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Die Bedeutung kodifizierter Zusatzqualifikationen

Ausbildungsberufe sind strukturierte Bildungsgänge der beruflichen Bildung und darüber hinaus wichtig für die Strukturierung des Arbeitsmarktes, von arbeitsteiligen Prozessen in Betrieben und zudem Anknüpfungspunkt für die Weiterbildung. Ein wichtiges Kriterium bei der Neuordnung von Ausbildungsberufen ist die Definition eines bundesweiten Mindeststandards für ein möglichst breites Tätigkeitsprofil. Dieser soll von möglichst vielen Betrieben nachgefragt und ausgebildet werden können. Dabei soll die Anzahl der Berufe überschaubar und transparent sein. Die unterschiedlichen Qualifizierungsbedarfe von Betrieben müssen bei der Neuordnung berücksichtigt werden, ohne dass die Berufslandschaft allzu kleinteilig und unüberschaubar wird. Aus diesem Grund wurden in der Vergangenheit unterschiedliche Strukturkonzepte erarbeitet (vgl. Schwarz/Bretschneider 2015). Die Definition eines Mindeststandards legt nahe, dass er von innovativen Betrieben überschritten und dass gerne auch betriebsspezifisch oberhalb des Standards ausgebildet werden kann. Dies gilt vor allem für die Implementation technologischer Neuerungen in der Praxis. Allerdings stellte sich in der Vergangenheit in einigen Berufen die Frage, ob es nicht wünschenswert wäre, zusätzlich Gelerntes auch zu zertifizieren. Aus diesem Grund wurde das Instrument der Zusatzqualifikationen (ZQ) erprobt, welches zunächst seitens Kammern und Berufsschulen angeboten wurde, um regionale Qualifizierungsbedarfe zu decken und die Ausbildung für Auszubildende und Betriebe attraktiv zu erweitern. Seit 2005 ist es auch möglich, bundesweit kodifizierte Zusatzqualifikationen im Rahmen der Neuordnung von Ausbildungsberufen zu erlassen. Im Folgenden soll das Instrument der kodifizierten Zusatzqualifikationen (kZQ) erläutert und ausgewählte Ergebnisse aus der Evaluation der 2018 verordneten Metall- und Elektroberufe (M+E-Berufe) dargestellt werden.

Kodifizierte Zusatzqualifikationen als Strukturelement von Ausbildungsberufen

Mit der Novellierung des Berufsbildungsgesetzes im Jahr 2005 hat der Gesetzgeber die rechtliche Grundlage (§ 49 BBiG) geschaffen, um zusätzliche Qualifikationen, die die berufliche Handlungsfähigkeit ergänzen oder erweitern, in den Ausbildungsordnungen zu verankern. Diese sog. kZQ sind in sich geschlossene Bündel an Fertigkeiten, Kenntnissen und Fähigkeiten, die optional und zusätzlich zum Ausbildungsberufsbild im Rahmen der Berufsausbildung vermittelt und geprüft werden können (vgl. Kaufmann/Zinke/Winkler 2021, S. 6).

Hierbei stehen zwei Varianten zur Auswahl: Bei der ersten Variante können aus in der jeweiligen Ausbildungsordnung enthaltenen Wahlqualifikationen über den obligatorischen Rahmen hinaus weitere gewählt und als kZQ absolviert werden. Bei der zweiten Variante sind thematisch abgegrenzte Qualifikationsbündel als Zusatzqualifikationen in der Ausbildungsordnung einschließlich Ausbildungsrahmenplänen und Prüfungsregelungen hinterlegt. Die gesonderten Prüfungen beider Varianten finden im zeitlichen Zusammenhang mit (Teil 2) der Abschluss- oder Gesellenprüfungen statt. Über das Bestehen wird eine separate Bescheinigung der Kammer ausgestellt, bei Wahlqualifikationen wird dies im Zeugnis dokumentiert (vgl. Bundesinstitut für Berufsbildung 2021, S. 62). Zu erwähnen ist, dass die schulische Seite rein formal bei den kZQ außen vor ist. Die Betriebe sind für die Vermittlung der Fertigkeiten, Kenntnisse und Fähigkeiten selbst verantwortlich. Jedoch bieten einige Schulen Unterstützung an.

Zurzeit werden kZQ bei 20 Ausbildungsberufen angewendet (vgl. Bundesinstitut für Berufsbildung 2021, S. 62). Dabei entfallen auf die Variante 1 (Wahlqualifikation als kZQ) sechs51 Berufe und auf die Variante 2 14 Berufe. Hierzu trug die Novellierung der M+E-Berufe im Jahr 2018 wesentlich bei, bei der gleich elf Berufe mit kZQ ausgestattet worden sind. Eine Übersicht zu den Berufen und zugehörigen kZQ bietet das Verzeichnis der anerkannten Ausbildungsberufe 2021 (vgl. Bundesinstitut für Berufsbildung 2021, S. 124). Die Intentionen der kZQ sind vielfältig. Sie reichen von der Auswahl einer zusätzlichen Wahlqualifikationen (z. B. Musikfachhändler/-in, Kaufmann/Kauffrau für Büromanagement), vom Aufnehmen „zukünftiger“ bzw. noch nicht flächendeckend etablierter relevanter Themen (z. B. bei den M+E-Berufen mit insgesamt sieben kZQ oder der „Zusatzqualifikation CAD- und CNC-Technik Holz“, Holzmechaniker/-in) bis hin zum Bewahren von selten gewordenen Arbeiten (z. B. bei der Zusatzqualifikation „Messer schmieden“, Präzisionswerkzeugmechaniker/-in oder „Paramentik“, Textilgestalter/-in im Handwerk).

Ergebnisse aus der Evaluierung im Bereich der M+E-Berufe

Das BIBB evaluiert die Novelle der industriellen M+E-Berufe und des Berufs Mechatroniker/-in (BIBB-Projekt 2.2.322). Zu den industriellen Metallberufen zählen: Anlagenmechaniker/-in, Industriemechaniker/in, Konstruktionsmechaniker/-in, Werkzeugmechaniker/-in und Zerspanungsmechaniker/-in. Zu den industriellen Elektroberufen zählen: Elektroniker/-in für Gebäude- und Infrastruktursysteme, Elektroniker/-in für Betriebstechnik, Elektroniker/-in für Automatisierungstechnik, Elektroniker/-in für Geräte und Systeme, Elektroniker/
-in für Informations- und Systemtechnik sowie der Beruf Mechatroniker/-in. Zum 1. August 2018 wurden bei diesen Berufen per Änderungsverordnungen sieben kZQ (Systemintegration52, Prozessintegration52, IT-gestützte Anlagenänderung52, Additive Fertigungsverfahren52,53, Digitale Vernetzung53,54, Programmierung53,54 und IT-Sicherheit53,54) aufgenommen Tabelle A3.4-1. Die Zusatzqualifikationen werden durch eine eigenständig im Ausbildungsbetrieb durchgeführte praxisbezogene Aufgabe mit einem anschließenden fallbezogenen Fachgespräch geprüft. Das Fachgespräch wird auf Grundlage einer vorzulegenden Dokumentation (Report mit Anhang) der praxisbezogenen Aufgabe mit dem entsprechenden IHK-Prüfungsausschuss geführt.

Tabelle A3.4-1: Zuordnung der kodifizierten Zusatzqualifikationen (kZQ) der industriellen Metall- und Elektroberufe sowie des Berufs Mechatroniker/-in

Die Zwischenergebnisse des BIBB-Projektes 2.2.322 zeigen, dass die kZQ inhaltlich grundsätzlich als passend wahrgenommen werden und auf die Akzeptanz der Ausbildenden stoßen. Akzeptanz heißt aber nicht automatisch, dass diese bereits vollständig angewendet und umgesetzt werden. Die vollständige Umsetzung einschließlich Prüfung vor dem IHK-Prüfungsausschuss erfolgt nur in sehr wenigen Fällen (133, Winterprüfung 2020/2021), gemessen an der Zahl jährlicher Abschlussprüfungen in den betreffenden Berufen (rd. 30.000, Winterprüfung 2020/2021). Ebenso finden sich nur wenige Hinweise auf Änderungen in der Ausbildung. Auch in der Perspektive zeichnet sich laut den Ergebnissen keine grundsätzliche Trendwende ab.

Betrachtet man die kZQ einzeln und differenziert nach Berufen, werden im Hinblick auf Bedarf, Umsetzung, Verständlichkeit und Passgenauigkeit größere Unterschiede erkennbar. Bezogen auf die bereits durchgeführten Prüfungen zeigt sich, dass aus Sicht der befragten IHK am häufigsten die kZQ zu Programmierung und Additiver Fertigung gewählt werden.

Weil die kZQ optional sind und vieles darauf hinweist, dass die Digitalisierung in den Betrieben bisher unterschiedlich fortgeschritten ist, wurden die Neuordnungen vielerorts nicht als unmittelbare Aufforderung verstanden, die Ausbildung zu überprüfen und anzupassen. Einige Indizien sprechen dafür, dass kleine und mittlere Unternehmen hier vor noch größeren Herausforderungen stehen als etwa Großbetriebe (vgl. Kaufmann/Zinke/Winkler 2021, S. 7).

Handlungsoptionen für die Zukunft, am Beispiel der M+E-Berufe

Für die industriellen Metall- und Elektroberufe wurde mit der Aufnahme der kZQ in die betreffenden Ausbildungsordnungen im Jahre 2018 ein wichtiges Signal an die Berufsbildungspraxis gegeben. Ausbildungsverantwortliche sollten regelmäßig die betriebliche Ausbildung angesichts sich ändernder Qualifikationsanforderungen auf den Prüfstand stellen und diese, wenn notwendig, unter Bezug oder Verwendung der Zusatzqualifikationen anpassen.

Mit kZQ als Strukturelement zur Differenzierung der Ausbildung innerhalb von Berufsgruppen, also über Einzelberufe hinweg, werden einerseits die Möglichkeiten einer Differenzierung gestärkt und andererseits Modularisierungsansätze der Ausbildung unterstützt. Über die oben beschriebene Signalwirkung hinaus ist die Verbindlichkeit der Zusatzqualifikationen allerdings sehr niedrigschwellig. Wenn die Verbindlichkeit gestärkt und die Möglichkeit zur Differenzierung und Modularisierung erhalten bleiben soll, sollten künftig Wahlqualifikationen eingesetzt werden.

Die konkreten Ausbildungsinhalte der Zusatzqualifikationen in den M+E-Berufen sind zunehmend relevant und werden über kurz oder lang obligatorische Bestandteile der Ausbildung in diesen Berufen sein müssen. Wie ausgeprägt das für einzelne Berufsprofile gilt, wird bei der Vorbereitung und Durchführung nächster Neuordnungsverfahren für diese Berufe zu prüfen sein.

Die Digitalisierung schreitet beschleunigt voran. Für eine anstehende, mittelfristige und grundständige Neuordnung der heutigen M+E-Berufe sollten im Vorfeld in einem breiten Dialog mit Sachverständigen der Sozialpartner folgende Fragen beantwortet werden:

  • Ist eine künftig noch stärkere Differenzierung der Berufe in konventionelle und 4.0-Berufe notwendig und vorteilhaft?
  • In welchen Berufsgruppen werden diese Berufe künftig zusammengefasst?
  • Welche gemeinsamen Ausbildungsinhalte sollten am Anfang der Ausbildung stehen (Kernkompetenzen/Grundausbildung)?
  • Welche einzelnen Berufsprofile sind notwendig, wie sind sie zugeschnitten und wie zu differenzieren?
  • Welche Strukturelemente zur Differenzierung wie z. B. Fachrichtungen, Wahlqualifikationen oder Zusatzqualifikationen sind geeignet?

Das Instrument ZQ für die Ordnungsarbeit

Kodifizierte Zusatzqualifikationen sind durch das BBiG als Struktur- und Differenzierungselement in Ausbildungsordnungen geregelt. Sie vermitteln über das beschriebene Ausbildungsberufsbild hinaus zusätzliche berufliche Fertigkeiten, Kenntnisse und Fähigkeiten, die die berufliche Handlungsfähigkeit ergänzen oder erweitern (BBiG 2020 § 5 Abs. 2, Nr. 5). Der Erwerb der kZQ wird gesondert geprüft und bescheinigt (BBiG 2020 § 49). Die Vermittlung der Zusatzqualifikationen erfolgt in erster Linie durch die Ausbildungsbetriebe. Berufsschulen sind an der Ausbildung der Zusatzqualifikationen nicht unmittelbar beteiligt.

Kodifizierte Zusatzqualifikationen sind geeignet, um Ausbildungsberufe zu differenzieren und die Ausbildung in den betreffenden Berufen optional um Ausbildungsinhalte zu erweitern. Optional heißt hier, dass die Ausbildungsbetriebe im Ausbildungsverlauf oder bereits bei Ausbildungsplanung entscheiden,

  • ob und welche kZQ sie
  • für welche Berufe, die sie ausbilden, und
  • für welche und wie viele der Auszubildenden eingesetzt werden sollen.

Andere Struktur- und Differenzierungselemente wie Fachrichtungen, Schwerpunkte und Wahlqualifikationen bedeuten, dass die Betriebe aus verschiedenen Möglichkeiten mindestens eine auswählen müssen. Deshalb haben diese Strukturelemente (Spezialisierungen) gegenüber Zusatzqualifikationen letztendlich eine höhere Verbindlichkeit. Sie sind im Ausbildungsrahmenplan in der vorgesehenen Gesamtausbildungsdauer zeitlich berücksichtigt. Die empfohlenen Zeiten für die Zusatzqualifikationen liegen über der Regelausbildungszeit und müssen durch eine angepasste Ausbildungsorganisation gewonnen werden.

In Tabelle A3.4-2 ist zum Vergleich dargestellt wie häufig aktuell (Stand 31.12.2021) die Strukturelemente (Spezialisierungen) innerhalb der anerkannten Ausbildungsberufe Anwendung finden.

Weil kZQ optional sind, sind sie in der Ausbildung jeweils eine Möglichkeit, die vor dem Hintergrund des betrieblichen Ausbildungsbedarfs regelmäßig geprüft werden sollte. Dort, wo kZQ eingesetzt werden, sind sie eine Brücke in die Weiterbildung und ein erster Schritt der Spezialisierung der künftigen Fachkräfte. Betriebe haben darüber hinaus jederzeit die Möglichkeit, auch andere kZQ in der Ausbildung einzusetzen oder die kZQ zu nutzen, ohne dass vor einer zuständigen Stelle eine Prüfung erfolgt. Hiermit vermitteln sie wichtige Qualifikationen für den zukünftigen Arbeitsmarkt. Damit diese Qualifikationen in einem flexiblen Arbeitsmarkt auch nachgewiesen und anerkannt werden können, wäre es allerdings wünschenswert, wenn zunehmend auch von der Möglichkeit der Prüfung Gebrauch gemacht würde. Um dies zu befördern, sollten die organisatorischen Rahmenbedingungen so niederschwellig wie möglich sein.

(Monika Hackel, Axel Kaufmann, Florian Winkler, Gert Zinke)

Tabelle A3.4-2: Zahl der Ausbildungsberufe mit und ohne Spezialisierungen

  • 51

    Musikfachhändler/-in, Buchhändler/-in, Medientechnologe/-technologin Druck, Medientechnologe/-technologin Siebdruck, Tourismuskaufmann/-kauffrau (Kaufmann/-frau für Privat- und Geschäftsreisen), Kaufmann/-frau für Büromanagement.

  • 52

    Industrielle Metallberufe

  • 53

    Mechatroniker/-in

  • 54

    Industrielle Elektroberufe