Fachtagung Berufsbildung 4.0 – Industriekaufleute und die digitalisierte Arbeit von morgen
26.01.2022
Die Fachtagung „Berufsbildung 4.0 – Industriekaufleute und die digitalisierte Arbeit von morgen“ fand am 07. Dezember 2021 in der Spitze mit rund 140 Teilnehmenden statt. Sie bildete den Abschluss der Roadshow-Reihe Berufsbildung 4.0.
Angemeldet hatten sich zahlreiche Akteure aus der dualen Ausbildung: mehr als 50 Personalverantwortliche und betriebliche Ausbilder/-innen, 45 Vertreter/-innen von Industrie- und Handelskammern, über 30 Lehrkräfte aus Berufsschulen, daneben Vertreter/-innen aus den Ministerien (BMBF, BMWi), Gewerkschaftsvertreter/-innen und Verbandsvertreter/-innen, so dass ein vielfältiger Teilnehmerkreis in der Webex-Videokonferenz versammelt war.
Darum ging es: Der Beruf der Industriekaufleute wandelt sich. Durch fortschreitende Digitalisierung verändern sich Arbeitsaufgaben und Prozessabläufe in den Betrieben und Anforderungen an die Kompetenzen der Fachkräfte. Die Tagung zeigte Hintergründe und beleuchtete aktuelle Entwicklungen. Den Teilnehmenden wurden u. a. zentrale Ergebnisse der Berufsbildung 4.0 Studie der Industriekaufleute vorgestellt und intensiv in Gruppenarbeiten diskutiert.
Ablauf der Tagung
Prof. Dr. Friedrich Hubert Esser, Präsident des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB), eröffnete die Veranstaltung. Nach der Begrüßung der Teilnehmenden ordnete er zunächst die Tagung ein. Er stellte heraus, dass Berufsbildung 4.0 die Berufsbildung sein werde, die künftig komplementär zur Wirtschaft 4.0 die Aus- und Weiterbildung von Fachkräften sichere. Das Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) unterstütze diesen Veränderungsprozess durch vielfältige Forschungs- und Entwicklungsprojekte. So seien im Rahmen des Berufe- und Branchenscreenings im Zeitraum 2016 bis 2018 insgesamt 14 Ausbildungsberufe exemplarisch darauf hin untersucht worden, wie Digitalisierung in berufliche Aufgabenfelder hineinwirkt und was das für die Aus- und Weiterbildung der Fachkräfte bedeutet. Darauf aufbauend sei die BIBB-Roadshowreihe „Digitalisierung der Arbeits- und Berufewelt – Umsetzungsbeispiele aus der Praxis“ ins Leben gerufen worden, um in berufsspezifischen Tagungen zu thematisieren, wie sich die Digitalisierung auf Arbeitsplätze und Berufe auswirkt und welche Qualifikationen und Kompetenzen in einer digitalisierten Arbeitswelt erforderlich sind. Die Industriekaufleute-Tagung bilde nun den Abschluss dieser Roadshow-Reihe.
Anschließend stellte Herr Prof. Dr. Esser den geplanten Ablauf der Veranstaltung vor und erläuterte die Hintergründe zu den einzelnen Tagungsbeiträgen. Hierbei ging er im Besonderen auf die Frage nach einer Neuordnung der Berufsausbildung der Industriekaufleute ein, die angesichts der Veränderungen im Raum stünde. Zwar könne man in der bestehenden Verordnung zumindest implizit viele der erforderlichen Tätigkeiten und Kompetenzen finden, jedoch würden etliche Formulierungen hinsichtlich Umfang, Kontext und Taxonomie nicht immer den zukünftigen Ansprüchen entsprechen und sollten modernisiert werden. Aber auch aus anderen Gründen sei eine Neuordnung sinnvoll. So werde das Berufsfeld der Industriekaufleute zunehmend von Akademisierungstendenzen geprägt, die auch stark von den Bewerbern und Bewerberinnen ausgingen. Eine modernisierte Industriekaufleuteausbildung könne zum Anlass genommen werden, zu einer stärkeren Wahrnehmung der dualen Berufsausbildung und der bundeseinheitlichen Fortbildungen als moderne Alternative zum Studium beizutragen. Der Akademisierungstrend erfordere es, die Berufsausbildung interessant und zukunftsfähig zu gestalten. Daher sollten für die Industriekaufleute auch Berufslaufbahnkonzepte in den Blick genommen werden, die eine optimale Verzahnung von Aus- und Fortbildung sowie Anerkennungsregelungen sicherstellen. Herr Prof. Dr. Esser betonte, dass die genannten Aspekte und die großen betrieblichen Unterschiede es zu einer sehr verantwortungsvollen Aufgabe machten, ein gutes Neuordnungskonzept für einen zukunftsfähigen Ausbildungsberuf der Industriekaufleute zu erarbeiten. Abschließend wünschte er den Teilnehmerinnen und Teilnehmern eine gute, interessante Fachtagung.
Tätigkeitsveränderungen und Kompetenzanforderungen an Industriekaufleute im 4.0 Arbeitsumfeld
Das Vormittagsprogramm stand dann im Zeichen der Tätigkeitsveränderungen und sich wandelnden Kompetenzanforderungen von Industriekaufleuten im 4.0-Arbeitsumfeld. Zunächst stellte Gabriele Jordanski, die Verantwortliche für den Beruf der Industriekaufleute im BIBB, zentrale Ergebnisse des Berufescreenings der Industriekaufleute vor. Sie ging dabei insbesondere auf die Tätigkeitsveränderungen und Kompetenzanforderungen ein, betonte jedoch die heterogene Ausgangslage in den Betrieben, die hierbei zu beachten sei.
Der Vortrag mündete in zwei Mentimeter-Abfragen, um die Einschätzung der Teilnehmerinnen und Teilnehmer zu den Tätigkeits- und Kompetenzveränderungen einzuholen.
Erweiterung der Perspektive von Kaufleuten auf gewerbliche Prozesse durch Virtual Reality – am Beispiel des Forschungsprojektes aSTAR
Der nächste Programmpunkt zielte auf den in den Fallstudien des Berufescreenings vorgefundenen Aspekt ab, dass kaufmännische und gewerblich-technische Tätigkeiten näher zusammenrücken. Vor- und nachgelagerte Prozessschritte werden zunehmend in die Tätigkeiten der Fachkräfte integriert und neu vernetzt, sodass sich neue Schnittstellen zu anderen Berufen herausbilden können. Das gegenseitige Verständnis für die Tätigkeiten des jeweils anderen wird deshalb immer bedeutsamer. Das verlangt nach neuen Ansätzen, wie dieses Verständnis geweckt werden kann.
Andreas Weigel von der VETTER Krantechnik GmbH illustrierte hierzu eine sehr gelungene Möglichkeit anhand eines Praxisbeispiels aus dem Forschungsprojekt aSTAR: die Erweiterung der Perspektive von Kaufleuten auf gewerbliche Prozesse durch Virtual Reality. Herr Weigel führte vor, wie sich mit digitalen Technologien, mit der virtuellen Realität (VR) die Erfahrung der Kranwartung im dreidimensionalen Raum visuell und interaktiv erleben lässt, ohne dass man sich dafür selbst in schwindelerregende Höhen begeben muss. Er zeigte auf, wie durch innovative Technologien, z. B. Virtual Reality, die Vermittlung von Wissen und Kompetenzen auf eine spannende Art geschehen kann und welche Möglichkeiten sich damit auch im Kontext der kaufmännischen Ausbildung bieten. Zur Illustrierung präsentierte Andreas Weigel einen anschaulichen Kurzfilm, wie sich der Einsatz der Kranmontage-Simulation in den Händen einer kaufmännischen Angestellten darstellt und kommentierte die einzelnen Sequenzen.
- Präsentation
- aSTAR – Kompetenzvermittlung in einer VR/AR-basierten Umgebung zur Arbeitsgestaltung
- Artikel zum Tagungsbeitrag
Moderierte Arbeitsgruppen: Diskussion der Tätigkeitsveränderungen und Kompetenzanforderungen
Damit möglichst viele Tagungsteilnehmende ihre eigene Sichtweise einbringen konnten, wurden in vier moderierten Arbeitsgruppen, sogenannten „Break out-Sessions“, die vorgestellten kaufmännischen Tätigkeitsveränderungen und Kompetenzanforderungen an Industriekaufleute unter verschiedenen Schwerpunkten beleuchtet. Anschließend erfolgte im Plenum eine Kurzvorstellung der Ergebnisse aus den Arbeitsgruppen.
Gruppe 1 - Moderation Martin Elsner:
Kompetenzanforderungen – Lernortkooperation
Gruppe 2- Moderation Monika Nowak:
Diskussion der Tätigkeitsveränderungen und Kompetenzanforderungen an Industriekaufleute in kleineren und mittleren Unternehmen (KMU)
Gruppe 3 –Moderation Gabriele Jordanski:
Kompetenzveränderungen – Anforderungen an ein neues Berufsprofil PPT-Folien
Gruppe 4 Barbara Schürger:
Kompetenzveränderungen – Was bedeutet das für Abschlussprüfungen?
Statement der Sozialpartner
Angesichts der Veränderungen steht die Frage nach einer Neuordnung der Berufsausbildung der Industriekaufleute im Raum, daher war ein mit Spannung erwarteter Tagungspunkt das Statement der Sozialparteien. Thomas Ressel von der Industriegewerkschaft Metall (IG Metall) und Joachim Lapp vom Kuratorium der deutschen Wirtschaft für Berufsbildung (KWB), nahmen Stellung zum Stand der Diskussionen um die Neuausrichtung des Berufsbildes der Industriekaufleute.
Der Vertreter der IG Metall machte deutlich, dass die Gewerkschaften gerne zeitnah in die Vorbereitung eines Antragsgesprächs auf Neuordnung gehen würden. Die Gewerkschaften hätten bereits vor längerer Zeit auf Basis gründlicher Vorarbeiten einen Eckwertevorschlag entwickelt und würden auf ein Signal vom Kuratorium der Wirtschaft für Berufsbildung warten. Das ausführliche Statement von Herrn Ressel finden Sie hier:
Der KWB-Vertreter erläuterte, dass die aktuelle Verordnung weiter eine solide Grundlage für die Ausbildung sei. Mittelfristig werde aber eine Neuordnung angestrebt, um den Beruf für die Zukunft aufzustellen. Dabei sei die Digitalisierung ein wichtiger Treiber, sie wirke sich jedoch derzeit nicht in allen Unternehmen gleich stark aus. Die Inhalte der zukünftigen Verordnung müssen in der Breite der Betriebe, insbesondere in KMUs ausbildbar sein. Er wies darauf hin, dass bei einer Neuordnung auch die unterschiedlichen Eingangsvoraussetzungen der potentiellen Auszubildenden im Blick behalten werden müssen. Es solle ein attraktives Angebot sowohl für (Fach-)Abiturientinnen und Abiturienten als auch für Personen mit Haupt- oder Realschulabschluss geschaffen werden. Ebenfalls zu berücksichtigen sei die Abgrenzung des Berufs zu weiteren Ausbildungsberufen wie die kaufmännischen IT-Berufe oder der Beruf Kauffrau und Kaufmann für Büromanagement.
Diskussion: Anforderungen an Ausbilder/innen und Lehrkräfte, Unterstützungsbedarfe und -möglichkeiten
Am Nachmittag ging es darum, was Ausbildungsbetriebe, Ausbilder/-innen und Lehrkräfte an Unterstützung brauchen und welche Lösungsansätze es gibt. Angetrieben durch den technologischen Wandel, haben sich innerhalb weniger Jahre die Rahmenbedingungen in Wirtschaft und Gesellschaft substanziell geändert, die neue Ansprüche an die Ausbildungsgestaltung in den Betrieben stellen.
Zunächst stellte Gabriele Jordanski (BIBB) Ergebnisse aus dem Berufe-Screening der Industriekaufleute vor. Die Befragungen haben gezeigt, dass sich Herausforderungen aus der Vielfalt der betrieblichen Ausgangslagen ergeben. Es bestehen große Unterschiede zwischen den Ausbildungsbetrieben, zum Beispiel im Ausmaß des Technologieeinsatzes und im Umfang von Vernetzung und Automatisierung. Das bedeutet auch unterschiedliche Möglichkeiten für die Ausbildung. Aus diesem Grund wird es als sehr wichtig angesehen, Maßnahmen zu ergreifen, um keine Betriebe aus dem Ausbildungsgeschehen abzuhängen und die Zukunftsausrichtung der Ausbildung zu gewährleisten. Es müssen Unterstützungsstrukturen geschaffen oder ausgebaut werden, damit auch speziell kleine und mittelständische Betriebe nicht von der Möglichkeit, Industriekaufleute auszubilden, ausgeschlossen werden. Eine Aufgabe wird es sein, gezielte Maßnahmen auf Basis der Anforderungen der KMU entwickelt werden.
Über zwei Mentimeter-Abfragen konnten die Tagungsteilnehmerinnen und -teilnehmer einbringen, welche Herausforderungen und Unterstützungsbedarfe sie für die betriebliche Ausbildung sehen und welche Wünsche sie an die Lernortkoperation haben.
Einblick in die Bürosimulation LUCA und deren Anwendungsmöglichkeiten
Anschließend stellten Herr Prof. Dr. Rausch und Frau Prof. Dr. Viola Deutscher von der Universität Mannheim die im Projekt PSA-SIM entwickelte Bürosimulation „LUCA“ vor, mit der die Problemlösekompetenz von Auszubildenden in den Berufen Industriekaufmann/-frau und Kaufmann/-frau für Büromanagement gefördert und deren Problemlöseleistungen erfasst werden können. Dazu wurden authentische Problemszenarien entwickelt, die in der Bürosimulation zu bearbeiten sind. Nach einer Einführung in die Anwendungsmöglichkeiten und einer kurzen Live-Demonstration konnten sich die Tagungsteilnehmer und -teilnehmerinnen selbst in die Plattform einloggen und erste kleine Bearbeitungsschritte spielerisch testen.
Weiterentwicklung des Portals foraus.de - empfehlungsbasierte Online-Services für die betriebliche Ausbildungspraxis
Neben dieser Simulationssoftware sind natürlich noch viele andere Unterstützungsmöglichkeiten denkbar und wünschenswert. Ein aktuelles Projekt des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) ist die Entwicklung eines Portals für Ausbildungspersonal. Im Rahmen der Initiative Digitale Bildung des BMBF werden die Services des BIBB-Portals für Ausbilderinnen und Ausbilder unter www.foraus.de ausgeweitet. Ziel ist es, eine in neuem Maße partizipativ gestaltete, empfehlungsbasiert ausgerichtete Informations-, Vernetzungs- und Lernwelt anzubieten. Damit verbunden sind folgende zentrale Zielsetzungen:
- empfehlungsbasierte Zugriffsmöglichkeiten auf praxisnahe Arbeitshilfen mit anwendungsorientierten Informationen und Fallbeispielen guter Ausbildungspraxis
- eine Austauschmöglichkeit "in Echtzeit" mit anderen Ausbilderinnen und Ausbildern, die kollegiale Fallberatung und das kollaborative Erarbeiten von Materialien
- ein strukturierter und qualitätsgesicherter Zugriff auf passgenaue Lernpfade
Monika Nowak, die als Wissenschaftliche Mitarbeiterin im BIBB in diesem Projekt für die Online-Services für die kaufmännischen und dienstleistenden Berufe zuständig ist, gab einen ersten Überblick zum Portalkonzept und sammelte bei den Teilnehmenden erste Blitzlichter für ein im Markt einzigartiges Portal für die betriebliche Ausbildungspraxis ein. Über drei Mentimeter-Abfragen an die Teilnehmerinnen und Teilnehmer ergaben sich erste Ergebnisse und Anregungen für ein Portalkonzept für Ausbildungspersonal:
Weitere Informationen zum Portal für Ausbildungspersonal finden Sie:
in der Präsentation im Downloadbereich und unter www.foraus.de
Für den Ausbau der Online-Services für den kaufmännischen Bereich im Portal wird ein Online-Workshop am 10. Februar 2022 (9:00 Uhr bis 12:00 Uhr) veranstaltet. Sollten Sie Interesse an einer Teilnahme haben, wenden Sie sich bitte an Frau Monika Nowak (Mail: monika.nowak@bibb.de).
Abschließend dankte Gabriele Jordanski im Namen des Tagungsteams allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern sowie den Vortragenden für den interessanten Austausch und die vielen, wertvollen Anregungen.