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Höhere berufliche Bildungsabschlüsse ermöglichen in Deutschland einen Weg in gehobene Fach- und Führungspositionen, die in vielen anderen Ländern nur über akademische Abschlüsse zugänglich sind. Formal sind die Abschlüsse gleichwertig mit Bachelor- bzw. traditionellen Diplom-Fachhochschulabschlüssen, die in der internationalen Bildungsklassifikation ISCED 2011 auf dem gleichen Niveau 6 eingeordnet sind wie die Abschlüsse der höheren Berufsbildung (vgl. Statistische Ämter des Bundes und der Länder 2019, S. 122f.). Auch im Deutschen Qualifikationsrahmen ist die formale Gleichwertigkeit zu Bachelorabschlüssen durch das gemeinsame Niveau 6 verankert.347

Fortbildungs- und Bachelorabschlüsse stehen im betrieblichen Aufstieg in einer gegenseitigen Konkurrenz, auch wenn die Betriebe keine signifikante Präferenz für Bewerber/-innen mit Bachelorabschluss haben (vgl. Maier/Mergener/Steeg 2020). Konkurrenzsituationen mit Akademikern/Akademikerinnen sind dabei in erster Linie in jenen Berufsfeldern zu beobachten, wo der berufliche und der akademische Bildungsweg für vergleichbare Tätigkeiten qualifizieren, wie im technischen und kaufmännisch-betriebswirtschaftlichen Bereich. Analysen zu Einkommensunterschieden von beruflich Höherqualifizierten und akademisch Qualifizierten verwiesen bereits auf Unterschiede zwischen diesen beiden Berufsfeldern (Kapitel C3.3). Für Beschäftigte, die sich in einem kaufmännisch-wirtschaftswissenschaftlichen Beruf qualifiziert haben, zeigten sich geringere Unterschiede als für technisch Qualifizierte (vgl. auch Flake/Werner/Zibrowius 2016).

Im vorliegende Beitrag wird erstens gezeigt, welche einzelnen Tätigkeiten von beruflich und akademisch Qualifizierten im kaufmännisch-wirtschaftswissenschaftlichen und technischen Berufsfeld ausgeübt werden. Zweitens wird dargestellt, wie beruflich Höherqualifizierte die Konkurrenz zu akademisch Qualifizierten selbst wahrnehmen. Die Analysen beschränken sich dabei auf Erwerbstätige mit höherer Berufsbildung und akademisch Qualifizierten (Bachelor-, Diplom-FH-Abschluss) auf dem gleichen Bildungslevel (ISCED 6). Datenquelle ist die BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung (ETB) 2018 (Erläuterung in Kapitel C3.2). Differenziert wurden jene Berufsfelder, in denen berufliche und akademische Qualifizierungen auf ISCED-6-Niveau in vergleichbare Tätigkeitsfelder führen.

Klassifizierung von Berufen und Tätigkeiten (ETB 2018)

Die erlernten Berufe bzw. Fachrichtungen werden basierend auf den 144 Berufsgruppen der Klassifizierung der Berufe (KldB 2010) in technische und kaufmännisch-wirtschaftswissenschaftliche Berufe (wiwi) unterschieden (Erläuterung in Kapitel C3.2).

Das Anforderungsniveau der Tätigkeiten wird durch die fünfte Stelle der KldB 2010 abgebildet, in der der üblicherweise erforderliche berufliche Bildungsabschluss abgetragen ist. Es werden vier Komplexitätsgrade unterschieden:

  1. Helfer-, Anlerntätigkeiten,
  2. fachlich ausgerichtete Tätigkeiten,
  3. komplexe Spezialistentätigkeiten und
  4. hochkomplexe Tätigkeiten für die in der Regel eine mindestens vierjährige Hochschulausbildung erforderlich ist.

Im TASK-Ansatz („Task-Based-Approach“) werden kognitive (analytische und interaktive) und manuelle Tätigkeiten weiter danach differenziert, ob sie durch ein hohes Maß an Routine gekennzeichnet sind. Routinetätigkeiten zeichnen sich im Gegensatz zu Nichtroutinetätigkeiten durch eine theoretische Ersetzbarkeit von Personen durch Computer bzw. computergesteuerte Anlagen aus. Es werden fünf TASK-Typen unterschieden:

  1. analytische/kognitive Nichtroutinetätigkeiten,
  2. interaktive Nichtroutinetätigkeiten,
  3. kognitive Routinetätigkeiten,
  4. manuelle Routinetätigkeiten,
  5. manuelle Nichtroutinetätigkeiten

(zur Zuordnung der einzelnen Tätigkeits-Items der ETB zum TASK-Schema vgl. Alda 2013, S. 66; Rohrbach-Schmidt/Tiemann 2011).

Erlernte Berufe mit höherer beruflicher und akademischer Bildung

Schaubild C3.4-1 zeigt, welche Art Abschlüsse im Rahmen einer beruflichen Höherqualifizierung erworben wurden. Fast jede/-r zweite Erwerbstätige mit beruflicher Höherqualifizierung hat einen Abschluss als Meister/-in (44%) und 16% hat einen Abschluss als Techniker/-in. Kaufmännische Fortbildungsabschlüsse machen einen Anteil von 29% aus (21% Fach-, Betriebswirte bzw. Betriebswirtinnen und 8% Fachkaufleute) und 11% sind sonstige Fortbildungsabschlüsse. Differenziert nach dem Geschlecht zeigen sich aufgrund der unterschiedlichen Berufswahl von Frauen und Männern deutliche Unterschiede: Bei Männern dominierten Meisterabschlüsse (55%), bei Frauen kaufmännische (50%) und sonstige Fortbildungsabschlüsse (mehrheitlich Fortbildungen im Gesundheitswesen wie Fachkrankenpfleger/-in, Pflegedienstleitung etc.).

Schaubild C3.4-1: Abschlüsse der höheren Berufsbildung nach Geschlecht (in %)

Für einen Vergleich mit Akademikern/Akademikerinnen wurde auf die Klassifizierung der Berufe (KldB) 2010 zurückgegriffen. In einem technischen Beruf qualifizierten sich rund 40% der Erwerbstätigen mit höheren Berufsbildungsabschluss (bspw. Maschinenbau- bzw. Elektrotechniker/-innen) und 34% der akademisch Qualifizierten mit Bachelor- oder traditionellem Dipl.-Fachhochschulabschluss (bspw. Ingenieure und Ingenieurinnen für Maschinenbau bzw. Elektrotechnik). In einem kaufmännisch-betriebswirtschaftlichen Beruf wurden 27% der Erwerbstätigen mit höherer Berufsbildung (bspw. staatlich geprüfte Fach- und Betriebswirte) und 21% der Akademiker/-innen (bspw. Betriebswirte mit akademischem Grad) ausgebildet. In sonstigen Berufen qualifizierten sich folglich 33% der beruflich Qualifizierten (z. B. Meister/-innen im Handwerk) und 46% der akademisch Qualifizierten (z. B. Sozialpädagogen und -pädagoginnen). Diese Gruppe ist sehr heterogen und die Abschlüsse sind untereinander kaum vergleichbar.

Ausgeübte Tätigkeiten mit höherer beruflicher und akademischer Bildung

Aufgrund der formalen Gleichwertigkeit der betrachteten Bildungsgruppen stellt sich erstens die Frage, in welchem Maße sich beruflich und akademisch Qualifizierte im Anforderungsniveau der ausgeübten Tätigkeit  unterscheiden. Schaubild C3.4-2 zeigt, dass Erwerbstätige mit höherem Berufsbildungsabschluss zwar mehrheitlich auf dem Niveau 3 (komplexe Spezialistentätigkeiten) oder darüber tätig waren. Akademisch Qualifizierte übten allerdings häufiger als beruflich Qualifizierte hochkomplexe Tätigkeiten (Niveau 4) aus (44% vs. 16%). Diese Differenz hinsichtlich des Anforderungsniveaus der Tätigkeiten unterscheidet sich, wie erwartet, zwischen den beiden Berufsfeldern. Akademisch Qualifizierte mit technischem Beruf (Bachelor- oder Diplom-FH-Abschluss) übten signifikant häufiger hochkomplexe Tätigkeiten aus (57%) als beruflich Qualifizierte mit höherem Berufsbildungsabschluss (11%). Im kaufmännisch-betriebswirtschaftlichen Berufsfeld war der Unterschied zwischen akademisch und beruflich Qualifizierten hingegen geringer: 37% der Akademiker/-innen und 24% der beruflich Höherqualifizierten übten zum Befragungszeitpunkt eine hochkomplexe Tätigkeit aus.

Zweitens ist zu fragen, ob sich die Bildungsgruppen in den einzelnen ausgeübten Tätigkeiten unterscheiden. In der ETB 2018 wurden verschiedene Tätigkeiten erfasst, wobei die ordinale Messung der Tätigkeiten (nie, manchmal, häufig ausgeübt) eine Gewichtung der einzelnen Items erlaubte. Zur Beschreibung von Tätigkeitsschwerpunkten wurde hier auf den von Autor/Levy/Murnane (2003) entwickelten „Task-Based-Approach“ (TASK)  zurückgegriffen.348 Schaubild C3.4-3 verdeutlicht, dass sich beruflich und akademisch Qualifizierte auch im Hinblick auf den Tätigkeitsschwerpunkt (TASK) unterscheiden und die Unterschiede wiederum mit dem Berufsfeld der Ausbildung variieren. Erwerbstätige mit höherem Berufsbildungsabschluss und kaufmännisch-wirtschaftswissenschaftlichem Beruf konnten in vergleichbarem Maße dem Tätigkeitstyp kognitive Nichtroutine (analytische und interaktive) zugeordnet werden (79%) wie akademisch Qualifizierte (84%). Während allerdings der Tätigkeitsschwerpunkt bei Akademikern/Akademikerinnen mit entsprechender fachlicher Qualifizierung häufiger als bei beruflich Qualifizierten bei analytisch-kognitiven Nichtroutinetätigkeiten lag (58% vs. 46%), war der Tätigkeitsschwerpunkt bei beruflich Qualifizierten häufiger als bei Akademikern und Akademikerinnen im Bereich der interaktiven Tätigkeiten (33% vs. 26%). Ein anderes Bild zeigte sich bei den technischen Berufen: 72% der Akademiker/-innen mit technischer Qualifizierung waren dem Tätigkeitstyp „analytisch-kognitive Nichtroutinetätigkeiten“ zuzuordnen, wohingegen dies nur auf 45% der beruflich Qualifizierten zutraf. Bei rund jedem Dritten beruflich Qualifizierten mit technischer Fortbildung dominierten manuelle Routinetätigkeiten (30%).

Schaubild C3.4-2: Anforderungsniveau (KldB 2010) nach Bildungsabschluss und Fachrichtung (in %)

Schaubild C3.4-3: Tätigkeitsschwerpunkt (TASK) nach Bildungsabschluss und Fachrichtung (in %)

Ein Blick auf die einzelnen Tätigkeiten hinter den Tätigkeitsschwerpunkten (TASK) zeigt konkreter, worauf die Unterschiede beruhen Tabelle C3.4-1. So waren akademisch Qualifizierte in technischen Berufen signifikant häufiger mit „Entwickeln/Forschen/Konstruieren“ beschäftigt (45%) als beruflich Qualifizierte (19%), die wiederum häufiger mit manuellen Routinetätigkeiten wie „Messen/Prüfen/Qualitätskontrolle“ (62%) oder „Reparieren/Instandsetzen“ (43%) betraut waren (akademisch Qualifizierte: 44% bzw. 13%). Insgesamt unterschieden sich die beiden Bildungsgruppen in 11 der 16 Tätigkeiten signifikant. Ein anderes Bild zeigte sich bei beruflich und akademisch Qualifizierten mit kaufmännisch-wirtschaftswissenschaftlichem Beruf. Die aufgeführten Tätigkeiten wurden von beiden Bildungsgruppen in ähnlichem Maße häufig ausgeübt. Signifikante Differenzen betrafen lediglich die Tätigkeiten „Einkaufen/Beschaffen/Verkaufen“, die von beruflich Qualifizierten zu einem höheren Anteil häufiger ausgeübt wurde (31%) als von akademisch Qualifizierten (23%).

Tabelle C3.4-1: Häufig ausgeübte Tätigkeiten mit höherer beruflicher und akademischer Bildung nach Fachrichtung (Mehrfachnennungen, in %)

Höhere Berufsbildung und wahrgenommene Konkurrenz zu Akademikern und Akademikerinnen

Die ETB 2018 liefert auch einen Indikator zur wahrgenommenen Konkurrenz unter Erwerbstätigen mit höherer Berufsbildung. Gefragt wurde: „Haben Sie den Eindruck, dass Sie mit diesem Fortbildungsabschluss mit Personen konkurrieren, die einen Universitäts- oder Fachhochschulabschluss haben?“ Rund jede/-r zweite Erwerbstätige mit einem höheren Berufsbildungsabschluss (49%) bejahte diese Frage Schaubild C3.4-4. Dabei zeigten sich deutliche und signifikante Unterschiede zwischen Meistern/Meisterinnen und Technikern/Technikerinnen bzw. kaufmännisch Fortgebildeten. Konkurrenzsituationen stellten sich für beruflich Höherqualifizierte, die sich in technischen oder kaufmännisch-wirtschaftswissenschaftlichen Berufen qualifizierten (62% bzw. 58%) erwartungsgemäß häufiger als für Meister/-innen (42%).

Die aufgezeigten Unterschiede zu Meistern und Meisterinnen blieben auch unter Berücksichtigung weiterer relevanter Merkmale erhalten und lagen bei 19 Prozentpunkten für Techniker/-innen und 15 Prozentpunkten für kaufmännisch Qualifizierte Schaubild C3.4-5. Im multivariaten Modell zeigte sich zudem, dass die Wahrscheinlichkeit einer wahrgenommenen Konkurrenz zu Akademikern und Akademikerinnen bei beruflich Höherqualifizierten mit Hochschulzugangsberechtigung ((Fach-)Abitur) um elf Prozentpunkte höher lag als bei beruflich Höherqualifizierten ohne Hochschulzugangsberechtigung. Auch eine Tätigkeit in einem Betrieb mit 500 und mehr Beschäftigten erhöhte die Wahrscheinlichkeit für eine wahrgenommene Konkurrenz um elf Prozentpunkte. Zu erwarten war auch, dass die wahrgenommene Konkurrenz für jüngere Abschlusskohorten höher liegt. Denn mit der Reform des Hochschulsystems im Rahmen der Bologna-Reform (1999) wurden mit den Bachelorabschlüssen kürzere und auf Beschäftigungsfähigkeit hin abzielenden akademische Abschlüsse eingeführt. Empirisch zeigte sich ein entsprechender Zusammenhang: Erwerbstätige, die ihren höheren Berufsbildungsabschluss nach 1999 erworben haben, sahen sich zum Befragungszeitpunkt signifikant häufiger in Konkurrenz zu Akademikern und Akademikerinnen als jene, die ihren Abschluss früher erworben haben (plus 13 Prozentpunkte).

(Anja Hall)

Schaubild C3.4-4: Wahrgenommene Konkurrenz zu Akademikern und Akademikerinnen bei Erwerbstätigen mit höherer Berufsbildung (in %)

Schaubild C3.4-5: Wahrscheinlichkeit einer wahrgenommenen Konkurrenz zu Akademikern/Akademikerinnen bei Erwerbstätigen mit höherer Berufsbildung (durchschnittliche Marginaleffekte)

  • 347

    Siehe ​​​​​​​www.dqr.de/content/2336.php

  • 348

    Von der hier verwendeten befragungsbasierten Operationalisierung auf Basis individueller Angaben zum Arbeitsplatz (vgl. Alda 2013), sind expertenbasierte Operationalisierungen der TASK auf Basis von Berufsangaben zu unterscheiden (vgl. Dengler/Matthes/Paulus 2014).