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Der erlernte Beruf und die im Erwerbsleben ausgeübte Tätigkeit stimmen nicht immer überein. Vier von zehn Erwerbstätigen mit dualem Ausbildungsabschluss (40 %) übten 2018 eine Tätigkeit aus, die mit dem erlernten Beruf nichts mehr zu tun hatte, d. h. sie arbeiteten weder in ihrem erlernten noch in einem verwandten Beruf (vgl. Hall/Santiago Vela 2019). Ein ganz erheblicher Teil der Berufsverläufe führt demnach also langfristig zu einem Wechsel in ausbildungsfremde Tätigkeiten.237 Was aber bedeutet ein horizontaler Wechsel des erlernten Berufs für die vertikale berufliche Positionierung am Arbeitsmarkt?

Bei einem vollständigen Wechsel des erlernten Berufs in eine fachfremde Tätigkeit kann in Deutschland angesichts der besonders engen Verknüpfung zwischen dem Ausbildungs- und Beschäftigungssystem und der starken Verbreitung berufsfachlicher Arbeitsmärkte (vgl. Konietzka 1999) davon ausgegangen werden, dass mit dem Wechsel ein erheblicher Teil des berufsspezifischen Humankapitals verloren geht. So haben beruflich Qualifizierte, die außerhalb ihres erlernten Berufs tätig sind, auch ein deutlich höheres Risiko für eine unterwertige Erwerbstätigkeit als jene, die in ihrem erlernten Beruf oder einem damit verwandten Beruf tätig sind (vgl. Hall 2011; Hall/Santiago Vela 2019). Eine solche Tätigkeit unterhalb des eigenen Qualifikationsniveaus ist in vielfacher Hinsicht mit Nachteilen verbunden. So zeigen sich im Vergleich zu ausbildungsadäquat Beschäftigten bspw. geringere Einkommen und eine geringere Arbeitszufriedenheit (vgl. Quintini 2011 für einen Überblick).

Eine Tätigkeit außerhalb des erlernten Berufs muss jedoch nicht zwingend mit einer vollständigen Entwertung der in der Ausbildung erworbenen Qualifikationen bzw. einem beruflichen Abstieg einhergehen. Berufliche Mobilität kann nach Kaiser (1988, S. 524) sowohl funktional als auch dysfunktional sein, z. B. wenn eine Tätigkeit unterhalb des eigenen Qualifikationsniveaus ausgeübt wird. Empirisch zeigt sich, dass die Wahrscheinlichkeit, auch außerhalb des erlernten Berufs Positionen auf mindestens Facharbeiter- oder Fachangestelltenniveau einnehmen zu können, mit der Breite der in der Ausbildung vermittelten Qualifikationen steigt (vgl. Menze 2017).

In diesem Beitrag wird differenziert nach Berufssegmenten untersucht, in welchem Maße berufliche Wechsel zwischen erlerntem und ausgeübtem Beruf funktional sind. Um sicherzustellen, dass der erlernte Beruf einen eigenständigen Effekt auf eine ausbildungsniveauadäquate Erwerbstätigkeit hat und nicht andere Faktoren wie z. B. das Geschlecht oder Unterschiede in der Schulbildung dafür verantwortlich sind, wurden multivariate Regressionsmodelle durchgeführt. Denn Erwerbstätige mit unterschiedlichen Ausbildungsberufen unterscheiden sich auch in anderen Merkmalen, die sich auf die berufliche Positionierung auswirken können.238 Die geschätzten beruflichen Effekte können dennoch nicht kausal interpretiert werden, da sich die Erwerbstätigen auch in weiteren nicht beobachtbaren Merkmalen unterscheiden könnten.

Die Analysen basieren auf der repräsentativen BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2018 (ETB 2018, Kapitel A10.3.1). In die Analysen wurden Erwerbstätige bis 65 Jahre einbezogen, die eine duale Ausbildung abgeschlossen haben (höchster Abschluss). Nach Ausschluss aller Fälle mit fehlenden Angaben auf mindestens einer der verwendeten Variablen verblieben noch 6.035 Fälle in der Stichprobe. Ein Wechsel des erlernten Berufs und Niveauadäquanz wurden anhand subjektiver Angaben gemessen (zu den Operationalisierungen siehe Erläuterung).

Operationalisierungen

Wechsel des erlernten Berufs

Ein Wechsel des erlernten Berufs liegt vor, wenn die ausgeübte Tätigkeit mit der Ausbildung nichts mehr zu tun hat. Die entsprechende Frage lautet: „Wenn Sie einmal Ihre jetzige Tätigkeit als <...> mit Ihrer Ausbildung als <…> vergleichen, was würden Sie dann sagen? Die Tätigkeit entspricht dem, worauf diese Ausbildung üblicherweise vorbereitet, die Tätigkeit ist mit dieser Ausbildung verwandt oder die Tätigkeit hat mit dieser Ausbildung nichts mehr zu tun?“ Im Falle von mehreren Berufsausbildungen wurde der letzte Abschluss herangezogen.

Niveauadäquate Erwerbstätigkeit

Eine niveauadäquate Erwerbstätigkeit liegt bei Personen mit dualer Berufsausbildung vor, wenn eine Tätigkeit ausgeübt wird, für die mindestens eine Berufsausbildung notwendig ist (subjektive Einschätzung, zur genauen Operationalisierung vgl. Hall 2021).

Berufssegment des erlernten Berufs

Die Ausbildungsberufe wurden nach der Klassifizierung der Berufe 2010 (KldB 2010) codiert und können anhand der berufsfachlich homogenen Berufshauptgruppen in Berufssegmente zusammengefasst werden (vgl. Matthes/Meinken/Neuhauser 2015), die hier weiter auf acht Segmente verdichtet werden.

Bevor die beruflichen Chancen außerhalb des erlernten Berufs analysiert werden, wird zuvor aufgezeigt, in welchem Maße ein solcher Wechsel des erlernten Berufs vom Berufssegment des Ausbildungsberufs abhängt. Zum Jahreswechsel 2017/2018 arbeiteten rund 39 % der Erwerbstätigen mit dualem Ausbildungsabschluss außerhalb ihres erlernten Berufs.239 Die durchschnittlich vorhergesagte Wahrscheinlichkeit für einen solchen vollständigen Wechsel des erlernten Berufs variiert dem Modell zufolge in hohem Maße mit dem Berufssegment des erlernten Berufs Schaubild A10.3.2-1. Deutlich und signifikant unter dem Durchschnitt liegen Erwerbstätige, die einen Beruf in der Unternehmensführung und -organisation (z. B. Bürokauffrau/-mann, Industriekauffrau/-mann), einen unternehmensbezogenen Dienstleistungsberuf (z. B. einen Verwaltungs-, Finanzdienstleistungsberuf) oder einen IT- bzw. naturwissenschaftlichen Dienstleistungsberuf erlernt haben. Erwerbstätige mit einem Handelsberuf arbeiteten hingegen signifikant häufiger außerhalb des erlernten Berufs (47 %) als im Durchschnitt über alle Erwerbstätigen mit dualer Berufsausbildung.

In Schaubild A10.3.2-2 ist dargestellt, welchen Unterschied es für eine niveaupassende Erwerbstätigkeit macht, ob der erlernte Beruf gewechselt wurde oder nicht. Bei einer Tätigkeit im erlernten bzw. einem verwandten Beruf ist die durchschnittliche Wahrscheinlichkeit, niveauadäquat tätig zu sein, sehr hoch (95 %). Bei einer Tätigkeit außerhalb des erlernten Berufs ist diese Wahrscheinlichkeit nicht nur signifikant geringer (72 %), es zeigen sich auch deutlich größere Unterschiede zwischen den Berufen. Bei einer Ausbildung in einem IT- bzw. naturwissenschaftlichen Dienstleistungsberuf liegt die geschätzte Wahrscheinlichkeit für eine niveauadäquate Position bei 88 %, für Berufe der Unternehmensführung und -organisation sowie unternehmensbezogene Dienstleistungsberufe liegt sie bei 81 % und für fertigungstechnische Berufe bei 77 %. Deutlich geringer ist die Wahrscheinlichkeit, außerhalb des erlernten Berufs niveauadäquat tätig zu sein, für Erwerbstätige mit einer Ausbildung in sonstigen Produktionsberufen (67 %), in personenbezogenen Dienstleistungsberufen (67 %) und in Handelsberufen (68 %).

Schaubild A10.3.2-1: Vorhergesagte Wahrscheinlichkeit für eine Tätigkeit außerhalb des erlernten Berufs nach dem Berufssegment der Ausbildung (in %)

Schaubild A10.3.2-2: Vorhergesagte Wahrscheinlichkeit für eine niveauadäquate Tätigkeit nach Berufssegment des erlernten Berufs innerhalb und außerhalb des erlernten Berufs (in %)

Für Berufswechsler/-innen sind abschließend die Abweichungen zum Gesamtmittelwert in Schaubild A10.3.2-3 dargestellt. Die durchschnittlichen marginalen Effekte der Berufssegmente geben an, um wie viele Prozentpunkte sich die Wahrscheinlichkeit für eine niveauadäquate Erwerbstätigkeit vom Gesamtmittelwert unterscheidet. Das 95 %-Konfidenzintervall gibt an, ob die geschätzten Effekte signifikant verschieden vom Gesamtmittelwert sind. So ist die durchschnittliche Wahrscheinlichkeit für Erwerbstätige mit einer Ausbildung in einem fertigungstechnischen Beruf signifikant höher als im Gesamtdurchschnitt (rund 6 Prozentpunkte). Signifikant über dem Durchschnitt liegen weiterhin IT- bzw. naturwissenschaftliche Dienstleistungsberufe (16 Prozentpunkte), Berufe der Unternehmensführung und -organisation und unternehmensbezogene Dienstleistungsberufe (beide rund 9 Prozentpunkte). Signifikant unter dem Durchschnitt finden sich sonstige Produktionsberufe (minus rund 5 Prozentpunkte), wohingegen sich bei personenbezogenen und sonstigen Dienstleistungsberufen und Handelsberufen keine signifikanten Unterschiede zum Gesamtmittelwert zeigen.

Die Analysen zeigen erstens, dass die Wahrscheinlichkeit, den erlernten Beruf zu wechseln, mit dem Berufssegment der Ausbildung variiert. Zweitens sind mit dem Berufssegment der Ausbildung auch im Falle einer Tätigkeit außerhalb des erlernten Berufs unterschiedliche Wahrscheinlichkeiten für eine niveauadäquate Tätigkeit verbunden.

(Anja Hall)

Schaubild A10.3.2-3: Durchschnittliche marginale Effekte der Berufssegmente auf eine niveauadäquate Beschäftigung außerhalb des erlernten Berufs (in Prozentpunkten)

  • 237

    In der Literatur unterscheiden sich die Berufswechselquoten, da es bei deren Messung kein einheitliches Vorgehen gibt. Neben der hier verwendeten subjektiven Messung anhand der Selbsteinschätzung der Befragten können berufliche Wechsel auch anhand eines Vergleichs von Berufskennziffern (z. B. der 2-Steller oder der 3-Steller der Klassifizierung der Berufe) gemessen werden (vgl. Hall 2011).

  • 238

    So sind in Produktionsberufen mehr Männer beschäftigt als Frauen, die wiederum häufiger in Dienstleistungsberufen arbeiten. Da Frauen häufiger als Männer überqualifiziert beschäftigt sind, kann dies den Berufseffekt verzerren. Auch der Schulabschluss beeinflusst die Zugangschancen in Ausbildungsberufe und ist gleichzeitig mit unterschiedlichen Überqualifizierungsquoten verbunden (vgl. Hall 2011; 2021). Weitere Merkmale, die im Modell berücksichtigt wurden, sind das Alter, ein Migrationshintergrund, die Gesamtnote des Schulabschlusses und des Ausbildungsabschlusses, die Region der Ausbildung (Ost-/Westdeutschland) und eine hohe Karriereorientierung.

  • 239

    Berufliche Wechsel können freiwillig erfolgen, bspw. um ein höheres Einkommen erzielen oder andere berufliche Interessen verfolgen zu können oder sie können erzwungen sein, bspw. weil keine Stelle im erlernten Beruf gefunden wurde. Auf Basis der ETB 2018 zeigte sich, dass rund drei Viertel der Erwerbstätigen mit dualem Ausbildungsabschluss den Wechsel ihres erlernten Berufs als „eher freiwillig“ bezeichneten.