähigkeiten, Berufspräferenzen oder Suchstrategien noch die bisher untersuchten kulturellen und sozialen Ressourcen, die soziale Herkunft, Unterstützungsangebote im Übergangsprozess oder die regionale Ausbildungsmarktlage können die geringeren Einmündungschancen junger Menschen mit einem Migrationshintergrund bzw. bestimmter Herkunftsgruppen in eine berufliche Ausbildung abschließend erklären (vgl. Beicht 2017; Beicht/Walden 2018, 2019; Eberhard/Schuß 2021).

Nicht studienberechtigte Schulabgänger/-innen haben selbst mit den gleichen Schulabschlüssen, Schulnoten, Bildungs- bzw. Berufspräferenzen, Bewerbungsaktivitäten und ausbildungsmarktrelevanten Merkmalen sowie der gleichen sozialen Herkunft und sozialen Einbindung, schlechtere Chancen, einen Ausbildungsplatz zu erhalten als ohne Migrationshintergrund (vgl. Beicht/Walden 2018; Granato 2020). Somit sind über die berücksichtigten Faktoren hinaus weitere Einflussgrößen wirksam, die in Verbindung mit dem Migrationshintergrund stehen und auf eine strukturelle Ausgrenzung hinweisen. Erst bei (der kleinen Gruppe der) Schulabgänger/-innen der dritten Generation gleichen sich die Einmündungschancen an (vgl. Beicht/Walden 2018).

Dies wirkt sich auch auf ihre Platzierung in der beruflichen Ausbildung aus. Jugendliche mit Migrationshintergrund münden beispielsweise erheblich seltener in ihren Wunschberuf ein. Zudem erweisen sich die Rahmenbedingungen ihrer betrieblichen Ausbildung oftmals als ungünstiger (BIBB-Datenreport 2016, Kapitel A4.9). Sie werden demgegenüber beispielsweise häufiger in Ausbildungsberufen mit einer höheren Vertragslösungsquote ausgebildet. Dies spiegelt sich auch in der Vertragslösungsquote von Auszubildenden mit ausländischem Pass wider. Diese lag 2019 nach der Probezeit bei 23,6%, rund 6 Prozentpunkte über der Vertragslösungsquote Auszubildender mit deutschem Pass mit 17,2%. In der Probezeit betrug die Vertragslösungsquote bei einer ausländischen Staatsangehörigkeit 11,8%, bei einer deutschen Staatsangehörigkeit 8,6%; die Differenz zwischen beiden Gruppen lag hier bei rund 3 Prozentpunkten (Kapitel A5.6, Tabelle A5.6-3). Werden die ungünstigeren Schulabschlüsse von Auszubildenden ausländischer Nationalität, die Ausbildungsberufe sowie andere Merkmale berücksichtigt, so zeigen sich bei dualen Auszubildenden mit ausländischem Pass im Vergleich zu denjenigen mit deutschem Pass kaum mehr Unterschiede in der Höhe der Vertragslösungen (vgl. Rohrbach-Schmidt/Uhly 2014).

Ein Berufsabschluss hat gerade im Hinblick auf eine dauerhafte Integration in das Erwerbsleben eine herausragende Bedeutung (Kapitel A11.1; A11.3). Junge Erwachsene mit Migrationshintergrund erlangen deutlich seltener einen Berufsabschluss. Der Anteil junger Erwachsener (20 bis 34 Jahre) mit Migrationshintergrund, der in Deutschland aufgewachsen ist und keinen Berufsabschluss hat, d. h., nicht formal qualifiziert ist (Kapitel A11.1), lag 2019 mit 16,4% doppelt so hoch wie bei der Vergleichsgruppe Deutscher ohne Migrationshintergrund (8,5 %, Tabelle A11.3-1). Bei jungen Erwachsenen ohne eigene Migrationserfahrung, deren Familien aus der Türkei stammen, lag die Quote der Personen ohne Berufsabschluss mit 21,1% noch höher. Junge Frauen mit Migrationshintergrund, aber ohne eigene Migrationserfahrung waren seltener als die männliche Vergleichsgruppe ohne formalen Berufsabschluss (weiblich 14,5%, männlich 18,0%). Dies trifft auch auf die Gruppe junger Frauen türkischer Herkunft ohne eigene Migrationserfahrung zu (weiblich 18,6%, männlich 23,6%). Bei der Gruppe junger Erwachsener mit eigener Migrationserfahrung, d. h. derjenigen, die selbst nach Deutschland zugewandert sind, lag die Quote der formal Ungelernten mit 33,3% noch höher, gerade bei einer Herkunft aus der Türkei (50,7%). Von den jungen Frauen türkischer Herkunft mit eigener Migrationserfahrung hatte über die Hälfte – 56,5% – keinen Berufsabschluss (junge Männer türkischer Herkunft: 45,1%, Tabelle A11.3-1), was auf einen weiterhin hohen Förderbedarf hinweist.

Nach Expertenmeinung haben es nicht „nur selbst eingewanderte, sondern auch in Deutschland geborene Jugendliche mit Migrationshintergrund (…) deutlich schwerer beim Übergang von der Schule in eine Berufsausbildung als diejenigen ohne Migrationshintergrund“ (Beicht/Walden 2018, S. 19). Der erreichte Stand der Integration im Bereich beruflicher Ausbildung kann daher nach wie vor als unbefriedigend angesehen werden, auch bei Jugendlichen mit Migrationshintergrund, die in Deutschland aufgewachsen sind (vgl. Beicht/Walden 2018).

Bisherige Ergebnisse weisen darauf hin, dass insbesondere die Benachteiligung beim Zugang zu einer beruflichen Erstausbildung die Teilhabe junger Menschen mit Migrationshintergrund an beruflicher Ausbildung erschwert. Daher benötigen sie gerade beim Übergang Schule – Ausbildung Unterstützung. Als erfolgreich haben sich hier, worauf vorliegende Untersuchungsergebnisse hinweisen, Ansätze bewährt, die Jugendliche im Übergang kontinuierlich begleiten. Dazu zählen beispielsweise Mentoringprogramme oder die Berufseinstiegsbegleitung, aber auch Angebote, die es ermöglichen, dass sich Betriebe und Jugendliche vor einer Ausbildung näher kennenlernen können, wie Schnupperpraktika, längere Betriebspraktika oder die Einstiegsqualifizierung (vgl. Beicht 2017). Eine Unterstützung benötigen sie auch im Verlauf der beruflichen Ausbildung, um trotz ungünstigerer Rahmenbedingungen bei Ausbildungsbeginn die Ausbildung erfolgreich abschließen zu können. Programme, die Auszubildende im Verlauf der Ausbildung begleiten, erweisen sich hier ebenso als erfolgsversprechend wie Maßnahmen, die bei den Auszubildenden und am Ausbildungsbetrieb ansetzen (z. B. assistierte Ausbildung u. Ä.; vgl. Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration 2019). Die Umsetzung dieser Angebote in der Phase der Berufsorientierung, im vorberuflichen Bereich sowie im Verlauf der Berufsausbildung selbst, erweisen sich angesichts der aktuellen durch die Pandemie bedingten Restriktionen als schwieriger (vgl. Fernández 2020). Öffentliche Förderung sollte deshalb noch stärker als bisher die Problemlagen der Jugendlichen in den Blick nehmen und die ohnehin existierenden Erschwernisse und Belastungen hinsichtlich der strukturellen Rahmenbedingungen und institutionellen Kontexte, die sich durch die Pandemie-Situation nochmals verstärkt haben, nachhaltig verbessern. Die Herstellung gleicher Bildungschancen für junge Menschen mit Migrationshintergrund und Fluchthintergrund an der Stufe der beruflichen Ausbildung bleibt gerade vor dem Hintergrund der aktuellen coronabedingten Entwicklungen bei der Berufsorientierung, im Übergangsbereich, auf dem Ausbildungsstellenmarkt und im Ausbildungsverlauf eine gesellschaftliche Herausforderung für das Bildungssystem.

(Mona Granato)