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Einwanderung bei problematischen arbeitsmarktbezogenen oder demografischen Entwicklungen als eine Lösungsoption zu nutzen, ist nicht neu. Alleine seit Kriegsende 1945 wurden von der Bundesrepublik Deutschland bspw. mittels Anwerbeabkommen ab 1955 viele Mio. Arbeiter/-innen vor allem für Tätigkeiten in der Industrie gewonnen; ab 2000 wurde die Greencard eingeführt, um IT-Spezialistinnen und -Spezialisten nach Deutschland zu holen; seit einigen Jahren richten sich entsprechende Anstrengungen auf Menschen mit medizinischer und pflegerischer Ausbildung, wie bspw. mittels des Projekts Triple Win. Während in den letzten Jahrzehnten gezielt gut ausgebildete Fachkräfte für bestimmte Berufsbereiche gesucht wurden, wird sich der Bedarf zukünftig auf viele Branchen ausweiten. Langfristig angelegte Qualifikations- und Berufsprojektionen, durchgeführt unter der gemeinsamen Leitung von BIBB und IAB in Zusammenarbeit mit der Gesellschaft für Wirtschaftliche Strukturforschung mbH, lassen für das Jahr 2040 auf der Ebene von Fachkräften Rekrutierungsschwierigkeiten für Arbeitgeber insbesondere in den „Medizinischen“ und „Nichtmedizinischen Gesundheitsberufen“ und in den „Informatik-, Informations- und Kommunikationstechnologieberufen“ erwarten (Maier/Zika/Kalinowski/Steeg/Mönnig/Wolter/Hummel/Schneemann 2020, S. 15). BIBB-Präsident Friedrich Esser betont, dass die Bewältigung des Fachkräftemangels „eine der größten Herausforderungen dieses Jahrzehnts werden“363 wird (Maier/Wolter/Schneemann 2021). Um dem entgegenzuwirken, sieht er es u. a. als notwendig an, qualifizierte Zuwanderung zu fördern364 (vgl. auch Fachkräfte- und Nationale Weiterbildungsstrategie der Bundesregierung365). Auch die aktuelle Bundesregierung formuliert im Koalitionsvertrag die Notwendigkeit von mehr Arbeitskräfteeinwanderung.366 Ohne eine ausreichende Zahl an Fachkräften besteht bspw. die Gefahr, dass aktuelle Vorhaben der Politik, z. B. der Bau von  400.000 Wohnungen pro Jahr, wie es der Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung vorsieht, nicht umgesetzt werden können. Detlef Scheele, Vorstandsvorsitzender der BA, beziffert den Bedarf an Arbeitskräften aufgrund der demografischen Entwicklung in Deutschland auf jährlich 400.000 Personen.367 Eine aktuelle Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft mahnt daher an, neben der erwerbsorientierten Zuwanderung die Zuzugswege für qualifizierte Personen ohne bestehendes Stellenangebot zu verbessern und Unterstützungsangebote für junge Menschen zu schaffen, die zur beruflichen Ausbildung nach Deutschland kommen und – im besten Fall – auch bleiben. Die Studie legt zudem dar, dass aufgrund einer vergleichbaren Problemlage in den EU-Mitgliedsländern Deutschland neben der EU-Binnenwanderung auf Zuzug aus Drittländern angewiesen sein wird (vgl. Geis-Thöne 2021). Vor diesem Hintergrund sind, neben humanitären Motiven, die Anstrengungen einzuordnen, den ab 2014 nach Deutschland gekommenen Flüchtlingen, unter denen sich ein großer Anteil junger Menschen im ausbildungsfähigen Alter befand, eine berufliche Perspektive zu schaffen. Einen solchen Umgang erfuhren Geflüchtete hierzulange nicht immer. Den Flüchtlingen, die in den 1990er-Jahren infolge der Jugoslawienkriege nach Deutschland kamen, wurde der Zugang zum Arbeits- und Ausbildungsmarkt erheblich erschwert. Beispielsweise war es Geflüchteten für eine gewisse Zeit verboten, eine Arbeit aufzunehmen. Bis Ende 1999 betrug diese Zeitspanne bis zu 24 Monaten (vgl. Marbach/Hainmueller/Hangartner 2018, S. 2). Auch die Aufnahme einer beruflichen Ausbildung war für junge Erwachsene mit dem Rechtsstatus der Duldung „faktisch kaum möglich, denn bei der Besetzung eines Ausbildungsplatzes hatten andere Personen Vorrang“ (Schreyer/Bauer/Kohn 2015, S. 1), nämlich z. B. Deutsche, EU-Bürger/-innen oder Migranten/Migrantinnen mit Daueraufenthaltsrecht. Zudem gab es bspw. keinen Anspruch auf Sprachförderung.

Das Schwerpunktkapitel dieses Datenreports stellt aktuelle Aspekte der Diskussion um Fachkräftesicherung und qualifizierte Zuwanderung in Deutschland dar. Es wirft mit Projektionen der Entwicklung des Fachkräftebedarfs in Deutschland einen Blick in die Zukunft, zeichnet die Entwicklung erwerbsorientierter Zuwanderung der letzten zehn Jahre mittels des Instruments der Anerkennung im Ausland erworbener Berufsqualifikationen nach und befasst sich insbesondere mit den aktuellen diesbezüglichen Herausforderungen. Wie stellt sich das erwerbsorientierte Wanderungsgeschehen nach Deutschland dar? Welche rechtlichen Bedingungen regulieren den Zuzug in diesem Zusammenhang? Gelingt es Zugewanderten, ihre im Herkunftsland erworbenen Kompetenzen auf dem deutschen Arbeitsmarkt einzubringen oder erleben sie ein Downgrading? Welche Bedeutung kommt der strukturellen Verfasstheit des Arbeitsmarktes zu? Wie wird die berufliche Integration unterstützt? Diesen und weiteren Fragen wird im Folgenden nachgegangen. Es werden Zuwanderer/Zuwanderinnen berücksichtigt, die gezielt zum Zwecke der Erwerbstätigkeit nach Deutschland kommen und die aus anderen Motiven migriert sind, gleichwohl aber eine Erwerbstätigkeit aufnehmen wollen. In den letzten Jahren waren dies insbesondere Schutzsuchende, unter ihnen viele junge Menschen. Die Beiträge des Schwerpunktkapitels sind überwiegend empirisch ausgerichtet und nutzen Daten aus dem derzeit breiten Fundus unterschiedlicher Panelbefragungen oder von Projektionen. Sie gehen insbesondere arbeitsmarktbezogenen Perspektiven nach. Der integrationspolitische Rahmen, der unabdingbar ist, damit Menschen eine langfristige Perspektive in Deutschland für sich und ihre Familien entwickeln können und der bspw. sozial-, kultur- und bildungspolitische Aspekte umfasst, wird hier nicht ausgeführt. Auf seine große Bedeutung für das Gelingen langfristiger Zuwanderung sei hier jedoch nachdrücklich hingewiesen.

Die Beiträge des Schwerpunkts beleuchten das Thema Fachkräftesicherung und qualifizierte Zuwanderung aus verschiedenen Perspektiven. Sie bilden als Schwerpunkt eine thematische Einheit innerhalb des Datenreports, die unabhängig von den anderen Kapiteln gelesen werden kann. Gleichzeitig bestehen inhaltliche Bezüge zu Beiträgen in anderen Kapiteln des Datenreports; dies bringt die inhaltliche Breite des Datenreports insgesamt mit sich. Beiträge, die an anderer Stelle des Datenreports systematisch verortet sind, und die Beiträge des Schwerpunkts vertiefen und ergänzen sich wechselseitig. Dies ist bspw. beim Thema Integration Geflüchteter in Ausbildung und Arbeit im Kapitel A12 und bei den Themen Anerkennung und Steuerung der Zuwanderung qualifizierter Menschen in Einwanderungsländern in Kapitel D2 und Kapitel D4 der Fall. Die Bezüge zu Beiträgen in anderen Teilen des Datenreports sind durch Verweise kenntlich gemacht.

Die ersten beiden Beiträge zeichnen die Entwicklungen des Wanderungsgeschehens und der rechtlichen Bedingungen nach, die für das Verständnis des Themas grundlegend sind. Alexander Christ gibt einen Überblick über das Migrationsgeschehen der letzten Jahre und zeigt auf, welche Gruppen zu- und welche abwandern (Kapitel C2.1). Vira Bushanska und Alexander Studthoff stellen mit den rechtlichen Rahmenbedingungen das zentrale Steuerungselement einer (gezielten) Fachkräftezuwanderung dar (Kapitel C2.2). Sie nennen zentrale Stationen der dynamischen Entwicklung dieses Rechtsgebiets in den letzten Jahrzehnten und betonen die Neuausrichtung dieses Politikfeldes durch das Fachkräfteeinwanderungsgesetz.

Die folgenden Beiträge widmen sich der Verwertbarkeit von im Ausland erworbenen Kompetenzen/Qualifikationen auf dem Arbeitsmarkt bzw. der Integration in den Arbeitsmarkt. Eric Schuß vergleicht die vor und nach dem Zuzug ausgeführten Tätigkeiten von Zugewanderten und analysiert, ob vergleichbare Positionen erreicht werden und Humankapital erhalten bleibt. Eine Differenzierung nach Zuwanderergruppen und Geschlecht zeigt besonderen Handlungsbedarf bei bestimmten Gruppen auf (Kapitel C3.1). Daniela Rohrbach-Schmidt untersucht, wie sich institutionelle Regulierungen bestimmter Berufsbereiche beim Arbeitsmarktzugang und der Entlohnung für im Ausland bzw. für in Deutschland Qualifizierte auswirken und wägt deren Chancen und Risiken ab (Kapitel C3.2). Christian Gerhards befasst sich mit Zuwanderung in berufliche Ausbildung, denn auch durch Ausbildung kann der Bedarf an Fachkräften gedeckt werden. Wie sich dies für Flüchtlinge darstellt, die ab 2014 nach Deutschland kamen, stellt er aus der betrieblichen Perspektive dar (Kapitel C3.3).

Schließlich werden die Erfahrungen aus zehn Jahren Anerkennung von im Ausland erworbenen Berufsqualifikationen dargestellt (Kapitel C3.4.1 bis Kapitel C3.4.5): Jessica Erbe, Carolin Böse, Nadja Schmitz, Rebecca Atanassov, Vira Bushanska und Daniela Wiemers stellen mit dem Anerkennungsgesetz das Instrument vor, das für alle mit formal als gleichwertig anerkannten Abschlüssen den Arbeitsmarktzugang in Deutschland öffnet und zu qualifikationsadäquater Beschäftigung führen soll. Die Umsetzung in Unternehmen, die Inanspruchnahme bzgl. des Berufsspektrums und Qualifikationsangebote, die zum Erreichen einer vollständigen Anerkennung erbracht werden müssen, werden dargestellt und Herausforderungen bei der Weiterentwicklung dieses Zugangswegs genannt.

Abschließend werden unterschiedliche Verfahren vorgestellt, die u. a. ausländischen Personen den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtern sollen, die keine formalen Abschlüsse vorweisen und daher nicht den Weg über das Anerkennungsgesetz wählen können (Kapitel C4.1). Goran Jordanoski, Martina Schwenk und Ricarda Spallek stellen jeweils ein Instrument vor, das informell und non-formal erworbene Kompetenzen von Zuwanderinnen und Zuwanderern bewusstmacht und benennt und sie somit für den weiteren Prozess der beruflichen Integration nutzbar macht. Ausführungen von meiner Seite zur Bedeutung von Sprache für die berufliche Integration aus quantitativer und anforderungsbezogener Perspektiven und Hinweise zum Gesamtprogramm Sprache des Bundes beleuchten diesen Aspekt (Kapitel C4.2). In dem darauffolgenden Fazit (Kapitel C5) führe ich die verschiedenen Perspektiven auf das Thema zusammen. Es beschließt den Schwerpunkt.

(Anke Settelmeyer)