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Moderator zwischen Wissenschaft, Politik und Praxis

Prof. Dr. Friedrich Hubert Esser zu Herausforderungen und Zielen der Berufsbildung

Wie die Gesellschaft selbst unterliegt das Berufsbildungssystem einem steten Veränderungsprozess. Kompetenzprofile müssen folglich angepasst werden, damit Berufsbilder nicht aus der Zeit fallen. Um zu verhindern, dass es so weit kommt, wurde vor genau 50 Jahren das Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) gegründet. Im Gespräch mit dem Behörden Spiegel äußert sich Prof. Dr. Friedrich Hubert Esser, Präsident des BIBB, zu den Aufgaben, die das Institut im Auftrag des Bundes erfüllt, den Herausforderungen der Digitalisierung für die Berufsbildung sowie den Kernzielen der BIBB-Strategie 2025. Die Fragen stellte Guido Gehrt.

Welchen Beitrag leistet das BIBB für die berufliche Bildung und die Berufsbildungsforschung in Deutschland und weltweit?

Die Arbeit des BIBB stellt insbesondere darauf ab, die Leistungsfähigkeit sowie die Weiterentwicklung des deutschen Berufsbildungssystems zu sichern. Dabei ist die Berufsbildung als Teil des Bildungssystems mit dem Beschäftigungssystem eng verzahnt. Sie soll Menschen ein selbstbestimmtes Leben ermöglichen, zur Entwicklung ihrer beruflichen Handlungsfähigkeit beitragen und diese auch im Sinne von Erwerbsarbeitsfähigkeit dauerhaft sichern. Sie muss flexibel auf neue oder veränderte Herausforderungen reagieren, um einerseits Lernende in ihrer Persönlichkeit zu fördern und andererseits die Unternehmen dabei zu unterstützen, ihren Bedarf an Fachkräften zu decken. Dabei verknüpft das BIBB gesetzliche Entwicklungs- und Beratungsaufgaben mit Forschungstätigkeiten – sicher ein Alleinstellungsmerkmal. Besonders herauszustellen ist hier seine Zuständigkeit für die Entwicklung von Aus- und Fortbildungsordnungen im Auftrag des Bundes, gemeinsam mit den Sozialpartnern und den Kammerorganisationen. Wir verstehen unser Institut in diesem Prozess vor allem als Moderator einer Wissenschafts-Politik-Praxis- Kommunikation, die unsere Basis der von uns im BIBB gelebten Institutskultur ist.

Für unsere Arbeit ist demzufolge die Beziehung zu Institutionen der Wirtschaft und Bildungspolitik besonders wichtig, wie sie im BIBB-Hauptausschuss gesetzlich repräsentiert ist. Dieser erfüllt für uns eine wichtige Resonanz-, Reflexions- und Austauschfunktion und trägt mit seiner Verfasstheit dazu bei, dass ein konstruktiv-kritisches wie auch vertrauensvolles Miteinander der wesentlichen Stakeholder in der beruflichen Bildung möglich wird. Das Berufsbildungsgesetz weist der Forschung in unserem Institut eine bedeutsame Rolle zu. Sie soll zum Erklären und Verstehen der sich stets verändernden sozioökonomischen Grundlagen der Berufsbildung beitragen und so die Basis bilden für unsere Entwicklungsarbeiten in der Ordnung der Aus- und Fortbildungsregelungen sowie unsere wissenschaftlichen Dienstleistungen, die wir insbesondere im Bereich des Programm- Managements für den Bund erfüllen. Unsere Forschungsdaten werden breit gefächert publiziert und stehen darüber hinaus über unser Forschungsdatenzentrum abrufbar zur Verfügung. Durch unsere nationale wie auch weltweite Vernetzung kooperieren wir mit renommierten Akteuren der Berufsbildung und Berufsbildungsforschung. Neben dem Monitoring der nationalen Berufsbildung für unseren Datenreport zum Berufsbildungsbericht sowie Forschung zu unterschiedlichen Themenbereichen der beruflichen Bildung forschen wir deshalb auch international vergleichend und sind mit weltweiten Beratungsaufträgen unterwegs.

Beim BIBB sind aktuell rund 770 Beschäftigte tätig. Welchen Background haben diese Bediensteten bzw. was muss eine Person mitbringen, um beim BIBB “an Bord zu gehen”?

Die Aufgaben im BIBB sind vielseitig und verlangen damit einen vielfältigen Kompetenzmix, der sich in unserer diversen Belegschaft widerspiegelt. Rekrutierungen im höheren Dienst erfolgen überwiegend aus den Fachbereichen Pädagogik und Soziologie, gefolgt von den Sozialwissenschaften, Psychologie, Ökonomie und Rechtswissenschaften. Im gehobenen Dienst rekrutieren wir schwerpunktmäßig aus den Bereichen Verwaltungswissenschaften, BWL und Pädagogik. Im mittleren Dienst liegt der Schwerpunkt auf den Büroberufen. IT-Berufe werden für uns allerdings immer wichtiger, genauso wie Veranstaltungskaufleute bei uns qualifiziert werden, weil das BIBB auch Anbieter vieler Events und Veranstaltungen ist. Die Qualifikationen, die potenzielle BIBB-Beschäftigte mitbringen sollen, sind aber nicht ausschließlich auf die Studienfächer bzw. Berufsabschlüsse zu reduzieren. Besonders wichtig ist uns ebenso die Motivation und die Begeisterung dafür, die Berufsbildung jeden Tag ein wenig besser zu machen.

Die meisten Berufsbilder durchlaufen derzeit einen großen Transformationsprozess. Was bedeutet dies für die Berufsbildung und auch für die Arbeit des BIBB?

Bei der Modernisierung von Ausbildungsberufen im BIBB ist bereits seit einigen Jahren das Thema Digitalisierung ein Schlüsselbegriff. Ab August 2021 wird ein entsprechender qualifikatorischer Mindeststandard für alle Berufe in den Ausbildungsordnungen etabliert. So wird sichergestellt, dass alle Auszubildenden digitale Grundkenntnisse erwerben, auf denen sie im Berufsverlauf aufbauen können. Systemisches Denken und IT-spezifisches Grundlagenwissen sind zukunftsrelevante Kompetenzprofile genauso wie die bewusste Auswahl spezifischer Medien für die Bewältigung von Arbeits- und Lernaufgaben. Die sichere Nutzung von Daten, die Übernahme von Verantwortung und hohe Teamfähigkeit runden u. a. die zukunftsweisenden Kompetenzprofile ab. Nicht alles, was gelernt wird, muss expressis verbis in den Ausbildungsordnungen stehen, da vor allem im Kundenauftrag ausgebildet wird. Die Ordnungsmittel bieten den Betrieben deshalb durch technikoffene Formulierungen ausreichend Spielraum, die für die jeweiligen Berufsbilder marktrelevanten Entwicklungen in ihren betrieblichen Ausbildungsplänen aufzugreifen. Das Ausbildungs- und Lehrpersonal hat gerade hier eine Schlüsselrolle für den Transformationsprozess. Sie sind Innovationsmanager und Lernprozessbegleiter. Bei der Bewältigung des Transformationsprozesses hat auch die Weiterbildung eine herausragende Bedeutung. Überhaupt müssen wir davon weg, unter Berufsbildung vorwiegend Berufsausbildung zu verstehen. Berufliche Bildung ist vielmehr in der unmittelbaren Verknüpfung von Aus- und Weiterbildung auszugestalten und als ein verbindliches, lebensbegleitendes Angebot zur persönlichen Weiterentwicklung zu verstehen.

Das BIBB hat sich mit seiner Strategie 2025 nicht nur ein Facelifting verpasst. Was ist zentral daran und was können andere Behörden davon lernen?

Das zentrale Merkmal der BIBB-Strategie 2025 ist die Ausrichtung der Institutsziele an sogenannten Geschäftsfeldern. Diese Geschäftsfelder, die sich teilweise abteilungsübergreifend zusammensetzen, wurden im Strategieprozess neu konstituiert. Dazu wurden die Empfehlungen des Wissenschaftsrates an das BIBB berücksichtigt, der in seiner Stellungnahme Anfang 2017 u. a. einen strukturellen Veränderungsprozess empfohlen hatte, um das BIBB als forschende Einrichtung zu fördern. Entsprechend haben wir neben “Ordnung” und “Dienstleistungen zur Stärkung der beruflichen Bildung” das Geschäftsfeld “Berufsbildungsforschung” etabliert. Der Strategieprozess wurde von einer institutsweit besetzten Projektgruppe organisiert und begleitet. Das Ergebnis dieses Prozesses war schließlich die BIBB-Strategie 2025, an der wir seit nunmehr gut 2,5 Jahren unsere Aufbau- und Ablauforganisation mit großem Erfolg ausrichten.

Wie unsere strategischen Verlaufskontrollen zeigen, gelingt uns die Bündelung unserer Arbeit auf die wesentlich zu erfüllenden Aufgaben effektiver, wir reagieren flexibler auf unvorhersehbare, nicht geplante Entwicklungen und wir haben mehr Raum für Kreativität und Innovation. Zum Gelingen dieses Strategieprozesses hat sicherlich auch die intensive Einbindung unserer Partner aus dem Hauptausschuss beigetragen. Ergänzend und auf der Grundlage unserer Strategie 2025 hat das BIBB im Jahr 2019 in einem gemeinsamen Projekt mit dem Bundesverwaltungsamt eine Digitalisierungsstrategie erarbeitet und dabei ein Digitales Selbstbild, strategische Digitalisierungsziele sowie einen Maßnahmenkatalog zur Umsetzung dieser Ziele abgestimmt. Damit haben wir nicht nur einen entscheidenden Schritt zur Umsetzung der Vorschriften im E-Government-Gesetz getan, sondern waren auch für die Corona- Pandemie hervorragend gerüstet. Wir konnten sehr schnell ein bereits etabliertes Mobilitätskonzept an die neuen Rahmenbedingungen anpassen und mit einer flächendeckenden mobilen IT-Ausstattung kurzfristig institutsweit mobiles Arbeiten ermöglichen. Damit war und ist die Arbeitsfähigkeit auch in dieser schweren Zeit seit dem ersten Lockdown sichergestellt. Dass es uns gelungen ist, bei der Planung und Umsetzung dieses Prozesses die Betroffenen wirklich zu Beteiligten zu machen, war für mich in der Rückschau das eigentliche Erfolgsrezept.

In der Coronakrise konnten viele Veranstaltungen nicht wie geplant stattfinden. Die Produktion von Bewegtbildern, hier zur Online-Ersatzveranstaltung der re:publica 2020, waren ein erster Lösungsansatz, diese Lücken zu füllen.

Wie wirkt sich die Pandemie auf die Berufsbildung aus und was kann das BIBB beitragen, um in diesem Bereich die negativen Folgen der Krise zu mindern?

Für die Jahre 2020 und 2021 müssen wir leider von einem deutlichen Rückgang der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge ausgehen. Die Corona-Krise trifft vor allem Branchen, in denen vermehrt Schülerinnen und Schüler mit Hauptschulabschluss einen Ausbildungsplatz finden. Ihnen stehen als Ausbildungsalternativen weniger Möglichkeiten offen als Schülerinnen und Schülern mit (Fach-)Hochschulreife. Wie wir aus der Finanzkrise wissen, nutzen letztere gerade dann ihre Option auf ein “krisensicheres Studium”. Die Daten der Bundesagentur für Arbeit vom Herbst 2020 deuten aber auch darauf hin, dass die Zahl der gemeldeten Bewerberinnen und Bewerber zurückgehen wird. Der betriebliche Zugang im Rahmen von Praktika wird für junge Menschen vor dem Hintergrund von Kurzarbeit und betrieblichen Hygiene- und Sicherheitsmaßnahmen derzeit immer noch erheblich erschwert.

Auch Berufsorientierung in Überbetrieblichen Berufsbildungszentren kann nur noch in kleineren Gruppen stattfinden. Dies behindert die Berufswahl für junge Menschen ganz erheblich und führt uns vor Augen, wie wichtig es ist, hier auch digitale Möglichkeiten des sogenannten Matchings von Ausbildungsangebot und -nachfrage zu entwickeln und anzubieten. Dies gilt im Übrigen für alle Bereiche der beruflichen Bildung.

Die aktuelle Krise zeigt uns, dass wir zwar schon seit Jahren über Digitalisierung sprechen, bei unseren Ansprüchen im Bildungssystem jedoch zurückbleiben. Dies gilt sowohl für die Erlangung entsprechender Kompetenzen durch das Bildungsund Prüfungspersonal als auch für die Entwicklung digitaler Formate auf Basis einer verfügbaren technischen Infrastruktur. Leuchttürme aus der Praxis zeigen aber auch, dass überall dort, wo gut qualifiziertes Ausbildungs- und Lehrpersonal in modern ausgestatteten Betrieben bzw. Aus- und Fortbildungszentren ihren Aufgaben nachkommen können, die berufspädagogischen Herausforderungen trotz der durch die Pandemie geltenden Einschränkungen sehr gut bewältigt werden. Von daher wird sich das BIBB in den nächsten Wochen und Monaten über seine Standardaufgaben hinaus vor allem dafür engagieren, die Weiterbildung des Ausbildungs-, Lehr- und Prüfungspersonals sowie die Ausstattung der Lernorte mit modernen Medien voranzutreiben. Damit wollen wir auch einen aktiven Beitrag zur Attraktivitätssteigerung der beruflichen Bildung leisten, der zwingend notwendig ist, um die zukünftige Nachfrage nach Fachkräften in Deutschland zu sichern. Denn die Finanzkrise 2008/09 hat ebenfalls gezeigt, dass eine einmal erfolgte Abkehr der jungen Generation vom dualen Ausbildungssystem nur unter größten Anstrengungen wieder umzukehren ist.