Die höherqualifizierende Berufsbildung (Aufstiegsfortbildung) ist im deutschen Berufsbildungssystem ein strukturelles Kernelement zur beruflichen Weiterbildung von Personen mit einer abgeschlossenen Berufsausbildung, welches zu einem höherwertigen Bildungsabschluss führt und neue Karrierewege ermöglicht. Forschungsarbeiten zeigen, dass Personen mit beruflicher Höherqualifizierung Vorteile gegenüber jenen ohne Fortbildungsabschluss aufweisen, und zwar sowohl hinsichtlich objektiver als auch subjektiver Erfolgsdimensionen: Sie erzielen höhere Einkommen, üben häufiger anspruchsvolle Fach- und Führungstätigkeiten aus und befinden sich häufiger in unbefristeten Beschäftigungsverhältnissen. Zudem schreiben sie ihrem Fortbildungsabschluss einen hohen subjektiven Nutzen zu (Kapitel C3.2; Hall 2020; BIBB-Datenreport 2019, Kapitel A10.3.1).
Dieser Beitrag behandelt zwei Fragestellungen, anhand derer die genannten Befunde ergänzt werden sollen: Erstens wird untersucht, welche Personengruppen eine berufliche Höherqualifizierung absolvieren und in welchen Berufssegmenten sie anschließend tätig sind. Zweitens wirft der Beitrag einen vergleichenden Blick auf die Arbeitssituation von Erwerbstätigen mit und ohne berufliche Höherqualifizierung, und zwar in Hinblick auf unterschiedliche Facetten: Neben üblichen Indikatoren wie Einkommen und beruflicher Positionierung werden in diesem Beitrag noch andere Aspekte in den Fokus genommen, die bislang selten untersucht wurden; und zwar Unterschiede in den tatsächlich ausgeübten Tätigkeiten, in den gesundheitlichen Belastungsfaktoren am Arbeitsplatz sowie in den Erwartungen beruflicher Veränderungen.
Als Datenquelle dient das Nationale Bildungspanel (NEPS), das für die genannten Fragestellungen in besonderem Maße geeignet ist. So bieten die Daten zum einen detaillierte Bildungs- und Erwerbsverläufe, die u. a. die Unterscheidung höherer Berufsbildungsabschlüsse erlauben, und zum anderen eine Vielzahl von Messungen zu monetären und nicht monetären Bildungsrenditen.
Nationales Bildungspanel – National Educational Panel Study (NEPS)
Diese Arbeit nutzt Daten des NEPS: Startkohorte Erwachsene, doi:10.5157/NEPS:SC6:11.0.0. Die Daten des NEPS wurden von 2008 bis 2013 als Teil des Rahmenprogramms zur Förderung der empirischen Bildungsforschung erhoben, welches vom BMBF finanziert wurde. Seit 2014 wird NEPS vom Leibniz-Institut für Bildungsverläufe e. V. (LIfBi) an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg in Kooperation mit einem deutschlandweiten Netzwerk weitergeführt. Das NEPS erhebt Längsschnittdaten zu Bildungserwerb, Bildungsprozessen und Kompetenzentwicklung in formalen, nicht formalen und informellen Kontexten über den gesamten Lebensverlauf. Dazu wurden sechs Startkohorten vom Säugling bis zu Erwachsenen im Rentenalter mit insgesamt mehr als 60.000 Personen gezogen.
Diese werden jährlich befragt und auf ihre Kompetenzen hin getestet. Weitere Informationen zum NEPS sind unter https://www.lifbi.de/ und bei Blossfeld/Roßbach/von Maurice (2011) zu finden. Für die hier genutzte NEPS-Teilstudie (Startkohorte 6) wurden, aufbauend auf der ALWA-Studie des IAB349 von 2007, seit 2009 Personen der Geburtsjahrgänge 1944 bis 1986 befragt und getestet.
An der vierten350 NEPS-Erhebungswelle, die von Herbst 2011 bis Frühjahr 2012 stattfand, nahmen ca. 14.000 Befragte teil, darunter 9.768 Personen über 25 Jahren, die einer Erwerbstätigkeit von mindestens zehn Wochenstunden nachgingen und eine gültige Berufsangabe zu ihrem Aus- bzw. Fortbildungsabschluss gemacht haben. Von diesen hatten 971 Personen eine berufliche Höherqualifizierung absolviert, darunter 493 Meister/-innen, 231 Techniker/-innen sowie 247 Personen mit einem sonstigen Fortbildungsabschluss.351 Personen, die parallel zu einer beruflichen Höherqualifizierung über einen Hochschulabschluss verfügten, wurden aus den Analysen ausgeschlossen. Ebenfalls nicht berücksichtigt wurden Personen ohne formale Qualifikation, Personen mit Hochschulabschluss sowie sonstige Kurse, Lehrgänge und Berufsabschlüsse. Die Vergleichsgruppe bilden somit die verbleibenden 4.617 Personen, die zum Befragungszeitpunkt lediglich einen formal qualifizierenden Berufsabschluss (dual oder vollzeitschulisch) erworben hatten und keine berufliche Höherqualifizierung aufwiesen.
Alle dargestellten Ergebnisse basieren auf gewichteten Daten (vgl. Hammon u. a. 2016 für weitere Informationen).
Von den betrachteten Erwerbstätigen gaben insgesamt 6,4% (gewichtet) als höchsten Bildungsabschluss einen Fortbildungsabschluss an: 3,3% nannten einen Abschluss als Meister/-in, 1,4% einen Abschluss als Techniker/-in und 1,7% einen sonstigen Fortbildungsabschluss. Tabelle C3.5-1 gibt Aufschluss über die sozialstrukturelle Verteilung der Erwerbstätigen mit und ohne berufliche Höherqualifizierung. Erwerbstätige mit Fortbildungsabschluss verfügten häufiger über einen höheren Schulabschluss als jene ohne berufliche Höherqualifizierung, wobei zwischen den einzelnen Fortbildungsabschlüssen Unterschiede deutlich werden: Während mehr als jede/-r Dritte mit einem sonstigen Fortbildungsabschluss (33,9%) eine (Fach-)Hochschulreife hatte, war es bei Technikerinnen und Technikern jede/-r Vierte (27,6%) und bei Meisterinnen und Meistern jede/-r Sechste (16,0%). Unter den Erwerbstätigen ohne berufliche Höherqualifizierung lag der Anteil von Personen mit (Fach-)Hochschulreife lediglich bei 14,3%. Mit Blick auf das Geschlechterverhältnis zeigte sich insbesondere unter Meisterinnen bzw. Meistern sowie unter Technikerinnen bzw. Technikern ein relativ geringer Frauenanteil (19,0% bzw. 16,8%), wohingegen die Geschlechter unter den Erwerbstätigen mit einem sonstigen Fortbildungsabschluss ebenso ausgewogen verteilt waren wie unter jenen ohne berufliche Höherqualifizierung (44,9% bzw. 47,3%). Hinsichtlich des Anteils an Personen mit Migrationshintergrund gab es nur wenige Unterschiede zwischen Personen mit und ohne beruflicher Höherqualifizierung.
Tabelle C3.5-1: Sozialstruktur der höherqualifizierenden Berufsbildung (in %)
In Schaubild C3.5-1 wird deutlich, auf welche Berufssegmente sich die Absolventinnen und Absolventen verschiedener Fortbildungsabschlüsse verteilten. Der überwiegende Anteil der Erwerbstätigen mit einem Abschluss als Meister/-in bzw. Techniker/-in arbeitete in fertigungstechnischen Berufen. Unter den Meisterinnen und Meistern waren überdies auch Fertigungs- sowie Bau- und Ausbauberufe relativ stark besetzt. Wesentlich heterogener war die Gruppe der Erwerbstätigen mit sonstigem Fortbildungsabschluss: Der Großteil arbeitete in unternehmensbezogenen Dienstleistungsberufen bzw. in der Unternehmensführung und -organisation. Ebenfalls relativ stark vertreten waren jedoch (soziale und kulturelle sowie IT- und naturwissenschaftliche) Dienstleistungsberufe sowie Handels- und Gesundheitsberufe.352
Schaubild C3.5-1: Verteilung von Ausbildungsabsolventen/-absolventinnen auf Berufssegmente (in %)
Hinsichtlich der Erträge beruflicher Höherqualifizierung auf die berufliche Positionierung und das Einkommen können anhand der verwendeten NEPS-Daten zunächst bisherige Befunde bestätigt werden (vgl. Hall 2020). So waren mehr als ein Fünftel aller Meister/-innen (22%) selbstständig, während die Selbstständigenquote sowohl bei den übrigen Gruppen mit Fortbildungsabschluss als auch bei Personen ohne berufliche Höherqualifizierung gleichermaßen bei ca. 10% lag. Ein Fortbildungsabschluss ging überdies häufig mit Personalverantwortung einher: Die Hälfte aller Meister/-innen (und jeweils ein Drittel der Techniker/-innen bzw. Erwerbstätigen mit sonstigem Fortbildungsabschluss) gab an, eine Leitungsfunktion innezuhaben. Personen ohne berufliche Höherqualifizierung stimmten dem hingegen lediglich zu 23% zu. Bezüglich des monetären Nutzens beruflicher Höherqualifizierung lässt sich ein Einkommensvorteil für Erwerbstätige mit Fortbildungsabschluss feststellen: Während Vollzeiterwerbstätige, die lediglich eine Berufsausbildung absolviert hatten, ein durchschnittliches Bruttomonatseinkommen von 3.135 € angaben, lag der Wert bei Erwerbstätigen mit beruflicher Höherqualifizierung je nach Art des Fortbildungsabschlusses um rund 500 bis 1.100 € höher.
Die bislang berichteten Indikatoren lassen jedoch nur eingeschränkte Aussagen über die tatsächlichen Arbeitsbedingungen zu, die wiederum u. a. Faktoren wie Arbeitszufriedenheit, -motivation oder -leistung beeinflussen können. Schaubild C3.5-2 zeigt, inwiefern sich die am Arbeitsplatz ausgeführten Tätigkeiten zwischen Personen mit und ohne beruflicher Höherqualifizierung unterschieden. Es sind die Anteile der Befragten der jeweiligen Gruppe dargestellt, die angaben, dass sich ihr Arbeitsalltag häufig durch die aufgeführten Tätigkeitsdimensionen kennzeichnete. Personen mit Fortbildungsabschlüssen wiesen im Vergleich zu jenen ohne berufliche Höherqualifizierung in nahezu allen Dimensionen höhere Werte auf: Sie wurden demnach häufiger mit abwechslungsreichen Aufgaben betraut, die sie zudem weitestgehend selbstbestimmt erledigen konnten. Überdies erforderte ihre Erwerbstätigkeit häufiger ein hohes Maß an Interaktionen mit anderen Menschen sowie die Ausübung analytischer Tätigkeiten wie dem Lesen und Verfassen von Texten oder der Anwendung mathematischer Fähigkeiten. Eine letzte Dimension ist hingegen differenzierter zu betrachten: Insbesondere Meister/-innen gaben an, sich bei der Arbeit häufiger körperlich anstrengen zu müssen als Personen ohne berufliche Höherqualifizierung. Umgekehrt war dies bei Technikern/Technikerinnen und Personen mit sonstigem Fortbildungsabschluss offenbar seltener der Fall.
Schaubild C3.5-2: Dimensionen verschiedener Tätigkeiten am Arbeitsplatz (Zustimmung in %)
Die alltäglichen Arbeitsbedingungen können des Weiteren durch gesundheitliche Belastungen beeinträchtigt werden. Schaubild C3.5-3 führt, differenziert nach Fortbildungsabschluss, die Ausprägungen einiger potenzieller Stressfaktoren auf, die auf die Erwerbssituation der Befragten in der achten Befragungswelle (2015/2016) zutrafen. Demnach arbeiteten Personen mit Fortbildungsabschluss tendenziell etwas seltener im Schicht- und/oder Nachtdienst als Personen ohne berufliche Höherqualifizierung. Hingegen gaben insbesondere Meister/-innen häufiger an, am Arbeitsplatz unter einem hohen Termin- bzw. Leistungsdruck zu stehen, was zum Teil vermutlich auf den hohen Anteil an Selbstständigen in dieser Gruppe zurückzuführen ist. Auch von zeitlichen Belastungen wie z. B. Überstunden waren sie (ebenso wie Techniker/-innen) häufiger betroffen als Personen ohne Fortbildungsabschluss. Belastende Konflikte am Arbeitsplatz wurden (ähnlich wie eine grundsätzliche Gesundheitsgefährdung durch den Beruf) über alle Gruppen hinweg nur relativ selten berichtet.
Abschließend wurde untersucht, wie Personen mit bzw. ohne berufliche Höherqualifizierung in ihre berufliche Zukunft blicken Schaubild C3.5-4. Insgesamt unterschieden sich die antizipierten beruflichen Veränderungen nur in geringem Maße zwischen den betrachteten Gruppen. Interessanterweise waren Personen mit Fortbildungsabschluss nahezu ebenso oft besorgt, ihren Arbeitsplatz zu verlieren, wie Personen ohne berufliche Höherqualifizierung.353 Eine Gehaltserhöhung wurde von Meistern und Meisterinnen und Technikern und Technikerinnen etwas häufiger und von Personen mit sonstigem Fortbildungsabschluss seltener erwartet als von Personen mit Berufsausbildung.
Schaubild C3.5-3: Ausprägungen von Belastungen am Arbeitsplatz (Zustimmung in %)
Schaubild C3.5-4: Antizipierte Wahrscheinlichkeit von beruflichen Veränderungen (Zustimmung in %)
Fazit
Die Daten des NEPS zeigen zum Teil deutliche Unterschiede in der Arbeitssituation Erwerbstätiger mit und ohne berufliche Höherqualifizierung. Diese lagen zum einen in etablierten Erfolgsindikatoren wie Berufsposition und Einkommen und zum anderen in Dimensionen wie der Ausgestaltung beruflicher Tätigkeiten am Arbeitsplatz oder dem Ausmaß potenzieller Gesundheits- und Stressbelastungen, denen Erwerbstätige ausgesetzt sind. Mit Blick auf ihre Berufsaussichten für die nähere Zukunft schienen Erwerbstätige mit und ohne eine berufliche Höherqualifizierung ähnliche Erwartungen zu haben. Zuletzt verdeutlichen die dargestellten Ergebnisse das hohe Analysepotenzial der verwendeten NEPS-Daten für die zukünftige Untersuchung höherqualifizierender Berufsbildungsabschlüsse, das u. a. von der Identifizierung begünstigender Faktoren für die Aufnahme bzw. erfolgreiche Teilnahme einer Fortbildung bis hin zu vertieften Längsschnittanalysen der Konsequenzen unterschiedlicher Fortbildungsabschlüsse reicht.
(Matthias Siembab)
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349
Siehe http://fdz.iab.de/de/FDZ_Individual_Data/ALWA.aspx#ALWA
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350
Die verwendete vierte Welle ist aufgrund höherer Fallzahlen für die vorliegende Fragestellung aussagekräftiger als spätere Wellen. Eine Ausnahme stellen die präsentierten Ergebnisse zu den gesundheitlichen Belastungsfaktoren dar, die in der achten Welle zum ersten Mal erfragt wurden.
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351
Zu „sonstigen Fortbildungsabschlüssen“ wurden 194 Personen gezählt, die einen „anderen Fachschulabschluss“ angaben, sowie 53 Personen, die eine Prüfung bei einem Verband oder einer Kammer (z. B. IHK) absolviert hatten. Dabei wurden jeweils ausschließlich solche Abschlüsse berücksichtigt, die gemäß der Klassifikation der Berufe 2010 (KldB 2010) mindestens dem Anforderungsniveau drei („komplexe Spezialistentätigkeiten“) zugeordnet wurden. Kaufmännische Fortbildungen (z. B. Fachwirt/-in) werden in den NEPS-Daten nicht gesondert erhoben – die Ergebnisse aus Schaubild C3.5-1 deuten jedoch darauf hin, dass sie in die Kategorie „sonstige Fortbildungsabschlüsse“ fallen.
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352
Diese Heterogenität ist zum Teil auf die Art und Weise der Erfassung beruflicher Fortbildungsabschlüsse in den NEPS-Daten zurückzuführen (s. o.).
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Eine mögliche Erklärung könnte die zum Erhebungszeitpunkt 2011/2012 noch nicht lange zurückliegende Finanzkrise und die damit verbundene angespannte Lage auf dem Arbeitsmarkt sein.