BP:
 

Um das Migrationsgeschehen und damit die Bevölkerungsentwicklung möglichst umfassend abzubilden, bedarf es unterschiedlicher Datenquellen. Eine zentrale Datenquelle ist die amtliche Wanderungsstatistik des Statistischen Bundesamtes (StBA). Als eine Vollerhebung erfasst die Wanderungsstatistik die in den Meldeämtern registrierten Verlegungen des Wohnsitzes. Relevant für die Entwicklung der Bevölkerungsgröße sind neben der natürlichen Bevölkerungsbewegung (Geburten und Sterbefälle) die Registrierungen von Personen, die ihren Wohnsitz aus Deutschland in das Ausland verlegen (Fortzüge) und von Personen, die ihren Wohnsitz368 aus dem Ausland nach Deutschland verlegen (Zuzüge). Aus der rechnerischen Differenz der Zu- und Fortzüge ergibt sich der Wanderungssaldo.

Wanderungsstatistik des Statistischen Bundesamtes (StBA)

In der Wanderungsstatistik werden auf der rechtlichen Grundlage des Bevölkerungsstatistikgesetzes (BevStatG) alle Zu- und Fortzüge der Bevölkerung in Deutschland erfasst (https://www.destatis.de/). Die Statistik basiert auf den Meldeformularen der Meldebehörden, die von den Statistischen Ämtern der Länder ausgewertet werden. Die Länderdaten fließen daraufhin im Statistischen Bundesamt für die Erstellung der gesamtdeutschen Wanderungsstatistik auf Bundesebene zusammen. Von der Anmeldepflicht ausgenommen sind Inländer/-innen mit einem sonstigen Wohnsitz im Bundesgebiet bei Aufenthalten bis zu sechs Monaten und für Personen mit Wohnsitz im Ausland bei Aufenthalten bis zu drei Monaten. Diese Fälle sind in der Wanderungsstatistik nicht enthalten. Schutzsuchende hingegen sind in Deutschland meldepflichtig und somit in der Statistik enthalten, auch wenn ihr Aufenthalt teilweise nur vorübergehend ist. Weil weder der Einwanderungsgrund noch der aufenthaltsrechtliche Status als Merkmal hinterlegt sind, können Schutzsuchende in der Wanderungsstatistik nicht gesondert ausgewiesen werden.

Zu beachten ist, dass in der Wanderungsstatistik Wanderungsfälle und nicht Personen ausgegeben werden. Das heißt, dass Personen, die innerhalb eines Jahres mehrfach umziehen, auch mehrfach gezählt werden können, womit die Zahl der erfassten Wanderungsfälle größer ausfällt als die Zahl der tatsächlich gewanderten Personen. Die Statistik enthält personenbezogene Merkmale, die bei der An- und Abmeldung erhoben werden, sodass Wanderungsfälle bspw. nach Alter, Geschlecht, Familienstand, Religionszugehörigkeit, Geburtsort, Staatsangehörigkeit sowie nach Ziel- bzw. Herkunftsgebiet differenziert betrachtet werden können. Personen, die neben der deutschen noch eine weitere Staatsangehörigkeit besitzen, gehen nur als Deutsche in die Wanderungsstatistik ein.

Tabelle C2.1-1 veranschaulicht anhand der Entwicklung der Zu- und Fortzüge und des Wanderungssaldos das Migrationsgeschehen in Deutschland von 2000 bis 2020. Die Zuzüge werden hierbei nach den unterschiedlichen Herkunftsregionen dargestellt.

Um die Jahrtausendwende und zu Beginn der ersten Dekade war das Migrationsgeschehen in Deutschland insbesondere durch die Konflikte in der Balkanregion und dem damit zusammenhängenden Anstieg von Asylsuchenden geprägt. Mit dem Abklingen der Konflikte entwickelte sich die Zahl der Zuzüge nach Deutschland, die 2001 mit rd. 879.000 Zuwanderungsfällen ihren Höchstwert erreichte, bis 2006 auf rd. 662.000 Zuwanderungsfälle zurück. Weil im gleichen Zeitraum die Zahl der Fortzüge relativ konstant unterhalb der Zahl der Zuzüge lag, bilanzierte die Wanderungsstatistik einen positiven Wanderungssaldo im unteren sechsstelligen Bereich. Während der Banken- und Wirtschaftskrise 2008 und 2009 stieg die Zahl der Fortzüge und lag über der Zahl der Zuzüge, sodass, gemessen am Wanderungssaldo, mehr Menschen aus Deutschland aus- als nach Deutschland einwanderten.

Tabelle C2.1-1: Wanderungen zwischen Deutschland und dem Ausland zwischen 2000 und 2020

Mit Beginn der zweiten Dekade veränderte sich das Migrationsgeschehen in Deutschland. Von 2010 an legten sowohl die Zahl der Zuzüge als auch die der Fortzüge Jahr für Jahr kontinuierlich zu. Mit rd. 2,14 Mio. Zuzügen wurde 2015 der höchste jemals in der Wanderungsstatistik gemessene Wert verzeichnet. Insgesamt wurden zwischen 2010 und 2020 rund 4,8 Mio. mehr Zu- als Fortzüge registriert. Die Hauptgründe dieser Entwicklung sind einerseits in der im Zuge der EU-Erweiterungen 2004 und 2007 gestiegenen EU-Binnenmigration zu sehen. Zum Vergleich: 2003, ein Jahr vor dem Eintritt u. a. Polens, Ungarns oder der Tschechischen Republik in die EU, bilanzierte die Wanderungsstatistik insgesamt rd. 769.000 Zuzüge, darunter rd. 520.000 Fälle mit einer Staatsangehörigkeit aus dem europäischen Ausland bzw. rd. 133.000 Fälle mit einer Staatsangehörigkeit eines EU-Staates. Zehn Jahre später (2013) wurden insgesamt rd. 1,23 Mio. Zuzüge verzeichnet, darunter rd. 941.000 Fälle mit einer Staatsangehörigkeit aus dem europäischen Ausland bzw. rd. 780.000 Fälle mit einer Staatsangehörigkeit eines EU-Staates. Die Mobilität in der EU ist gemessen an der Zahl der registrierten Zuzüge innerhalb von zehn Jahren um das rd. Fünffache gestiegen (Statistisches Bundesamt 2021a) Tabelle C2.1-1.

Als weiterer Hauptgrund für den Anstieg der Zuwanderung in der zweiten Dekade sind die kriegerischen Konflikte insbesondere in Syrien, im Irak oder in Afghanistan zu nennen, in deren Zuge die Zahl Schutzsuchender ab 2014 sprunghaft anstieg. Für 2016 verzeichnete das BAMF mit rd. 722.000 gestellten Asylerstanträgen einen bis dato historischen Höchstwert in Deutschland (vgl. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge 2018). Wie anhand der Daten des BAMF zu sehen ist, ging in den darauffolgenden Jahren die Zahl der gestellten Asylerstanträge auf jeweils unter 200.000 stark zurück. 2020 stellten rd. 103.000 Menschen einen Asylerstantrag in Deutschland (vgl. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge 2021).

Asylgeschäftsstatistik des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF)

Die Asylgeschäftsstatistik ist eine vom BAMF herausgegebene Statistik, welche seit Juni 2017 monatlich Daten zu gestellten Asylanträgen, getroffenen Entscheidungen sowie zu den anhängigen Verfahren enthält, wobei jeweils zwischen Erst- und Folgeanträgen unterschieden wird (https://www.bamf.de/). Die Daten sind darüber hinaus nach Staatsangehörigkeiten aufgeschlüsselt und differenzieren bei den Entscheidungen zwischen:

  • Anerkennungen als Asylberechtigte gem. Art. 16a und Familien Asyl,
  • Anerkennungen als Flüchtlinge gem. § 3 I AsylG,
  • Gewährung von subsidiärem Schutz gem. § 4 I AsylG
  • Feststellung eines Abschiebungsverbotes gem. § 60 V/VII AufenthG,
  • Ablehnungen und
  • sonstige Verfahrenserledigungen.

Das BAMF bietet auf seiner Internetseite weitere Publikationsreihen mit Daten und Fakten zum Thema Asyl auch für den Zeitraum vor Einführung der monatlich veröffentlichten Asylgeschäftsstatistik Mitte 2017.

Anhand der Wanderungsstatistik lassen sich, wie gezeigt, die über die Meldeämter registrierten Zu- und Fortzüge nach Deutschland differenziert nach unterschiedlichen Staatsangehörigkeiten und Herkunftsregionen darstellen. Die Asylgeschäftsstatistik erweitert den Fokus auf das Migrationsgeschehen um Informationen zur Zuwanderung von Schutzsuchenden. Um das gesamte Migrationsgeschehen abzubilden und weitere der Migration zugrunde liegende Zwecke und Motivationen zu identifizieren, bedarf es mehr Informationen. Hierfür kann das Ausländerzentralregister (AZR) als weitere Datenquelle herangezogen werden. Im Gegensatz zur Wanderungsstatistik sind die Daten im AZR nicht fall-, sondern personenbezogen und enthalten ausschließlich Personen mit ausländischer Staatsangehörigkeit nach ihrem Aufenthaltsstatus, die sich länger als drei Monate in Deutschland aufhalten. Personen, die neben der deutschen eine weitere ausländische Staatsangehörigkeit besitzen (deutsche Doppelstaatler/-innen), werden im AZR nicht erfasst. Im AZR werden neben der Einreise und dem Aufenthalt nach Aufenthaltszwecken auch die Aufenthaltsdauer sowie die für Drittstaatsangehörige geltenden rechtlichen Grundlagen nach dem Aufenthaltsgesetz (AufenthG) erhoben, sodass Auswertungen auf Basis des AZR Erkenntnisse über die längerfristige Zuwanderung bringen können.

Ausländerzentralregister (AZR)

Das Ausländerzentralregister ist eine personenbezogene Datei, in der alle Ausländer/-innen, die sich länger als drei Monate in Deutschland aufhalten, registriert werden. Im AZR werden neben der Einreise und dem Aufenthalt nach Aufenthaltszwecken auch die Aufenthaltsdauer sowie seit Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes 2005 die für Drittstaatsangehörige geltenden rechtlichen Grundlagen nach dem Aufenthaltsgesetz (AufenthG) erhoben.

Das AZR bildet die Datengrundlage für die amtliche Ausländerstatistik, über die das Statistische Bundesamt im Rahmen ihrer Fachserien jährlich berichtet. Auf Basis der Ausländerstatistik kann die in Deutschland lebende ausländische Bevölkerung differenziert nach Staatsangehörigkeit, Geschlecht, aufenthaltsrechtlichem Status, Aufenthaltsdauer, Alter, Geburtsort (Deutschland/Ausland), Familienstand und Meldestatus abgebildet werden.

Zu beachten ist, dass aufgrund unterschiedlicher Erhebungskriterien die Zuwanderungszahlen aus dem AZR nicht mit denen aus der Wanderungsstatistik vergleichbar sind (Statistisches Bundesamt 2021b).369 Im AZR werden Ausländer/-innen erst dann registriert, wenn sie sich länger als drei Monate in Deutschland aufhalten. Außerdem werden im AZR personenbezogene und nicht wie in der Wanderungsstatistik fallbezogene Daten erhoben. Personen, die mehrmals im Jahr zu- oder fortziehen werden zudem lediglich einmal erfasst. Aus diesen Gründen liegen die Zuwanderungszahlen im AZR in der Regel um 15% bis 20% unter denen in der Wanderungsstatistik.

Entwicklung des Zuwanderungsgeschehens

Wenngleich die genannten Datenquellen die Zuwanderungsgruppen nach unterschiedlichen Kriterien erfassen (bspw. fall- oder personenbezogene Daten) und sich aus diesem Grund rechnerisch keine Gesamtsumme bilden lässt, ermöglicht eine Kombination der unterschiedlichen Daten dennoch eine differenzierte Darstellung des Zuwanderungsgeschehens. Im Migrationsbericht der Bundesregierung werden auf Basis der genannten Datenquellen EU-Staatsangehörige, Erwerbspersonen nach §§18-21 AufenthG, Studierende im ersten Hochschulsemester, Schutzsuchende sowie Familienangehörige von Drittstaatsangehörigen zu den wichtigsten Migrationsgruppen zusammengefasst (vgl. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge/Bundesministerium des Innern 2021, S. 68).

Schaubild C2.1-1 zeigt anhand der in den Säulen abgebildeten Gruppen, dass sich das Zuwanderungsgeschehen zwischen 2010 bis 2020 sowohl im Umfang als auch in der Zusammensetzung stark verändert hat. Hinsichtlich des Zuwanderungsumfangs ist zwischen 2010 und 2016 zunächst ein konstanter Anstieg zu verzeichnen. Bis 2016 ist die Zuwanderung nach Deutschland um das rd. Dreifache im Vergleich zu 2010 gestiegen. Von 2016 auf 2017 sinkt die Zuwanderung dann in etwa auf das Niveau von 2014 zurück und ist in den darauffolgenden Jahren bis zuletzt leicht rückläufig.

Schaubild C2.1-1: Ausgewählte Zuwanderungsgruppen nach Deutschland zwischen 2010 bis 2020, Angaben in Tsd.

Über den gesamten betrachteten Zeitraum hinweg bildet die Gruppe der EU-Staatsangehörigen die größte Zuwanderungsgruppe. Die EU-Binnenmigration verzeichnet ab 2010 bis 2015 einen kontinuierlichen Anstieg. Die Zahl der zugewanderten EU-Staatsbürger/-innen hat sich von 2010 (398.000) auf 2015 (846.000) mehr als verdoppelt (+113%). Seit 2016 bewegt sich die EU-Binnenmigration auf einem relativ konstanten Niveau zwischen rd. 749.000 und 797.000 zugewanderten EU-Bürgern und -Bürgerinnen.

Ab 2014 wird das Zuwanderungsgeschehen insbesondere im Zuge der kriegerischen Konflikte in Syrien, Afghanistan und im Irak durch einen Anstieg von in Deutschland schutzsuchenden Personen geprägt und bis 2020 durch erhebliche Schwankungen gekennzeichnet. Die Entwicklung der Zuwanderung von Familienangehörigen von Drittstaatsangehörigen hängt mit der Entwicklung der fluchtbedingten Zuwanderung zusammen. Geflüchtete, über deren Asylantrag positiv entschieden wurde, haben das Recht auf Familiennachzug. Entsprechend des starken Anstiegs der Asylgesuche insbesondere 2015 und 2016 steigt in den darauffolgenden Jahren auch der Familiennachzug von Drittstaatsangehörigen. Die Zuwanderung Drittstaatsangehöriger zum Zwecke der Erwerbstätigkeit nach §§18-21 AufenthG ist die Gruppe mit den vergleichsweise niedrigsten Zuwanderungen. 2020 haben rd. 30.000 Drittstaatsangehörige einen Aufenthaltstitel für eine Erwerbstätigkeit erhalten. Verglichen mit dem Vorjahr, in dem die Zuwanderung Drittstaatsangehöriger zum Zwecke der Erwerbstätigkeit einen bisherigen Höchstwert verzeichnete (2019: rd. 64.000) hat sich die Zahl mehr als halbiert (-53% im Vergleich zu 2019) und befindet sich erstmals wieder auf dem Niveau von 2010.

Die Zahl der ausländischen Studierenden, die sich in Deutschland erstmalig an einer Hochschule eingeschrieben haben, ist von 2010 (rd. 66.000 Bildungsausländer/-innen) bis 2019 jedes Jahr gestiegen. 2020 haben sich für den beschriebenen Zeitraum erstmals weniger ausländische Studierende zum Zwecke des Studiums an einer deutschen Hochschule eingeschrieben als im Vorjahr (2019: 111.000).

Die Entwicklung des Wanderungsgeschehens in Deutschland hat in den letzten Jahren anhand der beschriebenen Daten aufgrund unterschiedlicher Faktoren wie rechtlichen Änderungen, der fluchtbedingten Zuwanderung oder durch die zuletzt im Zuge der Coronapandemie eingeschränkten Mobilität erheblich geschwankt. Vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung und des sich in einigen Wirtschaftsbereichen abzeichnenden Fachkräftemangels, ist Deutschland auf Zuwanderung angewiesen. Zur Fachkräftesicherung können Menschen aus allen genannten Zuwanderergruppen beitragen, nicht nur solche, die zum Zwecke der Erwerbstätigkeit einreisen.

(Alexander Christ)