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Das Anforderungsniveau der ausgeübten Tätigkeit vor und nach Zuzug

Tabelle C3.1.2-1 stellt in Anlehnung an Brücker/Kosyakova/Schuß (2020) das Anforderungsniveau der zuletzt vor Zuzug ausgeübten Tätigkeit und der in Deutschland derzeitigen Tätigkeit dar.371 Der Anteil derer, die vor Einwanderung eine Helfer- und Anlerntätigkeit ausgeübt haben, liegt in den beiden Stichproben mit 14 % bzw. 13 % auf ähnlichem Niveau. Die meisten Zugezogenen ohne Fluchthintergrund sowie die meisten Geflüchteten haben vor Zuzug eine Fachkrafttätigkeit ausgeübt. Zudem haben 28 % der Migranten und Migrantinnen ohne Fluchthintergrund und 14 % der Geflüchteten eine Expertentätigkeit ausgeübt. Nimmt man die Unterschiede zwischen Männern und Frauen in den Blick, fällt auf, dass fast ein Drittel der weiblichen Geflüchteten vor Einwanderung eine Spezialisten- oder Expertentätigkeit ausgeübt hat (31 %). Dies trifft auf lediglich 17 % der männlichen Geflüchteten zu. Bei den Befragten der IAB-SOEP-Migrationsstichprobe ist der entsprechende Anteil an Spezialisten- oder Expertentätigkeit hingegen bei den Männern größer als bei den Frauen (42 % vs. 34 %).

Tabelle C3.1.2-1 verdeutlicht insgesamt, dass in beiden Stichproben die deutliche Mehrheit der Befragten vor Zuzug eine Fachkraft-, Spezialisten- oder Expertentätigkeit ausgeübt hat. Während die Geflüchteten mehrheitlich eine Fachkrafttätigkeit ausgeübt haben, ist der Anteil der für die IAB-SOEP-Migrationsstichprobe Befragten, der vor Einwanderung eine Spezialisten- oder Expertentätigkeit ausgeübt hat, größer. Neben dem unterschiedlichen Qualifikationsniveau der befragten Personen in den beiden Stichproben spielt bei dieser Betrachtungsweise auch hinein, dass die befragten Personen aus unterschiedlichen Ländern mit unterschiedlicher Wirtschafts- und Industriestruktur sowie mit unterschiedlichen Bildungs- und Ausbildungssystemen zugezogen sind.

Tabelle C3.1.2-1: Das Anforderungsniveau der vor und nach Zuzug nach Deutschland ausgeübten Tätigkeit (in %)

Die Unterschiede zwischen den beiden Stichproben werden deutlich größer, wenn man die Tätigkeit betrachtet, die zum Befragungszeitpunkt in Deutschland ausgeübt wurde. Der Anteil derer, die eine Helfer- und Anlerntätigkeit ausübt, ist in beiden Stichproben deutlich größer als vor dem Zuzug. Insbesondere in der Gruppe der Geflüchteten arbeiten deutlich mehr Personen (46 %) als Helfer/-in als es vor Einwanderung der Fall gewesen ist. Während rund die Hälfte der Geflüchteten eine Fachkrafttätigkeit ausübt, üben 6 % der Männer und 7 % der Frauen eine Spezialisten- oder Expertentätigkeit aus. Insbesondere für weibliche Geflüchtete ist dieser Wert als gering zu interpretieren, da fast jede dritte Geflüchtete im Herkunftsland noch eine Spezialisten- oder Expertentätigkeit ausgeübt hat.

In der Gruppe der Zugezogenen ohne Fluchthintergrund ist der Anteil derer, die zum Befragungszeitpunkt eine Spezialisten- oder Expertentätigkeit ausüben, deutlich höher als bei den Geflüchteten. Jedoch fällt er auch bei ihnen geringer aus als vor Zuzug. Der Anteil der Zugezogenen ohne Fluchthintergrund, der eine Fachkrafttätigkeit ausübt, ist vor und nach Einwanderung vergleichbar. Anhand der Daten in Tabelle C3.1.2-1 ist somit zu vermuten, dass Migranten und Migrantinnen ohne Fluchthintergrund ihr vor Zuzug erworbenes Humankapital besser verwerten können als Geflüchtete.

Dies kann durch einen Fokus auf jene Zugezogene verdeutlicht werden, die vor Zuzug eine Fachkrafttätigkeit ausgeübt haben. Weiterführende Analysen, die nicht separat in den Tabellen ausgewiesen sind, zeigen, dass 54 % der Migranten und Migrantinnen ohne Fluchthintergrund, die vor Einwanderung eine Fachkrafttätigkeit ausgeübt haben, nach Zuzug zum Befragungszeitpunkt ebenfalls eine Fachkrafttätigkeit ausüben. 36 % dieser Gruppe üben hingegen derzeit eine Helfer- und Anlerntätigkeit aus sowie 11 % eine Spezialisten- oder Expertentätigkeit. In der Gruppe der Geflüchteten, die vor Einwanderung eine Fachkrafttätigkeit ausgeübt haben, üben hingegen nur 47 % nach Zuzug zum Befragungszeitpunkt eine Fachkrafttätigkeit aus. Dafür üben 50 % dieser Gruppe zum Befragungszeitpunkt eine Helfer- und Anlerntätigkeit aus, womit dieser Anteil 14 Prozentpunkte über dem entsprechenden Anteil in der Gruppe der Zugezogenen ohne Fluchthintergrund liegt.

Die Unterschiede in der Übereinstimmung im Anforderungsniveau der vor und nach Zuzug ausgeübten Tätigkeit zwischen Migranten und Migrantinnen ohne Fluchthintergrund und Geflüchteten sind teilweise auf die unterschiedliche Aufenthaltsdauer und das unterschiedliche Tempo bei der Angleichung der Anforderungsniveaus nach Zuzug zurückzuführen. Der Anteil derer, die derzeit eine Helfer- und Anlerntätigkeit ausüben, ist mit jeweils 44 % in beiden Stichproben gleich hoch, wenn jeweils Personen betrachtet werden, die maximal zwei Jahre in Deutschland sind Schaubild C3.1.2-1. Steigt die Aufenthaltsdauer, so reduziert sich dieser Anteil in der IAB-SOEP-Migrationsstichprobe auf 32 % für Personen mit einer Aufenthaltsdauer von drei bis vier Jahren und auf 23 % für Personen mit einer Aufenthaltsdauer von fünf bis sechs Jahren. In der Gruppe der Geflüchteten geht diese Entwicklung hingegen deutlich langsamer vonstatten. Der Anteil der Geflüchteten in Helfer- und Anlerntätigkeiten liegt bei 53 %, sofern nur Geflüchteten betrachtet werden, die seit fünf oder sechs Jahren in Deutschland leben. Der Anstieg des Anteils unter den Geflüchteten, die Helfer- und Anlerntätigkeiten ausüben und fünf bis sechs Jahre in Deutschland leben, deutet zudem an, dass in diesem Kontext zusätzlich auch die veränderliche Zusammensetzung jeder Zuzugskohorte berücksichtigt werden müsste.

Schaubild C3.1.2-1: Das Anforderungsniveau der vor und nach Zuzug ausgeübten Tätigkeit nach Aufenthaltsdauer (in %)

Die Übereinstimmung des Anforderungsniveaus nach Zuzugsweg und Geschlecht

Ein weiterer wesentlicher Erklärungsgrund für die Unterschiede zwischen Zugezogenen ohne Fluchthintergrund und Geflüchteten sind die Art des Migrationsprozesses und der rechtliche Zuzugsweg nach Deutschland. In Schaubild C3.1.2-2 wird die Übereinstimmung des Anforderungsniveaus der vor Einwanderung ausgeübten Tätigkeit und der derzeit ausgeübten Tätigkeit dargestellt. Dabei üben 49 % der Personen aus der IAB-SOEP-Migrationsstichprobe, die im Rahmen der EU-Arbeitnehmerfreizügigkeit zugezogen sind, zum Befragungszeitpunkt eine Tätigkeit im gleichen Anforderungsniveau wie vor Zuzug aus. Für Drittstaatenangehörige ohne Fluchthintergrund, die aus einem Staat, der nicht Teil der europäischen Staatengemeinschaft ist, zugezogen sind, liegt dieser Anteil 4 Prozentpunkte niedriger. Für Geflüchtete liegt die Übereinstimmung des Anforderungsniveaus vor und nach Zuzug bei 42 % und ist somit geringer als der entsprechende Anteil in der Gruppe der Unionsbürger/-innen sowie der Drittstaatenangehörigen ohne Fluchthintergrund.

Für Geflüchtete zeigt sich zudem, dass die Anforderungsniveaus bei den Männern etwas häufiger übereinstimmen als bei den Frauen. Diese geschlechterspezifische Lücke zeigt sich ebenfalls in der IAB-SOEP-Migrationsstichprobe und ist besonders bei den Drittstaatenangehörigen mit einer Differenz von 27 Prozentpunkten beträchtlich.

Schaubild C3.1.2-2: Die Übereinstimmung der Anforderungsniveaus der vor und nach Zuzug ausgeübten Tätigkeit nach rechtlichem Zuzugsweg und Geschlecht (in %)

Der Berufsbereich der ausgeübten Tätigkeit vor und nach Zuzug

Tabelle C3.1.2-2 zeigt auf, dass die meisten Personen in den beiden Stichproben vor Zuzug im Berufsbereich 2 tätig waren. Zudem waren 19 % bzw. 16 % im Berufsbereich 6 und jeweils rund 15 % im Berufsbereich 8 tätig. Jedoch bestehen auch Unterschiede in der Aufteilung auf die verschiedenen Berufsbereiche zwischen Geflüchteten und Zugezogenen ohne Fluchthintergrund. Während 16 % der Migranten und Migrantinnen ohne Fluchthintergrund im Bereich 7 tätig waren, waren nur 6 % der Geflüchteten vor Zuzug in diesem Berufsbereich tätig.

Betrachtet man den Berufsbereich der derzeit ausgeübten Tätigkeit, fällt auf, dass der Anteil der Personen, die zum Befragungszeitpunkt im Bereich 2 tätig waren, im Vergleich zur Situation vor Zuzug in beiden Stichproben ansteigt. Besonders stark ist der Anstieg zudem in beiden Stichproben im Berufsbereich 5. In anderen Bereichen, wo die Anwendung von landesspezifischem Humankapital und Deutschkenntnissen wichtiger ist, bspw. in den Berufsbereichen 6 und 7, sinkt der Anteil jener, die auch in Deutschland in diesen Bereichen tätig sind. Somit ist zu vermuten, dass die Verwertbarkeit von im Ausland erworbenen Humankapital auch von der Spezifizität der im Beruf anfallenden Tätigkeiten und der Frage, in welchem Maße Sprachkenntnisse und landesspezifisches Humankapital bei der Ausübung des Berufs gebraucht werden, abhängt.

Tabelle C3.1.2-2: Berufsbereich der vor und nach Zuzug ausgeübten Tätigkeit (in %)

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    Details zur Systematik des Anforderungsniveaus, das auf der Berufsklassifikation KldB (2010) basiert, finden sich in Bundesagentur für Arbeit 2011, Kapitel 2.2. Die Erfassung der vor Zuzug ausgeübten Tätigkeit unterscheidet sich zwischen den beiden Stichproben leicht. Während in der IAB-SOEP-Migrationsstichprobe nach der zuletzt vor Zuzug nach Deutschland ausgeübten beruflichen Tätigkeit gefragt wird, wird in der IAB-BAMF-SOEP-Befragung von Geflüchteten die zuletzt im Herkunftsland ausgeübte berufliche Tätigkeit erfasst.