Unbesetzte Ausbildungsplatzangebote
Im vergangenen Berichtsjahr 2020 ist sowohl die absolute Anzahl an unbesetzten betrieblichen Ausbildungsstellen als auch die Quote der unbesetzten betrieblichen Stellen an allen betrieblichen Ausbildungsstellen deutlich gestiegen. Auch im aktuellen Berichtsjahr 2021 sind beide Kennzahlen nochmals angestiegen und liegen damit auf einem neuen Höchstwert seit 2010 Tabelle A1.1.2-1. Die Anzahl der unbesetzten Ausbildungsstellen ist von 53.100 im Jahr 2019 auf 59.900 in 2020 und auf 63.200 im Jahr 2021 gestiegen. Dies entspricht insgesamt einem Anstieg um 10.000 Stellen bzw. 18,9 %. Die Quote der unbesetzten Stellen an allen betrieblichen Ausbildungsstellen ist entsprechend von 9,4 % im Berichtsjahr 2019 auf 11,7 % im Jahr 2020 und 12,2 % im Jahr 2021 gestiegen.
Tabelle A1.1.2-1: Erfolglose Marktteilnahmen 2010 bis 2021 in Deutschland (Stichtag 30. September)
Erfolglose Ausbildungsplatznachfrage
Während die Besetzungsprobleme für die Betriebe somit auch im Jahr 2021 nochmals deutlich angestiegen sind, hat sich die Versorgungslage aus Sicht der Jugendlichen etwas verbessert. Nachdem die Anzahl der zum 30. September noch suchenden Ausbildungsstellenbewerber/-innen im Jahr 2020 gegenüber 2019 um 4.500 gestiegen war, sank diese Kennziffer im Jahr 2021 gegenüber 2020 wieder deutlich um 10.400 Stellen bzw. 13,3 % auf 67.800 noch suchende Jugendliche Tabelle A1.1.2-1. Dies entspricht einem neuen Tiefstand seit 2010.
Auch die Quote der noch suchenden Jugendlichen in Relation zu der insgesamt ermittelten Ausbildungsplatznachfrage ist von 14,3 % im Berichtsjahr 2020 auf 12,5 % im Jahr 2021 gesunken. Nur in den Jahren 2011 und 2012 lag diese Kennziffer noch etwas geringer.
Passungsprobleme
Im Berichtsjahr 2021 betrug das ungenutzte Ausbildungsvertragspotenzial 63.200, resultierend aus den 63.200 unbesetzten Ausbildungsplätzen, denen 67.800 noch suchende Ausbildungsplatznachfrager/-innen gegenüberstanden.
Ungenutztes Ausbildungsvertragspotenzial
Das ungenutzte Ausbildungsvertragspotenzial ist stets so hoch wie die kleinere Zahl der auf beiden Seiten des Ausbildungsmarktes registrierten erfolglosen Teilnahmen (da jeder dieser erfolglosen Teilnahmen zumindest eine erfolglose Teilnahme auf der anderen Marktseite gegenübersteht und infolgedessen in quantitativer Hinsicht das Potenzial vorhanden war, jede dieser Marktteilnahmen zu einem erfolgreichen Vertragsabschluss zu führen).
Im Gegensatz zum ungenutzten Vertragspotenzial ist für die Ermittlung der Passungsprobleme auch relevant, in welchem Ausmaß die Seite mit der höheren Zahl an Marktteilnahmen die kleinere Zahl übertrifft. Denn je stärker die Seite mit der größeren Zahl erfolgloser Marktteilnahmen die Seite mit der kleineren Zahl übertrifft, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass Angebot und Nachfrage grundsätzlich nicht zusammenpassen. Um zugleich Passungsprobleme begrifflich von Besetzungsproblemen (viele unbesetzte Stellen, aber wenig erfolglos suchende Jugendliche) oder Versorgungsproblemen (viele erfolglos Suchende, aber wenig unbesetzte Stellen) abzugrenzen (vgl. Matthes/Ulrich 2015), gilt, dass Passungsprobleme gegeben sind, wenn zum Bilanzierungsstichtag 30. September sowohl relativ viele unbesetzte Ausbildungsstellen als auch relativ viele erfolglos suchende Jugendliche übriggeblieben sind.
Passungsprobleme
Quantitativ lässt sich das Ausmaß der Passungsprobleme durch Multiplikation der relativen Erfolglosenanteile auf beiden Seiten des Ausbildungsmarktes abbilden. Der „Index Passungsprobleme“ (IP) berechnet sich als Produkt aus dem Prozentanteil der unbesetzten Stellen am betrieblichen Ausbildungsplatzangebot und dem Prozentanteil der noch suchenden Bewerber/-innen an der Ausbildungsplatznachfrage.
Der Wertebereich variiert damit rechnerisch von 0 % * 0 % = 0 (keinerlei Passungsprobleme, da keine gemeldete Stelle unbesetzt bleibt und kein/-e Nachfrager/-in am Ende des Berichtsjahres noch sucht) bis hin zum nur rechnerisch, aber praktisch kaum möglichen Wert von 100 % * 100 % = 10.000 (alle gemeldeten Stellen bleiben unbesetzt und alle Nachfrager/-innen suchen am Ende des Berichtsjahres noch weiter).
Durch die multiplikative Verknüpfung wird sichergestellt, dass der Indikator auch dann keine Passungsprobleme anzeigt, wenn zwar massive Besetzungsprobleme vorliegen, aber keine Versorgungsprobleme (im Extremfall 100 % * 0 % = 0), und umgekehrt, wenn keine Besetzungsprobleme existieren, aber die Versorgungsprobleme groß sind (im Extremfall 0 % * 100 % = 0).
Als Folge einer deutlichen Reduzierung des Anteils der noch suchenden Jugendlichen an der insgesamt ermittelten Ausbildungsplatznachfrage Tabelle A1.1.2-1 sind die Passungsprobleme im Jahr 2021 im Vergleich zum Vorjahr gesunken, obwohl die Quote der unbesetzten betrieblichen Ausbildungsstellen an allen betrieblichen Ausbildungsplatzangeboten nochmals gestiegen ist. Der „Index Passungsprobleme“ liegt im Jahr 2021 bei 152,4. Dabei fällt er in Ostdeutschland weiterhin deutlich höher aus als in Westdeutschland.
Betrachtet man die Versorgungs- und Besetzungsprobleme auf der Ebene der Arbeitsagenturbezirke, wird deutlich, dass es erhebliche regionale Unterschiede auf dem Ausbildungsmarkt gibt. Schaubild A1.1.2-1 verdeutlicht, dass es oftmals in Regionen mit besonders starken Besetzungsproblemen eher wenige Nachfrager/-innen gibt, die zum Abschluss des Ausbildungsjahres noch auf Ausbildungsplatzsuche sind. In Regionen mit besonders starken Versorgungsproblemen stehen umgekehrt am Ende des Jahres nur noch wenige offene Ausbildungsstellen zur Verfügung. Während also in vielen Regionen entweder Besetzungs- oder Versorgungsprobleme dominieren, gibt es auch Regionen, die in überdurchschnittlichem Maße von Besetzungs- und Versorgungsproblemen zugleich betroffen sind. Hierzu zählten 2021 z. B. die Arbeitsagenturbezirke Potsdam (IP = 376,0), Greifswald (IP = 370,8) und Cottbus (IP=361,0).
Regionale Ausbildungsmarktunterschiede
Die offiziell ausgewiesenen Angebots-Nachfrage-Relationen spiegeln auf der regionalen Ebene nicht die ursprünglichen Verhältnisse vor Ort, sondern die durch (erfolgreiche) Mobilität der Jugendlichen geprägten Marktlagen wider. Denn die erfolgreiche Ausbildungsplatznachfrage wird mit neu abgeschlossenen Ausbildungsverträgen der örtlichen Betriebe gleichgesetzt. Somit sind in dieser Größe auch auswärtige Jugendliche enthalten, während umgekehrt einheimische Jugendliche fehlen, die ihren Ausbildungsvertrag mit einem auswärtigen Betrieb abschlossen. Zwischen den ursprünglichen Marktlagen vor Ort („vor“ Mobilität) und den mobilitätsgeprägten Marktlagen gibt es zum Teil beträchtliche Unterschiede (vgl. Matthes/Ulrich 2018; Herzer/Ulrich 2020; Kapitel A8.2.1).
Die erfolglose Ausbildungsplatznachfrage wird im Gegensatz zur erfolgreichen Nachfrage ausschließlich wohnortbezogen gemessen, auch wenn einheimische Jugendliche sich womöglich ausschließlich außerhalb der Region beworben haben sollten. Auch das Ausbildungsplatzangebot umfasst, ob erfolgreich oder erfolglos, ausschließlich Ausbildungsstellen aus der betreffenden Region.
Schaubild A1.1.2-1: Anteile erfolgloser Marktteilnahmen in den Regionen (Arbeitsagenturbezirken) im Jahr 2021
Neben der regionalen Perspektive zeigen sich auch Heterogenitäten in den Besetzungs- und Versorgungsproblemen in den verschiedenen Ausbildungsberufen. Wie bereits in den Vorjahren waren auch 2021 vor allem Berufe in der Gastronomie, dem Lebensmittelhandwerk und im Reinigungsgewerbe von Besetzungsproblemen betroffen Tabelle A1.1.2-2. Versorgungsprobleme zeigen sich weiterhin u. a. in Medienberufen und in Teilen des kaufmännischen Bereichs.
Schaubild A1.1.2-2 veranschaulicht eine erhebliche Diskrepanz zwischen dem von den Ausbildungsplatzanbietern erwarteten (Mindest-)Schulabschluss für ihre Ausbildungsstellen und den tatsächlichen Schulabschlüssen der gemeldeten Bewerber/-innen. Die Zahl der Stellen mit Hauptschulabschluss als mindestens erwarteten Schulabschluss überschreitet die Zahl der Bewerber/-innen mit Hauptschulabschluss deutlich. Für diesen Schulabschluss gibt es deutlich mehr als doppelt so viele Stellen als Bewerber/-innen. Für die Schulabschlüsse Abitur und Fachhochschulreife zeigt sich ein gegenteiliges Bild. Dort überschreitet die Anzahl der Bewerber/-innen mit einem solchen Abschluss die Zahl der Stellen mit dem entsprechend erwarteten Schulabschluss deutlich. Lediglich beim Schulabschluss mittlere Reife zeigt sich ein ausgeglichenes Bild.
Frühere Auswertungen haben in Konsistenz mit Schaubild A1.1.2-2 auf Ebene der Berufe eine positive Korrelation zwischen der Quote der unbesetzten betrieblichen Ausbildungsplatzangebote und dem Anteil der Personen mit maximal Hauptschulabschluss unter den Personen mit neu abgeschlossenem Ausbildungsvertrag aufgezeigt (vgl. Oeynhausen u. a. 2021). Berufe mit großen Besetzungsproblemen sind somit oftmals Berufe, wo der Hauptschulabschluss als Mindestvoraussetzung seitens der Betriebe genannt wird. Die Steigerung der Attraktivität dieser Berufe bleibt eine zentrale bildungspolitische Herausforderung.