Gemeinsam für eine starke duale Berufsbildung
2-tägiger Fachaustausch deutschsprachiger Berufsbildungsforschungseinrichtungen
16.10.2023
Wie beeinflussen Megatrends wie Digitalisierung und Dekarbonisierung die betriebliche Ausbildung in Deutschland, Österreich und der Schweiz, und wie können internationale Kooperationen zur Fachkräftesicherung beitragen? Zu diesen Themen wurden aktuelle Arbeiten präsentiert und deren Ergebnisse diskutiert.
Vom 10.-11.Oktober 2023 fand das sogenannte „Kontaktseminar“ der deutschsprachigen Berufsbildungsinstitute aus Österreich, der Schweiz und Deutschland in Wien (Österreich) mit rund 25 Teilnehmenden statt.
Dieser Austausch hat eine lange Tradition. Seit mehr als zwanzig Jahren treffen sich Vertreterinnen und Vertreter der Eidgenössischen Hochschule für Berufsbildung (EHB, Schweiz), dem Institut für Bildungsforschung der Wirtschaft (ibw, Österreich), dem Österreichischen Institut für Berufsbildungsforschung (öibf) und des BIBB alle zwei Jahre zu einem Fachaustausch in einem der Partnerländer.
Fachkräftesicherung durch internationale Kooperation
Bei den Fachvorträgen stand zunächst die internationale Perspektive im Mittelpunkt. Frau Thomann (BIBB) referierte zu den Potenzialen transnationaler Ausbildungspartnerschaften für eine gesteuerte Fachkräfteeinwanderung. Ausbildungspartnerschaften, so Birgit Thomann, verbinden Arbeitsmigration und internationale Berufsbildungszusammenarbeit zielführend und können damit sowohl zum Nutzen für das Herkunfts- wie auch das Zielland sein. Sie eröffnen Absolventinnen und Absolventen mit entsprechendem Abschluss die Möglichkeit, vor Ort oder in Deutschland tätig zu werden. Bei den Ausbildungspartnerschaften gehe es darum, gesteuerte Erwerbsmigration zu gestalten, ohne einen Braindrain zu bewirken. Dieser Ansatz lohne nach erfolgten Pilotprojekten die Weiterentwicklung durch ein Up-Scaling als Gesamtstrategie. Es bestünde allerdings noch ein hoher Informations- und Aufklärungsbedarf in den Herkunftsländern. Ebenso müsse das Engagement von Unternehmen durch den Aufbau von Unterstützungsstrukturen weiter gestärkt werden. Darüber hinaus sei es mit Blick auf spätere Möglichkeiten der Berufsanerkennung wichtig, Inhalte von (möglichen) Anpassungsqualifizierungen bereits im Partnerland zu vermitteln und die Qualifikationen im System des Partnerlandes formal zu verankern, um für alle Seiten eine Win-Win-Situation zu schaffen.
In der anschließenden, lebhaften Diskussion wurde die Vielschichtigkeit und Aktualität der Thematik deutlich. Frau Prof. Baumeler (EHB) und Herr Mag. Dornmayr (ibw) stellten die grundsätzliche Frage, warum Ressourcen in die geregelte Migration anstatt in die Integration von Geflüchteten flössen. So würden viele Betriebe in Österreich Geflüchtete gerne ausbilden, dürfen es aber nicht, weil diese über das Asylrecht ins Land gekommen sind. Herr Dr. Hilkert (BIBB) stellte die Frage, wie realistisch das Konzept der "zirkulären Migration" sei und wies darauf hin, dass es dann in den Herkunftsländern Wiedereingliederungsprogramme bedürfe. Herr Prof. Esser (BIBB) wies darauf hin, dass neben dem formalen Prüfungssystem eine verbindliche Infrastruktur zur Messung, Bewertung und Zertifizierung von Kompetenzen geschaffen werden müsse und Herr Prof. Schlögl (öibf) ergänzte, dass die formale Anerkennung der Ausbildung im Herkunftsland für die Nachhaltigkeit wichtig sei.
Ausgehend von der Annahme, dass eine duale Erstausbildung Geflüchteten die Chance bietet, verloren gegangene Handlungsfähigkeit wieder zu entwickeln, untersucht die EHB in einem Forschungsprojekt das schweizerische Pilotprogramm Integrationsvorlehre (INVOL). Das im August 2018 gestartete Programm soll als Brückenangebot Geflüchtete, vorläufig aufgenommene Menschen und seit 2021 auch gering oder gar nicht qualifizierte EU-Geflüchtete mittelfristig in den Schweizer Arbeitsmarkt integrieren, indem es sie praxisorientiert auf eine qualifizierende Ausbildung vorbereitet. Damit verfolgt die Schweiz das politische Ziel, das Arbeitskräftepotenzial von Geflüchteten vor allem für von Arbeitskräftemangel betroffene Berufe zu fördern und die berufliche Eingliederung von Geflüchteten in den Arbeitsmarkt zu verbessern.
Frau Dr. Felder (EHB) stellte zunächst das Programm INVOL vor und präsentierte anschließend den Forschungsansatz. Unsicherheit, eine prekäre Lebenssituation, wenig sinnvolle Beschäftigung, Schwierigkeiten einer Arbeit nachzugehen und kaum Möglichkeiten für eine Ausbildung kennzeichnen die Lebenssituation vieler Asylsuchender in der Schweiz. Damit verbunden ist eine Unterdrückung ihrer Handlungsfähigkeit. In dem Forschungsprojekt sollen der Lernkontext am Arbeitsplatz und die individuelle Begleitung (coaching) der Geflüchteten analysiert werden. Eine Zwischenevaluation liefere bereits vielversprechende Ergebnisse. So zeigten sich positive Effekte auf erfolgreiche Abschlüsse, Anschlusslösungen und den Spracherwerb. Die individuelle Begleitung der Geflüchteten während der Ausbildung und insbesondere innerhalb des Unternehmens scheinen dabei von besonderer Bedeutung zu sein.
In der anschließenden Diskussion thematisierten die Teilnehmenden, dass Migrantenverbände lediglich für die Bewerbung des Programms einbezogen wurden. Kritisch wird der geringe Frauenanteil gesehen. Herr Prof. Schlögl (öibf) stellte die Grundsatzfrage, inwiefern die berufliche Bildung möglicherweise mit Erwartungen überladen wird, soll sie doch nicht nur die Bedarfe des Arbeitsmarktes bedienen, sondern auch Integration fördern, umfassend persönlichkeitsbildend wirken, etc. Auch müsse man gegenüber der Öffentlichkeit darauf achten, dass nicht der Eindruck entstehe, Berufsbildung sei nur etwas für benachteiligte Gruppen.
Abschließend präsentierten Frau Prof. Baumeler (EHB) und Frau Prof. Salzmann (EHB) Forschungsergebnisse zur Anrechnung und Anerkennung von Bildungsleistungen an höheren Fachschulen in der Schweiz. Hier zeigte sich, dass pädagogische Überzeugungen eine große Rolle bei der Anrechnung von Bildungsleistungen spielen. Auch seien die Anrechnung von Leistungen im non-formalen und informellen Bereich deutlich unterrepräsentiert.
Megatrends der Transformation und ihr Einfluss auf die berufliche Bildung
Der Einfluss neuer Technologien und neue Kompetenzbedarfe im Kontext von Nachhaltigkeit auf die betriebliche Ausbildung und das Bildungspersonal bildeten den zweiten Themenschwerpunkt des Austauschs. Herr Dr. Hilkert (BIBB) referierte zu den Ergebnissen eines BMBF geförderten Sonderprogramms in Deutschland zur Digitalisierung in überbetrieblichen Bildungsstätten.
Anschließend präsentierte Herr Felkl (BIBB) erste Forschungsergebnisse zum wachsenden Einsatz von Wasserstofftechnologien auf die Qualifikationsbedarfe in der beruflichen Bildung. Hier zeige sich, dass dank technologieoffen gestalteter Ausbildungsordnungen die bestehenden Ausbildungsordnungen ausreichend flexibel seien. Für den breiten Einsatz von Wasserstoff sei aber zu prüfen, ob und in welcher Form es zusätzlicher Fortbildungszertifikate bedarf.
Weitere Arbeits- und Forschungsergebnisse im Bereich des ökologischen Wandels wurden u.a. durch Gastbeiträge des Wiener Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (WIAB) und des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung (Wifo) in die Diskussion eingebracht.
Der Fachaustausch endete mit einem Blick auf die Datenlage in den drei Ländern und sich daraus ergebender Möglichkeiten und Herausforderungen für ein gemeinsames Monitoring von Entwicklungen in der Berufsbildung.
Das nächste Kontaktseminar ist für das Jahr 2025 in der Schweiz geplant.