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50 Jahre Berufsbildungsgesetz – Garant für hohe Qualität

Vor 50 Jahren – im September 1969 – ist das Berufsbildungsgesetz in Kraft getreten. BIBB-Präsident Esser würdigt im Interview das Gesetz als Garant für die hohe Qualität der Berufsbildung in Deutschland, das zugleich den Akteuren genügend Spielräume lässt, um praxisorientierte Lösungen zu finden.

Prof. Dr. Friedrich Hubert Esser, Präsident des Bundesinstituts für Berufsbildung

Welchen Beitrag hat das Berufsbildungsgesetz (BBiG) für die Qualität und den weltweit anerkannten Erfolg der Berufsbildung in der Rückschau geleistet?

Esser: Das Berufsbildungsgesetz ist seit nunmehr 50 Jahren der anerkannte Garant für die hohe Qualität der beruflichen Bildung in Deutschland. Es setzt – damals wie heute – Standards und zeichnet sich darüber hinaus durch eine Flexibilität aus, die es den Akteuren in Politik und Praxis ermöglicht, passgenaue Lösungen zu finden.

So werden unter Beteiligung von Bund, Ländern und Sozialpartnern Ausbildungsordnungen erarbeitet, die eine staatliche Anerkennung erfahren. Im Gesetz werden zudem Qualitätsvorgaben an die Inhalte und Ausgestaltung von Ausbildungsverhältnissen, das Ausbildungspersonal und die Ausbildungsstätten sowie das Prüfungswesen gesetzt.

Ideengeber und Inspiration für andere Staaten 

War das Gesetz anfangs durchaus noch umstritten, hat es sich über die Jahrzehnte als Qualitätsmerkmal für den Erfolg der Berufsbildung in Deutschland durchgesetzt. Es trägt mit dazu bei, die Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandortes Deutschland zu sichern. Es hat entscheidenden Anteil daran, dass die Jugendarbeitslosigkeit in Deutschland sehr niedrig ist, und es dient in Europa und darüber hinaus als Ideengeber und Inspiration für andere Staaten, die ihre beruflichen Bildungssysteme modernisieren und praxisorientierter ausrichten wollen. 

Zwei Elemente möchte ich in diesem Zusammenhang besonders hervorheben:

Da sind zunächst einmal die überbetrieblichen Berufsbildungsstätten, die eine bedeutende Rolle in der Qualitätssicherung von Berufsausbildung spielen. Die eingangs genannten gesetzlichen Qualitätsstandards müssen in der Praxis teilweise ergänzt werden, um in allen Branchen und Regionen in Deutschland die hohe Qualität von Berufsausbildung sicherzustellen. Regionale, sektorale oder betriebliche Rahmenbedingungen können vereinzelt zu einem defizitären Angebot führen. Hier setzen die überbetrieblichen Berufsbildungsstätten an: Sie überwinden die identifizierten Defizite und ermöglichen so mehr Chancengleichheit in der Ausbildung. Ihr Auftrag ist durch das Berufsbildungsgesetz abgesichert und ebenfalls seit Jahrzehnten ein Erfolgsfaktor in der Berufsbildung. Das Berufsbildungsgesetz hat damit auf Ideen aus früheren Zeiten zurückgegriffen, wie etwa die sogenannten Ergänzungswerkstätten des Handwerks oder Ergänzungsangebote des großen Reformpädagogen Kerschensteiner.

Zum zweiten möchte ich das didaktische Prinzip der vollständigen Handlung erwähnen, das unseren Ausbildungsordnungen zugrunde liegt. Das Berufsbildungsgesetz gibt diese Zielstellung zentral vor und setzt damit regulatorisch die Vorgabe, dass Berufsausbildung zur beruflichen Handlungsfähigkeit führen muss. Die deutsche Berufsbildung setzt also auf den Kreislauf von Planen, Entscheiden, Ausführen, Kontrollieren, Bewerten und Informieren. Sie gibt sich nicht mit Zielstellungen von bloßer Unterstützung oder Anlernen der Auszubildenden zufrieden. Vielmehr ist vorgesehen, dass die Auszubildenden selbstständig, selbstkritisch und eigenverantwortlich im Betrieb tätig werden. Zudem fördert dieses didaktische Prinzip die Verbindung von Theorie und Praxis sowie den Erwerb von Schlüsselqualifikationen wie Problemlösungs- oder Kommunikationskompetenz.

Praxistaugliche Lösungen entwickeln 

Mit diesem Ansatz gelingt es den an der Modernisierung von Ausbildungsberufen Beteiligten immer wieder, komplexe betriebliche Anforderungen an die Berufe unter Berücksichtigung der sich wandelnden Rahmenbedingungen zu praxistauglichen Lösungen zu führen. Hier möchte ich exemplarisch auf die Neuordnung der Metall- und Elektroberufe in den 80er-Jahren verweisen. Sie gilt auch heute noch als Meilenstein in der Ordnungsarbeit und „Best Practice“ für erfolgreiche, zielorientierte Wissenschafts-Politik-Praxis-Kommunikation. Diese Neuordnung war seinerzeit der Grundstein für die bis in unsere Tage reichende Entwicklung kompetenzbasierter Aus- und Fortbildungsordnungen. Das Berufsbildungsgesetz ermöglicht diese Entwicklung unter berufspädagogischen Aspekten.

Welche Bedeutung hat das Berufsbildungsgesetz (BBiG) für die Bewältigung der zukünftigen Herausforderungen in der Berufsbildung?

Esser: Das Bundesinstitut für Berufsbildung hat im Schulterschluss mit den Akteuren aus Politik, Wissenschaft und Praxis diese aktuellen Herausforderungen identifiziert:

  • Die Gestaltung des digitalen Wandels,
  • Die Sicherung und Stärkung von Qualität und Attraktivität der Berufsbildung,
  • Die Verbesserung von Transparenz und Durchlässigkeit der Berufsbildungswege,
  • Das Erschließen des Fachkräftepotenzials,
  • Die Integration von geflüchteten Menschen durch Berufsbildung,
  • Das Gewährleisten der internationalen Anschlussfähigkeit von Bildung und Qualifizierung.

Am Aspekt der Attraktivität möchte ich verdeutlichen, welche Entwicklungen aus unserer Sicht notwendig sind. Das Berufsbildungssystem steht heute mehr denn je im Wettbewerb mit anderen Bildungssystemen – insbesondere mit dem akademischen, das seinerseits mehr und mehr Interessierte anzieht. Nur wenn es der Berufsbildung gelingt, junge Menschen und deren soziales Umfeld von der Attraktivität des Systems zu überzeugen, können ausreichend Fachkräfte ausgebildet werden, um den weiterhin hohen Bedarf der Wirtschaft zu decken. Ein solcher Ansatz für eine Attraktivitätssteigerung ist zum Beispiel das Berufslaufbahnkonzept, über das die Karriereoptionen in der Berufsbildung verdeutlicht werden können. Mit dem Deutschen Qualifikationsrahmen (DQR) zeigen wir zudem die Gleichwertigkeit von Fortbildungsabschlüssen mit hochschulischen Abschlüssen auf. Das heißt: Berufsbildung ist eine Alternative gegenüber der Hochschule und kein Bildungsweg zweiter Klasse!

Die Bundesregierung setzt mit den aktuellen Novellierungsvorschlägen für das Berufsbildungsgesetz genau dort an: Sie will den Fortbildungsbereich stärken und einheitliche Fortbildungsabschlüsse einführen, die die Gleichwertigkeit mit akademischen Abschlüssen verdeutlichen sollen. Der DQR zielt in dieselbe Richtung: Er schafft Transparenz über den Kompetenzerwerb und weist die Gleichwertigkeit der Abschlüsse aus. Dies kann in der Zukunft dazu führen, dass wir nicht mehr von Abschlüssen aus der Berufsbildung und solchen aus der Hochschule sprechen, sondern orientiert an den erworbenen Kompetenzen von Abschlüssen mit bestimmten Kompetenzniveaus.

Das Berufsbildungsgesetz sollte also auch in Zukunft bestimmte Entwicklungen unterstützen, so zum Beispiel die Teilzeitberufsausbildung, die der aktuelle Regierungsentwurf stärken möchte. Das BBiG ist aber auch seit jeher ein Gesetz, das sich durch Flexibilität auszeichnet. Das heißt, es lässt den Akteuren die nötigen Spielräume, um in der Praxis lösungsorientiert zu agieren. Über den gesetzlichen Aufgabenkatalog hinaus kann zudem der Hauptausschuss des Bundesinstituts für Berufsbildung durch Empfehlungen und andere Beschlüsse Entwicklungen unterstützen und dadurch etwa Betriebe und das Ausbildungspersonal direkt ansprechen. Über die Jahrzehnte hinweg hat der Hauptausschuss von dieser Möglichkeit auch rege Gebrauch gemacht.