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Mobilität von Jugendlichen kann die Situation am Ausbildungsmarkt auf regionaler Ebene nachhaltig beeinflussen. Sie kann einerseits dazu beitragen, regionale Ungleichgewichte von Angebot und Nachfrage auf dem Ausbildungsmarkt zu mindern. Sie kann jedoch andererseits auch dazu führen, dass es in Regionen mit einem aus Sicht der Jugendlichen attraktiven Angebot an Ausbildungsstellen deutlich mehr Ausbildungsstellenbewerber/-innen von außerhalb der Region gibt. Zeigen sich die einheimischen Bewerber/-innen nicht im selben Ausmaß mobilitätsbereit wie die Ausbildungsinteressierten von außerhalb der Region, können sich die Verhältnisse auf dem Ausbildungsmarkt infolge von Mobilität somit auch verschlechtern (vgl. ausführlich Herzer/Ulrich 2020).

Amtliche Informationen zur Mobilität von Jugendlichen im Zusammenhang mit ihrer Berufsausbildung lassen sich aus der Beschäftigtenstatistik der BA gewinnen. Die Statistik gibt darüber Auskunft, wo Auszubildende wohnen und wo ihre Ausbildungsstätten liegen. Auf dieser Basis wird im Folgenden regionale Mobilität zum Stichtag 30.09.2019 nachgezeichnet. Bei der Interpretation ist zu berücksichtigen, dass die BA-Beschäftigtenstatistik lediglich die faktisch realisierte Mobilität widerspiegelt. Also die Fälle, in denen die jungen Menschen im Zuge der Aufnahme einer Ausbildung ihren Hauptwohnsitz nicht verlegen. Bei Einschluss von Personen, die ihren Hauptwohnsitz ändern, würde die erfolgreich realisierte Mobilität nochmals höher ausfallen. Diese Daten sind bisher nicht statistisch quantifizierbar (BIBB-Datenreport 2020, Kapitel A8.2). Allerdings führt die Statistik der BA ein neues Konzept ein, dass eine wesentlich genauere Erfassung von Mobilitätsbereitschaft und faktisch realisierter Mobilität erlaubt. Anhaltspunkte zur Mobilitätsbereitschaft von ausbildungsinteressierten Jugendlichen bieten zudem die Ergebnisse der BA/BIBB-Bewerberbefragung (Kapitel A8.2.2).

Neues Konzept zur Erfassung von Mobilitätsbereitschaft und realisierter Mobilität

Die BA führt ab Juli 2021 ein neues Konzept bei der jährlichen statistischen Berichterstattung ein. Dabei werden Daten aus der Statistik zu den Bewerbern und Bewerberinnen mit Daten aus der Beschäftigungsstatistik kombiniert. Damit lässt sich der Übergang und der längerfristige Verbleib von Bewerberinnen und Bewerbern in Ausbildung genauer als bisher erfassen. Dies umfasst auch regionale Ergebnisse. Durch die Kombination regionaler Merkmale der Bewerber/-innen (z. B. Wohnort während der Bewerbungsphase) mit Merkmalen der Beschäftigungsstatistik (z. B. Arbeitsort während der Beschäftigung) lassen sich Aussagen zur regionalen Mobilität der Ausbildungssuchenden ableiten (vgl. Bundesagentur für Arbeit 2020i).

Bisher wird die regionale Mobilität von ausbildungsinteressierten Jugendlichen auf Basis von Daten der Beschäftigungsstatistik in Kombination mit Ergebnissen der BIBB-Erhebung über neu abgeschlossene Ausbildungsverträge zum 30. September geschätzt (vgl. Herzer/Ulrich 2020). Das neue Verfahren der BA-Statistik bietet die Möglichkeit, die Mobilität am Ausbildungsmarkt differenzierter und treffender nachzuzeichnen. So wird es z. B. möglich sein, mithilfe des neuen Verfahrens zu erfassen, ob erfolgreiche Bewerber/-innen für die Aufnahme ihrer Ausbildung ihren Hauptwohnsitz verlegt haben.

Faktisch realisierte Mobilität zwischen den Ländern

Zum Stichtag 30.09.2019 wohnten rund 110.400 der 1.650.500 Beschäftigten, die zu diesem Zeitpunkt von der BA als Auszubildende registriert wurden, nicht in dem Bundesland, in dem ihr Ausbildungsbetrieb angesiedelt war Tabelle A8.2.1-1 (Spalten 4 und 5). Dies entspricht 6,7%.191

Die länderübergreifende Mobilität führte insbesondere in den Stadtstaaten dazu, dass höhere Anteile der dort verfügbaren Ausbildungsplätze nicht von eigenen Landesbewohnern und -bewohnerinnen besetzt sind Tabelle A8.2.1-1 (Spalte 7), so in Bremen (35,4%), Hamburg (31,7%) und Berlin (20,1%).

In den Stadtstaaten werden zumeist sehr viel mehr Ausbildungsplätze angeboten, als es ausbildungsinteressierte Jugendliche vor Ort gibt. Gleichzeitig ist die Angebotsvielfalt an Ausbildungsberufen wesentlich höher als in weniger dicht besiedelten Regionen (vgl. Jost/Seibert/Wiethölter 2019). Auch innerhalb der Stadtstaaten wohnen in nennenswertem Maße Jugendliche, die ihre Ausbildung außerhalb ihres eigenen Bundeslandes absolvieren (Bremen 15,4%, Hamburg 13,2%, Berlin 8,8%; Tabelle A8.2.1-1 (Spalte 8). Doch liegen diese Anteile deutlich unter den Einpendlerquoten (Spalte 9 aufgeführte Differenz), sodass die Einwanderung klar überwiegt. Dies führt in der Konsequenz dazu, dass vor Mobilität noch günstige bzw. sehr günstige städtische Märkte für die dort einheimischen Jugendlichen mobilitätsbedingt durch die Einpendler/-innen zu eher schwierigen Märkten werden. Auswertungen auf Ebene der Arbeitsagenturbezirke zeigen auch für die meisten Zentren von Großstadtregionen derartige Veränderungen der Marktlagen durch Mobilität (vgl. Herzer/Ulrich 2020).

Entlastung regionaler Ausbildungsmärkte durch Mobilität – aus der Perspektive der Jugendlichen – erfahren insbesondere die Bundesländer Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen. Hier fallen die Auspendlerquoten in andere Länder merklich höher aus (jeweils um mehr als drei Prozentpunkte) als die Einpendlerquoten.

Tabelle A8.2.1-1: Zahlen und Indikatoren zur länderübergreifenden Mobilität von Auszubildenden (Stichtag: 30.09.2019)

Relativ bedeutsame auswärtige Ausbildungsmärkte sind wiederum Tabelle A8.2.1-2:

  • für Brandenburg: Berlin (20,3% der in Brandenburg lebenden Auszubildenden lernen in Berlin) und Sachsen (1,6%),
  • für Mecklenburg-Vorpommern: Hamburg (1,1%), Berlin (1,0%) und Brandenburg (1,0%),
  • für Niedersachsen: Bremen (3,2%) und Hamburg (2,4%) und Nordrhein-Westfalen (1,9%),
  • für Rheinland-Pfalz: Baden-Württemberg (4,4%), Hessen (3,6%), Nordrhein-Westfalen (3,0%) und das Saarland (1,6%),
  • für Sachsen-Anhalt: Niedersachsen (3,1%) sowie Sachsen (3,1%),
  • für Schleswig-Holstein: Hamburg (11,7%) sowie
  • für Thüringen: Bayern (3,1%), Sachsen (2,3%), Hessen (2,1%) und Niedersachsen (1,4%).

Die beiden Länder, in denen die meisten der dort wohnenden Auszubildenden auch dort ausgebildet werden, sind Nordrhein-Westfalen (97,3%) und Bayern (97,1%), gefolgt von Baden-Württemberg (96,0%) Tabelle A8.2.1-1 (Spalte 10). Dies dürfte unter anderem daher rühren, dass es sich zugleich um die drei Länder mit der absolut höchsten Bevölkerungszahl bzw. mit dem absolut höchsten Ausbildungsplatzangebot handelt. Eine Rolle dürfte im Fall von Bayern auch die aus Sicht der Jugendlichen überdurchschnittlich gute Ausbildungsmarktlage spielen (Kapitel A1.1.1).

Am seltensten lernen brandenburgische Auszubildende im eigenen Land (74,5%), mit deutlichem Abstand gefolgt von Auszubildenden aus Bremen (84,6%).

(Philip Herzer)

Tabelle A8.2.1-2: Relative Verteilung der im jeweiligen Bundesland wohnenden Auszubildenden auf ihre Ausbildungsplätze nach deren Ort (in %)

  • 191

    Zu berücksichtigen ist, dass unter den von der BA in der Beschäftigtenstatistik ausgewiesenen Auszubildenden zu einem kleineren Anteil auch Auszubildende außerhalb des dualen Berufsausbildungssystems enthalten sind (vgl. dazu Matthes/Ulrich 2017).