Das Wichtigste in Kürze
Zielsetzung des Kapitels ist es, die auf Indikatoren gestützte Berichterstattung des Datenreports zum Berufsbildungsbericht der Bundesregierung um ausgewählte Daten zur Internationalisierung der beruflichen Bildung und zur Entwicklung der Berufsbildung weltweit und insbesondere in Europa zu ergänzen.
Im Hinblick auf das Schwerpunktthema „Fachkräftesicherung und qualifizierte Zuwanderung: Potenziale nutzen“ werden in Kapitel D2 aus internationaler Perspektive die Erfahrungen langjähriger Einwanderungsländer wie Australien und Kanada betrachtet. In beiden Staaten gibt es eine aktive, gesteuerte Einwanderungspolitik. Mittels Zielvorgaben wird in diesen Ländern festgelegt, wie viele Menschen jährlich in den unterschiedlichen Kategorien zuwandern können. Grundlage für die Steuerung in beiden Fällen ist eine jährlich erscheinende Berufeliste, in denen Fachkräftebedarf besteht. Die Berufeliste ist mit verschiedenen Visakategorien verbunden. In Kanada wie auch in Australien erfolgt die Überprüfung der Zuwanderungsvoraussetzungen darüber hinaus über ein Punktesystem. Spezielle Anerkennungsgesetze wie in Deutschland existieren in beiden Ländern nicht. Insgesamt spielen neben dem beruflichen Abschluss folglich weit mehr Faktoren in die Ausgestaltung der Zuwanderung hinein. So sind in Australien für die Integration in den Arbeitsmarkt unternehmensgeförderte Visa erfolgreich, bei denen die Einreise mit einem konkreten Arbeitsangebot verbunden ist. In Kanada stehen umfangreiche flankierende Maßnahmen zu Integration, Spracherwerb und Arbeitsmarktzugang zur Nachsteuerung zur Verfügung. Gleichwohl bleibt festzuhalten, dass in beiden Ländern das Bildungsniveau der migrierten Menschen nicht die gleichen Beschäftigungs- und Entlohnungseffekte generiert wie für den Rest der Bevölkerung.
Mit Blick auf weitere internationale und europäische Entwicklungen ist hervorzuheben:
- Die Jugendarbeitslosigkeit in Europa sank im Kontext der Coronakrise nicht weiter, sondern stagnierte bestenfalls oder stieg in einigen Ländern (u. a. Spanien, Portugal, Luxemburg) wieder an. Sie betrug im Jahr 2020 16,8% im europäischen Durchschnitt. Auch in Deutschland – dem Land mit der noch immer EU-weit niedrigsten Quote – stieg die Jugendarbeitslosigkeit im Vergleich zum Vorjahr (2019) um 1,2 Prozentpunkte auf insgesamt 7%. Junge Menschen (15 bis 24 Jahre) sind europaweit weiterhin stärker vom Risiko der Arbeitslosigkeit bedroht als ältere Altersgruppen. Lettland wies 2020 den niedrigsten Wert bei der relativen Jugendarbeitslosigkeit auf (Kapitel D1.3).
- Im internationalen Vergleich der betrieblichen Ausbildungsquoten (basierend auf nationalen Daten sowie den Erwerbstätigenzahlen der ILO) wies Deutschland im Jahr 2020 nach der Schweiz (4,2%) den stärksten Anteil von betrieblichen Auszubildenden an allen Erwerbstätigen auf. Seit 2016 lag das Niveau in Deutschland stabil bei 3,1% bis 3,2%. Ein bemerkenswerter Anstieg ist 2020 in Frankreich erfolgt. Dort stieg binnen eines Jahres die betriebliche Ausbildungsquote von 1,8% auf 2,4%. Ursachen waren vor allem günstigere gesetzliche Vorgaben und Finanzierungsmodalitäten.
In Kanada oder Australien befanden sich die meisten Auszubildenden (im Jahr 2018) in klassisch handwerklichen Berufen wie Elektriker (Kanada) oder im Baugewerbe (Australien). In Deutschland waren die meisten gewählten Ausbildungsberufe im kaufmännischen Bereich angesiedelt, gefolgt von technisch-mecha(tro)nisch ausgerichteten Berufen. In Frankreich dominierten Ausbildungen in Handel und Management. Ähnlich wurde in der Schweiz die Mehrzahl in Berufen in Wirtschaft und Verwaltung ausgebildet (Kapitel D1.1). - Auf EU-Ebene wurden durch die Entschließung des Rates der Europäischen Union im Jahr 2021 die strategischen Prioritäten in der allgemeinen und beruflichen Bildung für den Zeitraum bis 2030 definiert (Strategie 2021 bis 2030) und damit verbunden sieben Benchmarks zum Teil angepasst und zum Teil neu vereinbart, die als Zielvorgaben im EU-Durchschnitt bis 2030 erreicht werden sollen. Das „Lernen am Arbeitsplatz“ – ein Kennzeichen beruflicher Aus- und Weiterbildung in Deutschland – erhält künftig einen eigenen Indikator auf europäischer Ebene. Neu vereinbart wurde auch ein Benchmark zur Computer- und IT-Kompetenz in den Sekundarschulen. Hier soll 2030 der Anteil der Schüler/-innen in der 8. Schulstufe mit geringen Kenntnissen in diesem Bereich unter 15% liegen. Auf 45% deutlich erhöht wurde die Zielvorgabe für den Anteil junger Menschen zwischen 25 bis 34 Jahren, die über einen tertiären Bildungsabschluss verfügen. 2020 lag der Wert in Deutschland bei 35,1%. Bei der überwiegenden Zahl der vereinbarten EU-Ziele besteht in Deutschland Handlungsbedarf. Insbesondere ist die Entwicklung der mit PISA erhobenen Grundkompetenzen besorgniserregend. Der Anteil von 15-Jährigen mit schlechten Leistungen bei den Grundkompetenzen in Lesen, Mathematik und in den Naturwissenschaften hat sich seit 2009 in Deutschland kontinuierlich verschlechtert (Kapitel D1.2).
- Grenzüberschreitende Lernmobilität und damit verbundene Auslandsaufenthalte in der Berufsbildung bereichern individuelle Karrierewege, tragen zur Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen bei und unterstützen die Attraktivität und Internationalisierung der beruflichen Bildung. Daher hat die Förderung der Mobilität weiterhin in der europäischen wie nationalen Bildungspolitik eine hohe Priorität. Im Jahr 2020 hat die Europäische Union in ihrer Empfehlung zur Aus- und Weiterbildung das Ziel formuliert, den Anteil junger Menschen, die im Rahmen einer beruflichen Erstausbildung internationale Erfahrungen sammeln, um zwei Prozentpunkte auf die neue europäische Benchmark von 8% zu steigern. Auf nationaler Ebene hat sich der Koalitionsvertrag 2020 für die Stärkung der Mobilität von Auszubildenden (bisheriger Benchmark war 10%) ausgesprochen. Schätzungen gehen für 2019 von einer Mobilitätsquote in der beruflichen Erstausbildung in Deutschland von 7% aus. Aufgrund der starken Einschränkungen in der Mobilität infolge der Coronapandemie ist die Quote für 2020 rückläufig. Insgesamt haben sich alle Mobilitätsaktivitäten während der Pandemie auf rund ein Drittel reduziert. In vielen Einrichtungen wurde das Thema jedoch weiterverfolgt, auch wenn die Realisierung faktisch auf Eis gelegt werden musste. Besonders hart haben die Reisebeschränkungen die Auslandsaufenthalte getroffen. Dort konnten innerhalb von Erasmus+ von ca. 27.000 geplanten Aufenthalten im Jahr 2021 nur rd. 4.000 tatsächlich umgesetzt werden (Kapitel D3.1).
- Im nationalen Förderprogramm „AusbildungWeltweit“, das nach einer Pilotphase im Jahr 2019 gestartet wurde und weltweite Auslandsaufenthalte in der Berufsausbildung unterstützt, waren es 2021 immerhin mehr als 200 weltweite Auslandsaufenthalte, die trotz aller Schwierigkeiten bewilligt werden konnten. Insgesamt wurden über AusbildungWeltweit bisher ca. 1.500 Aufenthalte in 44 Ländern bewilligt. Hauptzielländer waren bislang China und die USA (Kapitel D3.2).
- Die Coronapandemie und die damit verbundenen Mobilitätseinschränkungen haben im Bereich der Anerkennung ausländischer Berufsqualifikationen zu einem leichten Rückgang der Zahl der Anträge geführt (Kapitel D4). Auch das Portal „Anerkennung in Deutschland“ verzeichnete mit knapp 2,5 Mio. Besuche im Jahr 2021 etwa 470.000 weniger als im Vorjahr. Im Portal „Anerkennung in Deutschland“ bleibt der Anerkennungs-Finder die zentrale Orientierungshilfe. Über ihn werden für jeden Beruf passgenaue Informationen zum Anerkennungsverfahren zur Verfügung gestellt. Die Gesundheits- und Pflegeberufe genießen hier hervorgehobenes Interesse, allen voran der Beruf des/der Gesundheits- und Krankenpflegers/-pflegerin.
- Anerkennungsverfahren zu Abschlüssen aus Drittstaaten wurden mehrheitlich mit einer Teilanerkennung oder der Auflage einer Ausgleichsmaßnahme beschieden. Hier besteht weiter hoher, nachzuholender Qualifizierungsbedarf. Anteilig haben die Anträge, die aus dem Ausland gestellt wurden, zugenommen. Mit ca. 11.000 neuen Anträgen aus dem Ausland wurde 2020 ein bisheriger Höchststand erreicht. In der Gesamtheit aller Antragstellenden hält knapp jede/-r zehnte Antragstellende die deutsche Staatsangehörigkeit. Seit April 2012 wurden insgesamt ca. 205.400 Anträge auf Anerkennung einer im Ausland erworbenen Berufsqualifikation nach dem Bundesgesetz gestellt.
Bei den ca. 42.000 im Jahr 2020 gestellten Anträgen- bezogen sich gut 31.500 neue Anträge auf Anerkennung der ausländischen Berufsqualifikation nach Bundesrecht, das sind 4,8% weniger als im Vorjahr. Drei Viertel bezogen sich dabei auf bundesrechtlich geregelte reglementierte Referenzberufe. Die Zahl der Anträge auf Anerkennung gemäß Landesrecht umfassten ca. 10.400 Anträge. Hier bezogen sich 90% der Anträge auf reglementierte Referenzberufe in den Bundesländern;
- war die Nachfrage bei den bundesrechtlich geregelten Berufen erneut mit deutlichem Abstand am höchsten bei den medizinischen Gesundheitsberufen, insbesondere bei den reglementierten Referenzberufen Gesundheits- und Krankenpfleger/-in sowie Arzt/Ärztin. In absoluten Zahlen ist auch hier das Antragsaufkommen leicht rückläufig. Der neu eingeführte Beruf Pflegefachmann/-frau kam im ersten Jahr bereits auf Platz 4 der antragsstärksten Berufe. Dieser Beruf wird künftig den im Anerkennungsgeschehen führenden Beruf des Gesundheits- und Krankenpflegers ablösen;
- wurden die landesrechtlich geregelten Berufe von den Ingenieurinnen und Ingenieuren angeführt, gefolgt von den Lehrerinnen und Lehrern sowie den Erzieherinnen und Erziehern,
- bildeten bei den nicht reglementierten Berufen auf Bundesebene (ca. ein Viertel des Antragsgeschehens) Kaufmann bzw. -frau für Büromanagement sowie Elektroniker/-in weiterhin die beiden antragsstärksten Referenzberufe. Neu hinzu kam eine steigende Nachfrage nach Anerkennung des Berufs Koch/Köchin (Platz 3);
- stieg weiterhin die Zahl der Verfahren zur Anerkennung von Qualifikationen aus Drittstaaten (ca. 74%). Die Länderliste wird angeführt von den Westbalkanstaaten Bosnien und Herzegowina sowie Serbien. Steigende Antragszahlen waren aus der Türkei (Platz 7) zu verzeichnen.
- Von den insgesamt 36.700 im Jahr 2020 beschiedenen Verfahren zu bundesrechtlich geregelten Berufen endeten bei den reglementierten Berufen 55% und bei den nicht reglementierten Berufen 49% mit einer vollen Gleichwertigkeit. Hiervon ergingen bei Anträgen zu Qualifikationen aus der EU (inkl. EWR und Schweiz) mit deutlicher Mehrheit (ca. 80%) die Verfahren mit Anerkennung der vollen Gleichwertigkeit aus. Entsprechende Entscheide erfolgten überwiegend im Rahmen der automatischen Anerkennung nach der europäischen Richtlinie über die Anerkennung von Berufsqualifikationen (2005/36/EG). Bei Anträgen aus Drittstaaten wurden in 45% der Fälle die volle Gleichwertigkeit beschieden.
(Birgit Thomann)