Vermeidung von Ausbildungsabbrüchen in der Pflege
17.12.2021
Der Fachworkshop „Vermeidung von Ausbildungsabbrüchen“ fand am 26. November 2021 in virtueller Form statt. Es wurden Empfehlungen und Hinweise aus der Pflegepraxis und den Pflegeschulen zur Vermeidung von Ausbildungsabbrüchen ausgetauscht.
Im Fachworkshop wurden ein vom BIBB erstelltes integratives Literaturreview sowie der aktuelle Projektstand des Konsortiums contec GmbH/ISG/IEGUS vorgestellt, welche im Auftrag des BIBB Forschungsprogramms auch die Auszubildenden zum Thema befragt. Zudem gab es zwei Impulsvorträge der Projekte: „VerA“- Stark durch die Ausbildung (Initiative „Abschluss und Anschluss – Bildungsketten bis zum Ausbildungsabschluss“) und „Mentoren für Pflege“ Bayern.
Im Anschluss konnten sich zwei Arbeitsgruppen austauschen, eine mit Vertreter/innen aus der Pflegepraxis, eine mit Vertreter/innen aus der Pflegeschule. In beiden Gruppen waren zudem Landesvertreterinnen und -vertreter und das Beratungsteam Pflegeausbildung anwesend.
Die Ergebnisse der Arbeitsgruppen wurden erstmals durch Graphic Recorderinnen visuell aufbereitet.
Vortrag: Analyse der Faktoren für vorzeitige Vertragsauflösungen aus der Perspektive von Auszubildenden, Betrieben und Bildungsinstitutionen
Im vorgestellten Projekt stehen die Entwicklung, Erprobung und Weiterentwicklung präventiver Maßnahmen zur Verhinderung von Ausbildungsabbrüchen im Fokus.
Vorstellung des integrativen Literaturreviews „Ausbildungs- und Studienabbrüche in der Pflege“ durch Frau Dr. Miriam Peters, BIBB
In Deutschland werden circa 25 Prozent der Ausbildungsverträge in den dualen Ausbildungen nach BBiG/HWO vorzeitig gelöst. Für die Pflege stellen Ausbildungsabbrüche aufgrund des steigenden Fachkräftebedarfs eine besonders große Belastung dar. Im Jahr 2020 wurden 3.681 vorzeitige Beendigungen von Pflegeausbildungen gezählt. Bei 57.294 Eintritten in die Pflegeausbildung sind das ca. 6,4%. Das integrative Review wendet sich an alle ausbildenden Einrichtungen und forschende Institutionen, identifiziert Gründe für Ausbildungs- und Studienabbrüche in der Pflege und beschreibt präventive Maßnahmen. Insgesamt wurden 109 nationale und internationale Arbeiten in die Analyse miteinbezogen. Die Vermittlung eines realistischen Berufsbildes in der Phase der Berufsorientierung sowie die Zusammenarbeit der verschiedenen Lernorte wurden hierbei als zentrale Faktoren für eine erfolgreiche Beendigung der Pflegeausbildung bzw. des Pflegestudiums identifiziert.
Ausbildungs- und Studienabbrüche in der Pflege – ein integratives Review
Im Anschluss an den Vortrag wurde von Teilnehmenden bestätigt, dass die Vermittlung eines realistischen Berufsbildes im Zusammenhang mit der beruflichen Orientierung und Berufsberatung zielführend sein kann, um Ausbildungsabbrüchen vorzubeugen. Attraktiv scheint es für Auszubildende ebenfalls zu sein, Möglichkeiten der Weiterentwicklung und Karrierewege aufgezeigt zu bekommen. Neben Karrierewegen, die ins Pflegemanagement oder die Lehre führen, sind dabei Möglichkeiten stärker zu fokussieren, sich auch in der direkten Versorgung weiter zu entwickeln. Gerade aktuell ergeben sich aus dem Pflegeberufegesetz (PflBG) mit den Vorbehaltsaufgaben (§4 PflBG) und der Möglichkeit, mit erweiterten Kompetenzen für die Übernahme heilkundlicher Aufgaben (§14 PflBG) qualifiziert zu sein, attraktive Betätigungsfelder und Karrierewege.
Weitere im Review beschriebene Maßnahmen, werden von den Teilnehmenden ebenfalls
als sinnvoll erachtet:
- eine bessere Verzahnung von theoretischen und praktischen Ausbildungsteilen durch Ausbildungsverbünde
- Resilienz Förderung im Curriculum der Pflegeschulen
- Berufsorientierungsmaßnahmen gegen den „Praxisschock“
- systematische Assessments in der Bewerbungsphase.
Vortrag VerA
Das Projekt VerA (Verhinderung von Ausbildungsabbrüchen) ist eine bundesweite Initiative des Senior Experten Service (SES), die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert wird. VerA bringt junge Menschen, denen die Ausbildung schwerfällt, mit ehrenamtlichen Fachleuten im Ruhestand zusammen: immer nach dem 1:1-Prinzip oder Tandem-Modell.
Mentoren für Pflege Bayern
Die Mentoren für Pflege Bayern sind ein junges Projekt, welches im Landesamt für Pflege in Amberg (Bayern) angesiedelt ist. Auszubildende werden begleitet und haben mit den Mentor/innen für Pflege direkte Ansprechparter/innen, wenn es um Stress, Konflikte oder Ängste geht.
Ergebnisse der Arbeitsgruppen
Zielgruppe 1: Betriebe/ Ausbildungspraxis
Die Fragestellungen in den Gruppen und die Dokumentation über Conceptboard finden sich hier.
Als Gründe für Ausbildungsabbrüche werden von den Expert/innen verschiedene Risikofaktoren benannt:
- Fehlende Einsatzorte
- Fehlende Praxisanleitung
- Hohe Belastung
- Angst vor Infektion
- Praxisschock
- Fehlende effektive Rahmenbedingung
- Ein hohes Ausbildungsniveau
- Ein negatives Berufsbild, bzw. Image
- gesundheitliche Faktoren
- Umzüge
- minderjährige Auszubildende im ländlichen Raum.
- Zunehmende Sozialberatung
- Lerncoaching als Angebot
- Das Zugeständnis eigener Lernrhythmen
- Sprachbarrieren mindern durch Sprachlernangebote
- Ausbildungsfreundliche Pflegeschule als Qualitäts-Auszeichnung
- Einheitliche Pflegeausbildung, die aktiv mitgestaltet werden kann
- Einstellungskonzepte anpassen
- Rahmenbedingungen der Ausbildung verbessern, Bsp. positive und produktive Arbeitsatmosphäre
- Ein lernortübergreifendes gemeinsames Verständnis der Praxisanleitenden von Ausbildung
- Eine qualitätsgesicherte Praxisanleitung als zentrales Element
- Regelmäßige Treffen der Praxisanleitenden
- Wettbewerb untereinander zulassen- gleichzeitig kooperieren, da alle trägerübergreifend arbeiten sollten
- Gemeinsames Leitbild und Vision im Ausbildungsverbund
- Verantwortung für Auszubildende aus anderen Einrichtungen übernehmen
- Lernmaterialien für Auszubildende mit Migrationshintergrund anpassen, Sprach- und Schulniveau berücksichtigen, kultursensibel bleiben für die Pflege
- Ausrichtung des Fortbildungsangebots (24 Std.) für Praxisanleitende wird u.a. von den Pflegeschulen mitgestaltet, auch im Sinne des Theorie Praxis Transfers.
- Beratungsangebote für den Träger der praktischen Ausbildung (TdpA) von der Pflegeschule
- Austauschplattform für den Ausbildungsverbund: Hier können Protokolle, Lern- und Arbeitsaufgaben, Arbeits- und Lernaufgaben u.v.m. eingestellt werden
- Digitale und analoge Vernetzung, auch personenunabhängig in den Einrichtungen verankern
- gute Absprachen
- persönliche Betreuung auch im praktischen Einsatz
- regelmäßige Lernortkooperationstreffen – persönliches Treffen fördert das gegenseitige Vertrauen
- Austausch von konkreten Anforderungen und Erwartungen
- Praxisanleitende in ihrer neuen Rolle unterstützen
- kulturelle Verschiedenheit berücksichtigen
- Analyse der Praxis um agieren zu können
- Berücksichtigung des Denkens der jungen Generation, auch in Zeiten der Corona Pandemie
Zielgruppe 2: Pflegeschulen
Die Fragestellungen in den Gruppen und die Dokumentation über Conceptboard finden sich hier.
Teilnehmende dieser Gruppe bestätigen die Gründe für Ausbildungs- bzw. vorzeitige Vertragslösung aus den Vorträgen am Vormittag.
- Finanzielle Probleme, auch bei lebenserfahrenen Auszubildenden z. B. in der Familienversorgung
- Familiäre Gründe, etwas eine mangelnde Vereinbarkeit von Familie und Pflegeberuf (keine Kinderbetreuung, Pflegen von Angehörigen)
- Beispiel einer Pflegeschule: 50 % Menschen mit Migrationshintergrund / mangelnde Deutschkenntnisse trotz B2-Niveau
- Desinteresse
- Eine Pflegeschule berichtet von einer sehr hohen Rate von kurzfristigen Absagen vor Beginn der Ausbildung im Oktober 2021
- Kulturschock für Menschen, die erst kurze Zeit in Deutschland leben
- Bei unerwarteter Schwangerschaft: Keine Kenntnis über Unterstützungsangebote oder Teilzeitperspektiven
- Auszubildende treten an die Pflegeschule heran, wenn ihre Entscheidung, die Ausbildung abbrechen zu wollen, schon gefallen ist- keine Möglichkeit einer vorherigen Beratung
- Die Entscheidung über einen Ausbildungsabbruch wird seitens der Pflegeschule nicht rechtzeitig erkannt
- Anforderungen in der gerade generalistischen Pflegeausbildung sind zu hoch
- (Überforderung in der Pflegeausbildung)
- Früher Wechsel in andere praktische Einrichtungen, nicht beim Ausbildungsträger (Heimatverlust, keinen konkreten Ansprechpartner/innen)
- Menschliche Überforderung durch die vielen verschiedenen Einsatzorte
- Hohe Diskrepanz zwischen Einstiegsvoraussetzungen und Anforderungen in der Ausbildung,
- andere Vorstellungen über das Berufsbild
- Auszubildende werden als „Lückenbüßer“ eingesetzt
- Praxisanleitung findet unzureichend statt
- Pflegehelfer- und Assistenzausbildungen haben keinen Zugang zu Leistungen nach SGB 3,
- z.B. Assistierte Ausbildung oder Berufssprachkurse des BAMF. Klassische Instrumente, die der dreijährigen Pflegeausbildung zur Verfügung gestellt werden, können nicht genutzt werden
- neue Generation von Auszubildenden: die Lebensentwürfe verändern sich schnell, Berufswechsel finden schneller statt, sind nicht mehr so gebunden, haben eine große Auswahl an Ausbildungen
- Psychische Erkrankungen
- Corona Pandemie sorgt für unstete Bewerbungsphasen
- Das Angebot des bundesweiten Projektes „Verhinderung von Ausbildungsabbrüchen“ (VerA) aktiv nutzen (SES)
- Christliches Jugenddorfwerk bietet (neutrale) Ausbildungsbegleitung von Mitarbeitenden aus unterschiedlichen Fachrichtungen an. Sowohl für die Praxis als auch für die die Pflegeschule. Organisieren Unterstützungsmaßnahmen auch für das alltägliche Leben
- Ombudsstellen auf kommunaler Ebene installieren, die Auszubildende neutral beraten
- Evtl. Ombudsstellen in jeder Pflegeschule und in den Trägern der praktischen Ausbildung (TdpA)
- Neutrale Ausbildungsbeauftragte für die Begleitung von Auszubildenden
- Förderunterricht (sprachsensibler Unterricht auch während der Praxisphasen)
- Sprachförderung und Beratung mit ausgebildeten Lerncoaches und Sprachförderlehrkräften, Sprachkurse
- Unterstützung von Bewerbern aus Drittländern: Vorbereitung auf die Ausbildung, Anträge, Begleitung während der Ausbildung
- Adressen von Kriseninterventionsdiensten
- Niedrigschwelliges Angebot der Nachhilfe und Prüfungsvorbereitung
- Modellprojekt für Pflegehilfskräfte zur Unterstützung in der Ausbildung
- Kriseninterventionsteams einsetzen, Sozialpädagogen/innen einbeziehen
- Praxisbegleitung/Gruppenbegleitung: Kollegiale Beratung von und für die Auszubildenden: Auszubildende entwickeln selber Konzepte zur Problemlösung, entwickeln eigene Ideen
- Beratungslehrende (vertraulich): Lernberatung, Prüfungsangstgruppen, Unterstützung bei privaten Problemen
- Konzept der Vertrauenslehrer/innen in den Pflegeschulen
- Schuldnerberatung
- Die Finanzierung sollte für Pflegeschulen gewährleistet sein
- Förderung sowohl von leistungsschwachen, aber auch leistungsstarken Auszubildenden
- Eröffnung von beruflichen Perspektiven
- Schwangerschaft: Teilzeitausbildung, Kinderbetreuung, Information und besondere Unterstützung
- Assistierte Ausbildung
- Kooperationsverbund: gemeinsames Curriculum für Praxisanleitung: Verbindlichkeit in der Fortbildung für Praxisanleitende, die Pflegeschule hat pädagogische Unterstützung geleistet (Bindeglied)
- Reflexionsgespräche zwischen Praxisbegleitung und Praxisanleitung, enge Zusammenarbeit
- Verzahnung von Pflegebildung und Versorgungspraxis
- Unterstützung der Pflegepraxis
- positive Grundhaltung vom Träger der praktischen Ausbildung (TdpA) für das Thema Ausbildung
- Konzeptentwicklung (Pilotprojekt für ein Jahr) für Ausbildungsverbünde: Einbeziehung der Pflegeschulen, Ressourcen von größeren Einrichtungen nutzen
- Beratung der Träger der praktischen Ausbildung (TdpA)
- gemeinsames Leitbild in einem Ausbildungsverbund
- Vernetzungsarbeit
- Standortgespräche mit den Auszubildenden sowohl in der Theorie als auch bei der Praxisbegleitung
- Beratungsgespräche in der Praxisbegleitung: Reflexion mit den Auszubildenden in Anwesenheit der Praxisanleitenden
- Zentralisierung: Praxiskoordinator/innen oder Verbundpraxiskoordinator/innen
- Gespräche mit dem Auszubildenden führen: vor, während und nach dem Praxiseinsatz
- Regelkommunikation: Regelmäßiges Austauschtreffen zwischen Praxisanleitenden (Lernort Praxis) und Lehrenden (Lernort Pflegeschule).
- Pflegeschulen bieten Fortbildung im Rahmen der 24 Stunden/Jahr Fortbildungspflicht für die Praxisanleitung an
- Gemeinsame digitale Plattform nutzen für Instrumente, Protokolle etc.