Wissenschaftliche Weiterbildungen bieten vielversprechende Chancen für die persönliche und berufliche Entwicklung. Der Wissenschaftsrat versteht wissenschaftliche Weiterbildung als Teil des lebensbegleitenden Lernens, die für eine „zukunftsfähige Fachkräfteentwicklung“ weiterentwickelt und ausgebaut werden sollte (vgl. Wissenschaftsrat 2019). War der Zugang zur Hochschule für beruflich Qualifizierte ohne schulische Hochschulzugangsberechtigung in der Vergangenheit eingeschränkt, sind seit gut zehn Jahren die Möglichkeiten erheblich ausgeweitet worden, ohne Abitur zu studieren oder berufliche Kompetenzen auf ein Studium anrechnen zu lassen. Hierdurch gewinnt die wissenschaftliche Weiterbildung auch für beruflich Qualifizierte an Bedeutung. Deshalb empfahl der BIBB-Hauptausschuss im Sommer 2020 eine Ausweitung von wissenschaftlicher Weiterbildung und appellierte an die Länder, „weitere Zugangsmöglichkeiten zu unterschiedlichen qualitätsgesicherten und gegebenenfalls auch kombinierbaren Formaten wissenschaftlicher Weiterbildung zu schaffen“ (Bundesinstitut für Berufsbildung 2020).
Im folgenden Beitrag werden Zugangswege, bildungspolitische Ziele sowie quantitative und qualitative Entwicklungen in der wissenschaftlichen Weiterbildung für beruflich Qualifizierte skizziert.
Definition „wissenschaftliche Weiterbildung“
„Wissenschaftliche Weiterbildung [ist] die Fortsetzung oder Wiederaufnahme organisierten Lernens nach Abschluss einer ersten Bildungsphase und in der Regel nach Aufnahme einer Erwerbs- oder Familientätigkeit, wobei das wahrgenommene Weiterbildungsangebot dem fachlichen und didaktischen Niveau der Hochschule entspricht“ (Kultusministerkonferenz 2001, S. 2).
Wissenschaftliche Weiterbildungen können in einer (subjektiv wahrgenommenen) zweiten Bildungsphase
- eine Umschulung auf einen neuen Beruf,
- eine andere Fort- und Weiterbildung in einem Beruf,
- eine sonstige Zweitausbildung,
- die Aufnahme eines Hochschulstudiums nach einer beruflichen Tätigkeit oder
- ein Zusatzstudium nach oder neben einer beruflichen Tätigkeit
beinhalten (vgl. Widany u. a. 2017, S. 173).
Unter wissenschaftlichen Weiterbildungen sind sowohl Studiengänge, die zu einem Bachelor- oder Masterabschluss führen als auch diejenigen Maßnahmen zu verstehen, die mit Zertifikaten, Kreditpunkten für Studienleistungen nach dem European Transfer and Accumulation System (ECTS) oder anderen Bescheinigungen dokumentiert werden und nicht (unmittelbar) an einen akademischen Grad gebunden sind.
Zugang von beruflich Qualifizierten zu wissenschaftlicher Weiterbildung
Im Zuge der Lissabon-Strategie zur Schaffung eines gemeinsamen europäischen Bildungsraums wurden seit Beginn der 2000er-Jahre die Möglichkeiten von beruflich Qualifizierten, ein Studium an einer Hochschule aufzunehmen, erheblich ausgebaut. So legten die Beschlüsse der Kultusministerkonferenz der Länder (KMK) von 2002, 2008 und 2009 fest, die Hochschulen für berufliche Qualifikationen und beruflich erworbene Kompetenzen zu öffnen.
Anerkennung323 von beruflichen Qualifikationen: Eine berufliche Qualifikation auf dem zweiten Niveau einer Aufstiegsfortbildung (zum/zur Meister/-in, Fachwirt/-in etc.; seit der Novelle des BBiG von 2020 zum/zur Bachelor Professional) berechtigt zum uneingeschränkten Zugang zum Bachelorstudium an Hochschulen. Mit einer abgeschlossenen Berufsbildung sowie zwei oder drei Jahren Berufserfahrung kann ein Studium in einem zum Beruf fachlich affinen Bachelor-Studiengang aufgenommen werden (vgl. Kultusministerkonferenz 2009).
Anrechnung von beruflichen Kompetenzen: Außerhalb der Hochschule erworbene Kenntnisse und Fähigkeiten, die inhaltlich und im Niveau zu einem Teil des Studiums gleichwertig sind, können angerechnet werden und bis zu 50% der zu erbringenden Studienleistungen ausmachen und damit die Studiendauer erheblich verkürzen (vgl. Kultusministerkonferenz 2002, 2008).
Diese Vorgaben wurden bis Anfang der 2010er-Jahre auf Länderebene gesetzlich umgesetzt − wenn auch in teilweise unterschiedlichen Ausprägungen. Während Fortbildungsabschlüsse durchgehend als uneingeschränkter Zugang zur Hochschule anerkannt werden, gibt es hinsichtlich der Zugangsmöglichkeiten auf Grundlage einer abgeschlossenen Berufsausbildung Unterschiede, vor allem hinsichtlich der Dauer der erforderlichen Berufserfahrung (zwei oder drei Jahre), der Notwendigkeit von Eingangsprüfungen oder sogenannten Probestudien sowie der Bestimmungen zur fachlichen Affinität des gewünschten Studiengangs. Einige Bundesländer (z. B. Berlin, Hamburg, Bremen, Rheinland-Pfalz) gehen über die KMK-Beschlüsse hinaus und verzichten auf eine Eignungsprüfung oder ein Probestudium, so wie dies auch der BIBB-Hauptausschuss 2010 empfohlen hat (vgl. Bundesinstitut für Berufsbildung 2010).324 Der Wissenschaftsrat gibt in seiner Empfehlung von 2019 eine Übersicht über Zugangsmöglichkeiten zu wissenschaftlichen Weiterbildungen (vgl. Wissenschaftsrat 2019).
Um die Anrechnung beruflicher Kompetenzen an den Hochschulen zu verstärken, hat die KMK 2009 darauf hingewiesen, dass Entscheidungen über Anrechnungen in den Zuständigkeitsbereich der Hochschulen fallen, diese damit aber auch verpflichtet sind, „Verfahren und Kriterien für die Anrechnung außerhalb des Hochschulwesens erworbener Kenntnisse und Fähigkeiten in den jeweiligen Prüfungsordnungen zu entwickeln“ (Kultusministerkonferenz 2009). Dies wurde 2014 durch den Akkreditierungsrat bestätigt, sodass der Nachweis entsprechender Verfahren als Voraussetzung für die Akkreditierung von Studiengängen gilt (vgl. Akkreditierungsrat 2014). Anknüpfend an seine Empfehlung von 2014 zum Verhältnis von beruflicher und hochschulischer Bildung mahnt der Wissenschaftsrat zudem an: „Die Möglichkeiten der Anrechnung außerhochschulisch erworbener Kompetenzen auf das Studium, die gerade im Bereich der Weiterbildung von Bedeutung sind, sollten sorgsam genutzt werden, um Übergänge in die hochschulische Weiterbildung insbesondere für Studierende mit beruflicher Vorqualifikation zu erleichtern“ (Wissenschaftsrat 2019, S. 13).
Bildungspolitische Ziele und Initiativen zur Stärkung wissenschaftlicher Weiterbildungen für beruflich Qualifizierte
Wissenschaftliche Weiterbildungen gewinnen im Kontext von Strategien zur Stärkung der beruflichen Weiterbildung im Zuge des technologischen und nachhaltigen Wandels von Wirtschaft und Gesellschaft zunehmende Bedeutung (vgl. Bundesministerium für Arbeit und Soziales/Bundesministerium für Bildung und Forschung 2019). Sie sind mit dem Ziel verknüpft, durch die Öffnung der Hochschulen für beruflich Qualifizierte die Durchlässigkeit zwischen den Bildungsbereichen zu erhöhen (vgl. Bund/Länder 2010). Die Erwartungen an die wissenschaftliche Weiterbildung gehen somit über eine Erweiterung des hochschulischen Geschäftsfelds hinaus und umfassen neue Formen der Verschränkung zwischen den Bildungsbereichen, individuelle Zugänge von Personen aus bislang unterrepräsentierten Gruppen an den Hochschulen sowie innovative Angebotsformate zur Verknüpfung von Wissenschaft und Arbeitswelt (vgl. Dollhausen u. a. 2018, S. 46).
Die ausgeweiteten Möglichkeiten des Zugangs zum Studium bedeuten − rein formal betrachtet − einen Bruch des historisch verfestigten, exklusiven Berechtigungssystems zur Hochschule und eröffnen neben dem Abitur (oder mit Einschränkungen dem Fachabitur) gleichwertige Bildungswege über berufliche Qualifikationen. Angesichts der hohen Selektivität des deutschen Bildungssystems, in dem Kinder, die keinen akademisch vorgebildeten Familienhintergrund haben, im Studium immer noch deutlich unterrepräsentiert sind (vgl. Middendorf u. a. 2017, S. 46f.), bietet die Öffnung der Hochschulen zudem das Potenzial eines − wenn auch kleinen und späten − Korrektivs, um die soziale und berufliche Mobilität der Beschäftigten, die über keine akademischen Grade verfügen, zu erhöhen (vgl. Kaßebaum 2017, S. 206).
Bildungspolitisch begleitet wurde die Öffnung der Hochschulen für beruflich Qualifizierte von zwei Programmen, in denen sowohl Gestaltungsansätze qualitativ als auch die Umsetzung quantitativ ausgebaut werden konnten. In der BMBF-Pilotinitiative ANKOM wurden in einer ersten Phase Verfahren und Mechanismen der Anrechnung beruflich erworbener Kompetenzen auf ein Studium entwickelt und erprobt; in einer zweiten Phase wurden bis 2012 vor allem Möglichkeiten des Übergangs von der Berufs- in die Hochschulbildung gestaltet wie etwa Brückenangebote, Studienberatung und -begleitung, Studiengangorganisation oder spezifische Studiengänge, die an berufliche Qualifikationen anschließen.325 Der Bund-Länder-Wettbewerb „Aufstieg durch Bildung: Offene Hochschulen“ zielt vor allem darauf, in den Hochschulen neue Weiterbildungsangebote zu schaffen, die auch für beruflich Qualifizierte offen sind. An dem Wettbewerb nahmen seit 2011 mit 101 rund ein Viertel aller deutschen Hochschulen teil, davon 39 Universitäten, sowie vier außeruniversitäre wissenschaftliche Einrichtungen.326
Teilnahme von beruflich Qualifizierten an hochschulischen Studienangeboten
Beruflich Qualifizierte verbinden mit Weiterbildungen an der Hochschule vor allem Chancen einer beruflichen oder persönlichen Weiterentwicklung. Eine berufliche Neuorientierung ist demgegenüber eher nachgeordnet, wie eine Erhebung im Rahmen des Bund-Länder-Wettbewerbs „Aufstieg durch Bildung: offene Hochschule“ ergab (vgl. Kamm/Spexard/Wolter 2016, S. 180f.). Gleichzeitig zeigen die Studien zur Teilnahme beruflich Qualifizierter an hochschulischen Bildungsmaßnahmen, dass hier keineswegs von einer homogenen Zielgruppe ausgegangen werden kann. Vielmehr gibt es heterogene Interessenslagen und Ausgangsbedingungen, die je nach „Bildungs- und Berufswegen sowie ihren Zugangswegen zur Hochschule, beträchtliche Unterschiede“ aufweisen (Wolter 2016, S. 17).
Die Datenlage zu Angebot und Nutzung von wissenschaftlicher Weiterbildung ist fragmentiert und hinsichtlich Gegenstandsbereich und Erhebungssystematik vielfältig (vgl. Dollhausen u. a. 2018, S. 48), sodass auch Aussagen über die Beteiligung an wissenschaftlicher Weiterbildung, insbesondere von beruflich Qualifizierten, nur bedingt möglich sind.
Über die regelmäßigen Auswertungen der Daten des Statistischen Bundesamts durch das Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) kann die Entwicklung des Zugangs beruflich Qualifizierter zum Studium nachvollzogen werden Tabelle C2.3.2-1. Demnach ist seit der Öffnung der Hochschulen ein deutlicher und stetiger Zuwachs beruflich qualifizierter Studienanfänger/-innen, Studierender und Absolventen/Absolventinnen zu beobachten − wenngleich auf niedrigem Niveau.327 Gab es an den deutschen Hochschulen 2002 gerade mal 13.609 beruflich Qualifizierte, die weniger als 1% der Gesamtstudierendenzahl ausmachten, waren 2018 immerhin schon 62.107 Studierende mit einem Anteil von 2,17% zu verzeichnen (vgl. Nickel/Thiele/Leonowitsch 2020, S. 6). Dabei schwankten die Zahlen in den Bundesländern zwischen knapp 1% im Saarland (0,87 %) und deutlich über 5% in Hamburg (5,23%). Insgesamt lag der Anteil beruflich qualifizierter Studierender in den ostdeutschen Bundesländern mit 1,5% unter dem in den westdeutschen Ländern mit 2,33%. Der größte Anstieg war in den Jahren zwischen 2007 und 2012 zu verzeichnen, seitdem waren die Zuwachsraten zwar geringer, aber stetig (vgl. Nickel/Thiele/Leonowitsch 2020, S. 9ff.).
Tabelle C2.3.2-1: Entwicklung beruflich Qualifizierte an Hochschulen 2002 bis 2018
Laut des Adult Education Survey (Kapitel B1.1) stellten 2018 formale Bildungsmaßnahmen an den Hochschulen 12% der Weiterbildungsaktivitäten von 18- bis 69-jährigen Personen dar, wobei nur 1% aus dieser Gruppe daran teilnahm. Im non-formalen Bereich fielen diese Zahlen anders aus, hier umfassten die wissenschaftlichen Angebote nur 5% der Weiterbildungsaktivitäten, die Teilnahme lag allerdings bei 4% (vgl. Bundesministerium für Bildung und Forschung 2019, S. 63). Damit stellten wissenschaftliche Weiterbildungen nur einen kleinen Teil der Weiterbildungsaktivitäten in Deutschland dar. Auch im Vergleich zur geregelten beruflichen Fortbildung spielt die wissenschaftliche Weiterbildung eine nachgeordnete Rolle. So standen 2018 rund 8.728 aufgrund ihrer beruflichen Qualifikation immatrikulierte Absolventen/Absolventinnen eines Hochschulstudiums 91.038 Personen gegenüber, die eine berufliche Fortbildung abgeschlossen hatten.
Der Zuwachs bei den beruflich qualifizierten Studierenden verteilt sich unterschiedlich auf die Hochschulformen. So gibt es an den Fachhochschulen einen deutlich höheren Anteil beruflich qualifizierter Studierender als an den Hochschulen, an privaten Hochschulen finden sich deutlich mehr als an staatlichen Hochschulen.
Mehr als die Hälfte der Studiengänge, die von beruflich Qualifizierten belegt werden, fanden sich 2018 im Bereich der Wirtschafts-, Rechts- und Sozialwissenschaften (54,32%). Mit einigem Abstand folgten die Ingenieurwissenschaften, die gut ein Fünftel (20,70%) sowie den Human- und Gesundheitswissenschaften, die ein Achtel (12,59%) der von beruflich Qualifizierten gewählten Studienfächer ausmachten (vgl. Nickel/Thiele/Leonowitsch 2020, S. 24). Bei letzteren überwogen die Gesundheitswissenschaften mit 1.656 Studienanfängern und -anfängerinnen weitaus gegenüber der Humanmedizin mit 212 Studienanfängern und -anfängerinnen. Insgesamt war das Interesse von beruflich Qualifizierten an den Wirtschafts-, Rechts- und Sozialwissenschaften deutlich höher als bei Studierenden mit schulischer HZB (38,72%), während ingenieurswissenschaftliche Studiengänge vergleichsweise weniger nachgefragt waren (27,35% bei Studienanfängern und -anfängerinnen mit schulischer Hochschulzugangsberechtigung) (vgl. Nickel/Thiele/Leonowitsch 2020, S. 25).
Hinsichtlich des Studienerfolgs von beruflich Qualifizierten gibt es keine Belege für signifikante Unterschiede zu Studierenden mit einer schulischen Hochschulzugangsberechtigung. Zwar gibt es ein erhöhtes Abbruchrisiko in den ersten Studiensemestern, das vor allem auf finanzielle und familiäre Probleme und weniger auf Leistungsprobleme zurückzuführen ist. So lautet auch das Fazit einer Studie des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) und der Humboldt-Universität zu Berlin: „Sowohl hinsichtlich der Abschluss- und Schwundquoten als auch der Abschlussnoten sind beruflich qualifizierte Studierende ohne Abitur oder Fachhochschulreife ähnlich erfolgreich wie andere Studierende, insbesondere diejenigen mit einer Hochschulzugangsberechtigung aus beruflichen Schulen oder des Zweiten Bildungswegs. Angesichts der zunächst stark gestiegenen, seit etwa 2011 konstanten Zahl von etwa 13.000 nicht-traditionellen Studienanfänger/-innen pro Jahr besteht also kein Anlass, die Politik der Öffnung gegenüber dieser neuen Zielgruppe in Frage zu stellen“ (Dahm/Kerst 2019, S. 7f.).
Die Anrechnung beruflicher Kompetenzen auf ein Studium bildet nach wie vor eine große Herausforderung für die Hochschulen. Zwar gibt es keine statistisch erfassten Daten hierzu, jedoch zeigte die Untersuchung von Hanff u. a. (2014), dass die Anrechnungspraxis an den Hochschulen bis 2014 eher verhalten war. Wobei dies vor allem auf staatliche Hochschulen und grundständige Studiengänge zutrifft, während Weiterbildungsstudiengänge und private Anbieter zum Teil erhebliche Anrechnungen ermöglichten und diese in ihr Geschäftsmodell integrierten (vgl. Hanft u. a. 2014, S. 91f.). Im Zuge des Bund-Länder-Wettbewerbs wurde darüber hinaus festgestellt, dass Anrechnungen außerhochschulisch erworbener Kompetenzen nicht ausgebaut wurden, sondern rückläufig sind (vgl. Nickel/Thiele 2020, S. 39).
Hochschulische Weiterbildungsformate für beruflich Qualifizierte
Wissenschaftliche Weiterbildungen umfassen nicht nur die gängigen Studienformate, die zu einem Bachelor- oder Masterabschluss führen. Vielmehr stellen Wolter u. a. (2016) fest, dass sich „das Verständnis von Weiterbildung immer mehr von der alten studiengangbasierten Definition entfernt und sich mehr und mehr zu einer biographie- und teilnehmerbezogenen Auslegung entwickelt“ (Wolter 2016, S. 17). Vor diesem Hintergrund wächst die Bedeutung von neuen, vor allem kürzeren Formaten der Weiterbildung im hochschulischen Kontext. So wird angenommen, dass Kurzformate die Bereitschaft zur Aufnahme einer wissenschaftlichen Weiterbildung erhöhen können, weil keine längerfristigen Verpflichtungen eingegangen werden müssen, wesentlich geringere Kosten als bei einem vollwertigen Studium entstehen und bislang hochschulunerfahrenen Personen wissenschaftliche Bildungsmaßnahmen niederschwellig zugänglich sind (vgl. Reum/Nickel/Schrand 2020, S.16). Spielten Kurzformate eine eher untergeordnete Rolle, rücken diese vermehrt in den Fokus der Weiterbildung an Hochschulen. So empfiehlt u. a. der Wissenschaftsrat, im Bereich der Weiterbildung neben Studiengängen weitere Formate zu schaffen bzw. auszuweiten, die den Bedürfnissen der Zielgruppe entsprechen (vgl. Wissenschaftsrat 2019, S. 74).
Kurzformate der wissenschaftlichen Weiterbildung sind bislang nicht geregelt und kaum standardisiert. Einen Vorschlag zur Systematisierung wissenschaftlicher Weiterbildung hat die Deutsche Gesellschaft für Wissenschaftliche Weiterbildung und Fernstudium e. V. (DGWF) mit dem Ziel gemacht, die Marktransparenz zu erhöhen. Dazu werden die Abschlussart, die Formatbezeichnung, die zu vergebenden ECTS-Kreditpunkte und das Niveau im DQR ins Verhältnis zueinander gesetzt Tabelle C2.3.2-2.
Tabelle C2.3.2-2: Formate Wissenschaftlicher Weiterbildung
Dabei sind die Zertifikatsabschlüsse Certificate of Advanced Studies (CAS) und Diploma of Advanced Studies (DAS) an die Strukturierung akademischer Weiterbildungsformate in der Schweiz angelehnt. Sie dienen dort der Erfassung der Weiterbildungsangebote durch den schweizerischen Verband der universitären Weiterbildung „Swissuni“ in einer Datenbank, um die Zusammenarbeit ihrer Mitgliedshochschulen zu fördern.328 Zertifikatskurse können sich auch auf ein Zertifikatsprogramm beziehen, in dem mehrere Kurse modular aufgebaut in einen Bachelor- oder Masterabschluss münden können. Sie bieten damit eine Möglichkeit, weiterbildende Studiengänge flexibel zu gestalten. In Deutschland hat die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) mit Mitteln des BMBF ein Projekt zur Entwicklung eines Weiterbildungsportals gestartet, das voraussichtlich ab 2022 Informationen zu Angeboten wissenschaftlicher Weiterbildung zur Verfügung stellt (vgl. Bundesministerium für Arbeit und Soziales/Bundesministerium für Bildung und Forschung 2019).329
Nach Erhebungen im Rahmen des Wettbewerbs „Aufstieg durch Bildung: offene Hochschulen“ ist eine flexible Studiengestaltung, die sich an beruflichen und familiären Gegebenheiten orientiert, eine zentrale Voraussetzung für Weiterbildungen im hochschulischen Kontext (vgl. Kamm/Spexard/Wolter 2016). Hierfür eignen sich insbesondere Kurzformate wie Zertifikatsprogramme und -kurse. Insgesamt sind die hochschulischen Kurzformate bislang wenig erforscht, so ist auch nicht bekannt, welchen Umfang Zertifikatskurse oder Maßnahmen mit Teilnahmebescheinigung an den Hochschulen haben (vgl. Dollhausen u. a. 2018). Lediglich im Rahmen des Bund-Länder-Wettbewerbs wurde eine wissenschaftlich begleitete Untersuchung durchgeführt, die ergab, dass Kurzformate eine wichtige Rolle im Portfolio des Weiterbildungsangebots der teilnehmenden Hochschulen spielen.
So wurde insgesamt eine Verschiebung von berufsbegleitenden Studiengängen zugunsten der Kurzformate in der zweiten Runde des Wettbewerbs festgestellt. Diese machten 2019 inklusive der Zertifikatsprogramme sowie CAS und DAS mehr als 80% aus, während der Anteil von Studiengängen am Angebot wissenschaftlicher Weiterbildung 2019 im Vergleich zu 2017 um 8,9% auf unter 20% (19%) sank. Die Zertifikatskurse verzeichneten im gleichen Zeitraum einen Anstieg um 11,6 Prozentpunkte auf 47,3%.
Noch deutlicher wird dieser Trend beim Vergleich der Zahlen mit der ersten Wettbewerbsrunde, in der herkömmliche Studiengänge 2019 noch fast 40% des Weiterbildungsangebots ausmachten. Zudem zeigte die Erhebung, dass die Kurzformate zur Flexibilisierung von Bachelor- oder Masterstudiengängen sowie auch zunehmend als abgeschlossene wissenschaftliche Weiterbildungen entwickelt werden (vgl. Reum/Nickel/Schrand 2020, 20f.). Eine parallel durchgeführte bundesweite Erhebung 2019 bestätigte die Zahlen aus dem Bund-Länder-Wettbewerb. Mehr als drei Viertel der befragten Hochschulen gab an, Zertifikatskurse anzubieten, wobei diese einen Anteil von 47% der wissenschaftlichen Weiterbildungen stellten. Problematisch für beruflich Qualifizierte ist allerdings, dass diese zu einem großen Teil auf Masterniveau angesiedelt und damit nicht unmittelbar zugänglich sind. Bei den Zertifikatskursen im Bund-Länder-Wettbewerb dominierten mit rund 75% Kurse auf dem Masterniveau, während nur 25% auf Bachelorniveau stattfanden. Bei Studiengängen oder Zertifikatsprogrammen zielten 57,3% bzw. 44,2% der Weiterbildungen auf den Masterabschluss. In der bundesweiten Erhebung zeigt sich, dass hier die Angebote auf Bachelorebene noch geringer waren. Ihr Anteil lag lediglich bei 18,1%, zugleich gab es aber mit 39,4% einen erheblichen Anteil von wissenschaftlichen Weiterbildungen, die keinem Niveau zugeordnet werden (vgl. Reum/Nickel/Schrand 2020, S. 31f.).
Fazit
Wissenschaftliche Weiterbildungen bieten eine gute Möglichkeit der individuellen Bildungsweggestaltung von beruflich Qualifizierten. Diese sind im Vergleich bisher allerdings zu anderen Weiterbildungsaktivitäten und geregelten Aufstiegsfortbildungen quantitativ und qualitativ noch wenig ausgeprägt. Um die Bedeutung beruflicher Weiterbildung an Hochschulen für Personen ohne schulische Hochschulzugangsberechtigung zu erhöhen, sollten Angebote ausgebaut werden, die auf die Möglichkeiten, Bedarfe und Lebenssituationen beruflich Qualifizierter zugeschnitten sind, so etwa durch den Ausbau von Maßnahmen auf Bachelorniveau, eine inhaltliche Ausrichtung an beruflichen Kompetenzentwicklungsanforderungen sowie zeitlich und organisatorisch flexible Weiterbildungsformate und nicht zuletzt erweiterte Finanzierungsformen, beispielsweise durch neue Fördermodelle und Beteiligung der Arbeitgeber an den Maßnahmenkosten (vgl. Wissenschaftsrat 2019, S. 71; Bundesinstitut für Berufsbildung 2020, S. 6). Strategische Ansätze zur Etablierung von wissenschaftlichen Weiterbildungen als Teil des lebensbegleitenden Lernens sind bereits in regionalen Bildungsnetzwerken zu finden, in denen die Maßnahmen der Hochschule in das berufliche Weiterbildungsangebot integriert und auf der Grundlage der Bedingungen vor Ort weiterentwickelt und ausgebaut werden (vgl. Wissenschaftsrat 2019, S. 80; Bundesinstitut für Berufsbildung 2020, S. 3; Bundesministerium für Arbeit und Soziales/Bundesministerium für Bildung und Forschung 2019, S. 19). Insbesondere bei institutionellen Kooperationen und curricularen Verzahnungen mit beruflichen Fortbildungen besteht ein großes Potenzial, wissenschaftliche Weiterbildungen für die individuelle Entwicklung und den Wandel in der Arbeitswelt wirkungsvoll zu gestalten.
(Barbara Hemkes)
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Im hochschulischen Kontext wird der Begriff Anerkennung für außerhalb von Deutschland erbrachte Studienleistungen gemäß der Lissabon-Konvention genutzt (https://www.akkreditierungsrat.de/de/faq/thema/08-anerkennung-und-anrechnung). Da hier nicht − im Gegensatz zur Anrechnung − inhaltliche Äquivalenzen geprüft, sondern dokumentierte Lernzeiten pauschal berücksichtigt werden, kann auch beim Zugang zur Hochschule auf Grundlage qualitätsgesicherter beruflicher Abschlüsse von Anerkennung gesprochen werden (vgl. Hanft/Müskens 2019).
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Eine aktuelle Übersicht über die in den Landesgesetzen geregelten Voraussetzungen zur Aufnahme eines Studiums findet sich unter http://www.studieren-ohne-abitur.de/web/laender/.
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Für weitere Informationen http://ankom.dzhw.eu/
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Wobei die Zahlen durchaus kritisch betrachtet werden müssen, da statistisch nicht nur beruflich Qualifizierte, sondern auch andere Gruppen erfasst werden; wie etwa Neuzugänge an Kunst- und Musikhochschulen ohne schulische HZB und auch beruflich Qualifizierte eine schulische HZB haben können, sich aber auf Grundlage ihrer beruflichen Qualifikation eingeschrieben haben (vgl. Nickel/Thiele/Leonowitsch 2020, S. 5).
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Siehe http://www.swissuni.ch/ziele-und-aufgaben
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Siehe https://www.hrk.de/themen/studium/weiterbildungsportal/