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Der Kollege ist immer dabei

Remote-Technologien in der Land- und Baumaschinenmechatronik

01.03.2022 | Benedikt Falz

Im Projekt „DiKonA“ werden am Standort Potsdam neueste Remote-Lösungen bei der überbetrieblichen Ausbildung in der Land- und Baumaschinenmechatronik eingesetzt. Fernwartung und Videoschalten unterstützen die Mechatroniker/-innen im Außeneinsatz.

Chris Patrick Schmidt bei der Arbeit an einem Traktor. Die Datenbrille zeigt alle Informationen in dem kleinen Bildschirm, der vor seinem linken Auge hängt. Darüber ist die Kamera angebracht.

Eigentlich sollte der große Traktor gerade eine Feldspritze oder einen Grubber ziehen, doch stattdessen steht die tonnenschwere Maschine still auf dem Acker. Der knapp 150-PS-starke Motor läuft nicht rund, denn einer der Zylinder wird scheinbar nicht mit Diesel versorgt. Woran könnte das liegen?

Chris Patrik Schmidt ist sich unsicher. Der Auszubildende zum Land- und Baumaschinenmechatroniker hat dieses Problem vorher noch nicht gesehen, vermutet aber einen Fehler in der Elektronik. Für solche Situationen hat er ein ganz besonderes Werkzeug im Gepäck: eine sogenannte Remote-Brille, die er sich um den Kopf bindet. Dieses digitale Hilfsmittel besteht im Wesentlichen aus einem Mikrofon und einem Lautsprecher sowie einer Kamera und einem kleinen Bildschirm. Die briefmarkengroße Anzeige justiert Schmidt noch etwas, bis sie direkt vor seinem linken Auge hängt.

Nun kommt Leben in die Gerätschaft, denn auf dem Bildschirm erscheinen Hinweise für die Reparatur des Traktors. Über die Lautsprecher hört der Mechatroniker die Stimme seines Kollegen Pascal Kretschmer. Der sitzt in der Verwaltung und durchsucht das digitale Wartungshandbuch auf dem PC, während er über ein weiteres Tablet die Arbeit des Mechatronikers über dessen Kamera live nachverfolgen kann. Kretschmer erklärt Schmidt, an welcher Buchse er das Oszilloskop anschließen und den Strom messen muss. „Die Einspritzdüse im Zylinder soll mit 90 Volt versorgt werden“, liest er im Handbuch nach. Doch das Oszilloskop in Schmidts Hand schlägt nicht aus, also fließt kein Strom zur Düse und der Fehler ist gefunden.

Ein junger, blonden Mann sitzt vor einem Laptop. Rechts neben dem Laptop steht ein weiterer, kleiner Bildschirm, auf dem ein Video live übertragen wird.
Pascal Kretschmer übernimmt die Arbeit in der Verwaltung der Werkstatt. Auf dem Laptop links ruft er das Reparaturhandbuch auf, rechts sieht der die Übertragung von Schmidts Datenbrille.

Realistische Ausbildungssituation

Solche Wartungsarbeiten, bei denen ein Techniker im Feld von einem Kollegen per Videoschalte unterstützt wird, sind längst keine Science-Fiction mehr. Die oben geschilderte Szene ist bereits eine fest verankerte Lernsituation in der überbetrieblichen Ausbildung der Land- und Baumaschinenmechatroniker/-innen am Bildungs- und Innovationscampus Handwerk (BIH) der Handwerkskammer Potsdam. Bei dem im Projekt „DiKonA“ entwickelten Lernszenario stehen Chris Patrik Schmidt und Pascal Kretschmer allerdings nicht auf dem Feld und in der Verwaltung, sondern befinden sich in unterschiedlichen Räumen der Werkstatt im brandenburgischen Groß Kreutz.

„Wir lehren hier die Grundlagen der Land- und Baumaschinenmechatronik. Solche Aufgaben, bei denen die Fahrzeugelektronik auf Fehler geprüft wird, sind typisch für unser Gewerk“, berichtet Lehrwerkmeister Niclas Grobheiser. Gemeinsam mit einem Kollegen hat er die Ausbildungssituation konzipiert und nutzt die Remote-Technologie nun in den Kursen der überbetrieblichen Ausbildung. „Remote“ bedeutet, dass Informationen zur Wartung von einem weit entfernten Ort kommen können – in diesem Fall eben die Reparaturhinweise für einen Traktor. Dafür kann der Kollege in der Werkstatt seinen eigenen Computerbildschirm in der Brille des Technikers wiedergeben. Oder er zeichnet Hinweise wie Pfeile und Kreise in ein Standbild, das die Kamera der Remote-Brille gemacht hat.

Einzug haben solche Innovationen am BIH gehalten, da das Bildungszentrum an mehreren Bundesprojekten zur Digitalisierung im Handwerk beteiligt ist. Grobheister ist als Meister im Projekt „DiKonA“ tätig. Für die Handwerkskammer Potsdam entwickelt er neue Ideen für eine digitalisierte überbetriebliche Ausbildung, gemeinsam mit weiteren Projektmitarbeitern an den Standorten Osnabrück, Stade und Walldorf (Meiningen).

Weiterentwicklung des Gewerks

Eine Aufgabe des Projekts „DiKonA“ ist die Analyse der technischen Umbrüche in der Land- und Baumaschinentechnik: Angefangen bei autonomen Prozessen und intelligenter Steuerung, über elektrische Antriebe und Brennstoffzellen bis hin zu Drohnen finden hier gerade viele Veränderungen statt. Sie sollen in der überbetrieblichen Ausbildung abgebildet werden. Dazu kommt die digitale Werkstatt, in der Computerprogramme jeden Ablauf erfassen, neue Diagnosemöglichkeiten eröffnen und eben die in Potsdam eingesetzte Fernwartung unterstützen. Die Projektmitarbeiter haben in vielen Gesprächen und Workshops ermittelt, welche Technologien bald zum Einsatz kommen werden, und nutzen sie bereits jetzt in der Ausbildung. „Für mich als Ausbilder ist es eine ganz neue Situation, aber grundsätzlich bereichert es die Lehrgänge hier enorm – und Spaß macht es auch“, freut sich Grobheiser über die digitalen Werkzeuge.

Dabei solle aber nicht verlorengehen, was das Gewerk Land- und Baumaschinenmechatronik im Kern ausmacht, sagt Tilo Jänsch. Der Geschäftsführer des Bildungs- und Innovationscampus Handwerk betont gern die Vielseitigkeit des Berufs: „Hier stehen Hydraulik, Mechanik und Elektronik weiterhin im Mittelpunkt. Das sind Grundlagen, die unsere Auszubildenden beherrschen müssen“, ist Jänsch überzeugt. Darauf aufbauend setzt er auf die Vorzüge der Digitalisierung. Die Möglichkeiten der Fernwartung wie z. B. die Remote-Unterstützung sei in vielen Gewerken einsetzbar und wird für die Zukunft überaus hilfreich werden. „Gerade im Außeneinsatz sind Mechatronikerinnen und Mechatroniker nun nicht mehr auf sich allein gestellt. Diese neuen Technologien bieten dem Handwerk ganz neue Möglichkeiten und zeigen seine Innovationskraft.“

Dass sich digitale, hochmoderne Lösungen mit den herkömmlichen Tätigkeiten in der Land- und Baumaschinenmechatronik nicht ausschließen, zeigen auch Chris Patrik Schmidt und Pascal Kretschmer in der Lehrwerkstatt. Schmidt hat mittlerweile ermittelt, dass die Kraftstoffdüse keinen Strom erhält und der Motor deshalb nicht rund läuft. Kretschmer schickt ihm einen Teil des Kabelbaums auf das Display in der Brille und sein Kollege findet sogleich die Ursache: Ein einfacher Kabelbruch hat zum Defekt geführt. Dies löst Schmidt, indem er die Düse mit einem Schlaghammer aus dem Zylinder zieht und den Kabelbaum erneuert. Ganz klassisches Handwerk eben.