Erfahrungsbericht Auslandspraktikum in der Türkei
07.09.2020 | Sezgin Türkyilmaz
Sezgin Türkyilmaz, Auszubildender zum Fachinformatiker für Systemintegration, absolvierte ein Auslandspraktikum in Giresun, Türkei. Er arbeitete vier Wochen beim IT-Dienstleister "Nokta Bilgi Islem".
Im Januar 2020 hatte ich die Möglichkeit, ein Auslandspraktikum zu machen und nahm dieses wahr. Für das Praktikum habe ich ein eher ungewöhnliches Ziel gewählt. Viele Auslandspraktikanten zieht es nach Irland, England, Kanada oder zum Beispiel in die USA. Ich habe mir jedoch den Nord-Osten der Türkei als Praktikumsziel ausgesucht. Genauer gesagt war ich an der Schwarzmeerküste in der Stadt Giresun.
Wie schon erwähnt liegt Giresun am Schwarzen Meer. Die Einwohnerzahl beträgt ca. 450.000, wobei davon etwa nur ca. 140.000 Einwohner zum Stadtzentrum zählen. Giresun teilt sich in insgesamt 16 Stadtgebiete auf und erstreckt sich über eine Fläche von ca. 320 km2. Charakteristisch für die Stadt sind die vielen Steigungen und Gefälle, da die Stadt mitten in den Gebirgszügen des Schwarzen Meeres liegt.
Ein anderer Punkt für den die Stadt bekannt ist, sind die Haselnusssträucher. Die Haselnusssträucher sind der wesentliche Bestandteil der Landwirtschaft in diesem Gebiet. Und als kleiner „Fun Fact“: Was viele nicht wissen, ist, dass der größte Teil der Haselnüsse in den Produkten von „Ferrero“ (wie zum Beispiel „Nutella“) genau aus diesen Sträuchern kommt. Die meisten hatten daher vermutlich schon einmal indirekt Haselnüsse aus Giresun auf dem Frühstückstisch.
Der Hintergrund, warum ich dieses eher ungewöhnliche Ziel für ein Auslandspraktikum ausgesucht habe ist der, dass Giresun die Heimatstadt meiner Eltern ist und es war schon immer Bestandteil unseres Familienurlaubs einige Wochen dort zu verbringen. Ich habe die Stadt bzw. die Türkei immer nur als Urlaubsort erlebt und wollte einfach auch den Arbeitsalltag dort erfahren.
Mein vierwöchiges Praktikum, im Zeitraum vom 07.01.2020 bis zum 31.01.2020, habe ich bei der Firma „Nokta Bilgi Islem“ (NBI) durchgeführt. NBI ist in erster Linie ein IT-Dienstleister, mit 15 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Neben mir gab es zur selben Zeit einen weiteren Praktikanten, der dort seinen praktischen Teil für seinen Schulabschluss absolvierte. Zu den Kunden von NBI zählen Schulen, Bildungseinrichtungen, Krankenhäuser, Verwaltungs- und Stadthäuser aber auch kleinere Cafés oder Restaurants aus der ganzen Stadt. Nebenbei verkauft man aber auch konfigurierte Computer und ein großes Portfolio an Zubehör.
Zu den Hauptaufgaben der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zählen u.a. die Infrastruktur für Informationstechnik und Sicherheitssysteme aufzubauen, zu administrieren und zu warten. Diese Aufgaben führten mich im Außendienst durch die gesamte Stadt. Zudem hatte ich dadurch ständig wechselnde, interessante Aufgaben sowie Probleme zu lösen.
Auch in der Firmenzentrale gibt es über den Tag sehr viel zu tun. Laufend gibt es Anfragen, welche per Fernwartung gelöst werden müssen. Oder eingehende defekte Hardware, welche wieder Instand gesetzt werden muss. Generell wird in der Türkei sehr viel repariert, da die Hardware-Preise sehr hoch sind. Computer und andere Hardware, welche in Deutschland schon vor Jahren als wirtschaftlicher Totalschaden durch neue Geräte ersetzt worden wären, werden dort noch aufwendig repariert. Das kann manchmal so weit gehen, dass man einen Lötkolben dazu verwendet, um ein Gehäuse wieder zusammen zu „löten“.
Zum Vergleich kosten in der Türkei neue Einstiegscomputer zwischen 3000-4500 türkische Lira bei einem Durchschnittseinkommen von gerade einmal 2000 türkische Lira im Monat. Also das Zehnfache im Vergleich zu den Preisen in Deutschland.
Während meines Praktikums wurde ich sowohl in der Zentrale als auch bei den Außendienstaufträgen eingesetzt. Die Aufgaben in der Zentrale ähneln sehr unseren Aufgaben aus dem BIBB. Viel abwechslungsreicher und aufregender waren dafür die Aufträge im Außendienst. Nach Auftragsbesprechung und Teammeeting ging es morgens in der Regel um 9:00 Uhr „aufs Feld“, wie es dort hieß, und ab dann war man bis 17:00 Uhr oder 18:00 Uhr in der gesamten Stadt unterwegs. Auf diesen Einsätzen konnte ich sehr viele Eindrücke darüber sammeln, wie das Verhältnis zwischen Dienstleister und Kunden in der Türkei ist. Genauer gesagt gibt es diese Beziehung nicht, man muss eher von einem freundschaftlichen und lockeren Verhältnis sprechen.
Die Wahrscheinlichkeit, hier mit einem gestressten und verärgerten Kunden in Kontakt zu kommen, ist sehr gering. Man wird als Gast empfangen. Bevor man möglicherweise zur Arbeit gedrängt oder darüber belehrt wird, wie gravierend der Ausfall des Systems ist, wird einem erst ein „Cay“ (türkischer Tee) angeboten. Je nachdem wie viele Kunden man an einem Tag aufsucht, kommt ein sehr hoher Teekonsum auf. Ein „Nein, danke.“ wird oftmals nicht akzeptiert, es werden einem höchstens die Alternativen aufgezählt, von denen man sich dann letztendlich doch etwas aussucht.
So kann es schon einmal dazu kommen, dass man am Ende eines Arbeitstages auf 10 Cay, 4 türkischen Mochas und 3 Sodas an „nicht ausschlagbaren“ Getränken kommt. Diese Gastfreundschaft konnte ich über das gesamte Praktikum hinweg genießen. Das Team von Nokta Bilgi Islem hat mich sofort als einen vollwertigen Kollegen betrachtet und nie als Praktikanten fühlen lassen. Ich wurde unmittelbar in die täglichen Aufgaben eingebunden und konnte die meisten Kollegen auf deren Auftragsfahrten begleiten. Dadurch konnte ich sehr viele verschiedene Charaktere und Arbeitstypen bei der Arbeit beobachten und verschiedene Vorgehensweisen miterleben. Man hat sich immer die Zeit genommen, jeden Schritt zu erklären und mich einzubinden.
Die Wochenenden habe ich meist mit Familienangehörigen verbracht und konnte die benachbarten Städte Ordu, Trabzon und Rize besuchen. Oder aber auch die heimische Fußballmannschaft Giresunspor bei einem Ligaspiel unterstützen.
Ein sehr beliebtes Wochenendziel der dortigen Bevölkerung ist das bekannte Hochland, die sogenannte „Yayla“. Die frische Luft dort und die Natur zieht die Menschen zu jeder Jahreszeit dorthin.
Als Fazit ist eigentlich nur zu sagen, dass ich sehr froh darüber bin, die Chance für dieses Praktikum bekommen zu haben. Ich habe wie erhofft die Türkei im normalen Alltag erleben und habe neue Freundschaften schließen können. Ich kann mein eher persönliches Reiseziel nicht direkt jedem empfehlen, da schon die sprachliche Barriere dagegenspricht. In der Türkei ist es außerhalb der Touristengegenden sehr schwer fremdsprachige Menschen anzutreffen. Daher ist es notwendig der türkischen Sprache mächtig zu sein. Aber grundsätzlich sollte jeder die Möglichkeit nutzen, ein Auslandspraktikum zu machen, eine neue Kultur kennenzulernen oder Fremdsprachekenntnisse zu erweitern. Das Praktikum ist eine Möglichkeit über seinen „Tellerrand“ zu blicken und sich auf Neues einzulassen.