Demokratiebildung in der dualen Ausbildung – eine gemeinsame Aufgabe
Demokratische Werte wie Respekt, Mitbestimmung und Toleranz sind nicht nur gesellschaftlich relevant, sondern auch im Arbeitsalltag von großer Bedeutung. Demokratiebildung trägt zur persönlichen Entwicklung von Auszubildenden bei, steigert die Arbeitszufriedenheit und unterstützt die Innovationskraft von Unternehmen. Im Ausbildungsalltag lassen sich demokratische Kompetenzen durch ein respektvolles Miteinander, Partizipation sowie Team- und Projektarbeit gezielt stärken.
Was sind demokratische Grundwerte und Prinzipien?
Demokratische Grundwerte und Prinzipien bilden das Fundament eines freiheitlichen und gerechten Zusammenlebens und prägen auch das Miteinander im Arbeitsalltag. Wichtige Werte und Prinzipen sind:
- Gleichwertigkeit aller Menschen – unabhängig von Nationalität, Kultur, Geschlecht, Religion oder sozialem Status.
- Achtung und Schutz der Menschenrechte und Menschenwürde – insbesondere das Recht auf Leben und persönliche Entfaltung.
- Solidarität, Gerechtigkeit und Freiheit – füreinander einstehen, faire Chancen für alle ermöglichen und das eigene Leben selbstbestimmt gestalten.
- Respekt und Diskursfähigkeit – Respekt gegenüber unterschiedlichen Meinungen, Kulturen und Lebensweisen sowie die Fähigkeit, konstruktiv zu diskutieren und Konflikte friedlich zu lösen.
- Beteiligung an politischen Entscheidungsprozessen – z. B. durch Wahlen oder betriebliche Mitbestimmung.
Diese Werte und Prinzipien sind nicht nur abstrakte Ideen, sondern wirken sich ganz konkret auf das Arbeitsklima aus. Wer sie lebt und vermittelt, trägt aktiv zu einer demokratischen Unternehmenskultur bei.
Warum ist Demokratiebildung in der dualen Ausbildung wichtig?
Eine Demokratie lebt davon, dass Bürgerinnen und Bürger demokratische Werte aktiv leben und sich in politische Prozesse einbringen. Dabei kann die Arbeitswelt nicht als isolierter Raum betrachtet werden. In ihr spiegeln sich gesellschaftliche Vielfalt, aktuelle Entwicklungen und auch Herausforderungen. Soziale Ungleichheit, Diskriminierung, politische Konflikte oder der Klimawandel betreffen nicht nur die Gesellschaft, sondern auch Unternehmen. Demokratische Kompetenzen helfen, mit diesen Herausforderungen umzugehen.
Demokratiebildung bedeutet, jungen Menschen demokratische Grundwerte und Prinzipien zu vermitteln und sie in ihrer Fähigkeit zu stärken, sich aktiv und reflektiert an einer demokratischen Gesellschaft zu beteiligen. Die duale Ausbildung bietet einen zentralen Raum, in dem Auszubildende demokratische Prinzipien praktisch erfahren können. Die „charakterliche Förderung“ der Auszubildenden ist als Bildungsauftrag der Ausbildungsbetriebe auch im Berufsbildungsgesetz verankert (§ 14 Absatz 1 Nummer 5 BBiG). Im Beschluss der Kultusministerkonferenz und in den Schulgesetzen der Länder sind Aspekte der Demokratiebildung ebenfalls enthalten.
Mitbestimmung und demokratisches Handeln im Betrieb und in der Berufsschule können sich auch auf andere Lebensbereiche auswirken. Sie fördern politisches Interesse und gesellschaftliches Engagement und tragen zur Persönlichkeitsentwicklung bei. Informelles, politisch-demokratisches Lernen in der dualen Ausbildung kann dazu beitragen, demokratische Strukturen zu festigen und gesellschaftlichen Herausforderungen zu begegnen.
Was bedeutet Demokratiekompetenz?
Der Europarat hat 2018 einen Referenzrahmen für Kompetenzen für eine demokratische Kultur herausgegeben. Das hier entwickelte Kompetenzmodell beschreibt detailliert, welche Kompetenzen für eine demokratische Kultur und einen interkulturellen Dialog erforderlich sind.
Kompetenzen werden hier nicht im Sinne von „Fähigkeiten“ verstanden, sondern als psychische Ressourcen, die eingesetzt werden müssen, um den Anforderungen und Herausforderungen demokratischer und interkultureller Situationen gerecht zu werden. Dazu gehören Werte und Haltungen wie Respekt, Gemeinwohlorientierung, Solidarität und Loyalität sowie die Wertschätzung kultureller Vielfalt, die als Motivation und Leitlinien für Handlungen dienen. Diese Werte und Haltungen decken sich im Grunde genommen mit den demokratischen Grundwerten.
Darüber hinaus umfasst das Modell den Kompetenzbereich Wissen. Er beinhaltet das Wissen und Verstehen
- der eigenen kulturellen Zugehörigkeit, Sichtweisen und Emotionen,
- von Sprache und Kommunikation und von kulturellen Unterschieden in der Kommunikation,
- von politischen Systemen und Prozessen,
- von Möglichkeiten, sich am öffentlichen Diskurs und an demokratischen Prozessen zu beteiligen und
- von Menschenrechten, Kulturen, Religionen, Geschichte, Medien, Wirtschaft und Nachhaltigkeit.
Fähigkeiten und Fertigkeiten, die zu demokratischen Kompetenzen zählen, sind
- selbstständiges Lernen und recherchieren von Informationen,
- analytisches und kritisches Denken,
- Zuhören und Beobachten,
- Empathie,
- Flexibilität und Anpassungsfähigkeit,
- Kommunikationsfähigkeit,
- Kooperationsfähigkeit und
- Konfliktlösungsfähigkeit.
Demokratiekompetenz ist auch eine Dimension beruflicher Handlungskompetenz, nämlich die „Bereitschaft und Befähigung des Einzelnen, sich in beruflichen, gesellschaftlichen und privaten Situationen sachgerecht durchdacht sowie individuell und sozial verantwortlich zu verhalten“.1
Welche Vorteile hat Demokratiebildung für den Betrieb?
Demokratiebildung in der Ausbildung stärkt nicht nur die Persönlichkeit und gesellschaftliche Teilhabe von Auszubildenden sowie demokratische Strukturen in der Gesellschaft, sondern bringt auch konkrete Vorteile für Betriebe:
- Bessere Teamarbeit und Konfliktlösung: Wer demokratische Werte wie Respekt, Toleranz und Diskursfähigkeit lernt, kann konstruktiv mit anderen zusammenarbeiten und Konflikte sachlich lösen.
- Höhere Arbeitszufriedenheit und Identifikation: Studien zeigen, dass Mitbestimmung, Gestaltungsspielräume und transparente Strukturen entscheidend für die Motivation und Zufriedenheit der Beschäftigten sind und die Identifikation mit dem Unternehmen stärken.
- Förderung wichtiger Soft Skills: Demokratiebildung stärkt Schlüsselkompetenzen wie Kommunikationsfähigkeit, Kooperationsfähigkeit, Konfliktlösungsfähigkeit, Verantwortungsbewusstsein und Flexibilität.
- Mehr Innovationskraft: Ein offener Austausch von Ideen, Kritik und unterschiedlichen Perspektiven fördert kreative Lösungen und die Anpassungsfähigkeit an Veränderungen.
- Bessere Nachwuchssicherung: Unternehmen, die demokratische Werte leben, sind für junge Fachkräfte attraktiver und profitieren langfristig von engagierten und loyalen Mitarbeitenden.
Demokratiebildung im Betrieb zahlt sich also aus: Sie verbessert nicht nur das Arbeitsklima, sondern trägt auch zum wirtschaftlichen Erfolg und zur nachhaltigen Entwicklung des Unternehmens bei.
Wie kann Demokratiebildung in der dualen Ausbildung praktisch umgesetzt werden?
Demokratische Kompetenzen entwickeln sich nicht von selbst – sie müssen aktiv vermittelt und im Alltag erlebbar gemacht werden. Die modernisierten Standardberufsbildpositionen, die integrativ während der gesamten Ausbildung zu vermitteln sind, beinhalten verschiedene Aspekte von Demokratiekompetenz. Darüber hinaus gibt es viele Möglichkeiten, Demokratiebildung praktisch in Betrieb und Berufsschule umzusetzen und Auszubildende in ihrer persönlichen und beruflichen Entwicklung zu stärken:
Respektvolles Miteinander fördern:
- Alle Auszubildenden mit Respekt behandeln und in ihrer individuellen Entwicklung unterstützen.
- Ein sicheres Umfeld schaffen, in dem sich alle wertgeschätzt und respektiert fühlen.
- Unterschiedliche Meinungen zulassen und eine sachliche, respektvolle Diskussionskultur etablieren.
Partizipation ermöglichen:
- Auszubildende in Entscheidungen einbeziehen, z. B. bei Projekten, Arbeitsabläufen oder der Gestaltung von Lernprozessen.
- Eigenverantwortliches Arbeiten fördern und Mitgestaltung von Arbeitsbedingungen ermöglichen.
- Auszubildende zur Teilnahme an betrieblichen Interessenvertretungen wie Jugend- und Auszubildendenvertretung ermutigen.
- Entscheidungsprozesse transparent machen und Entscheidungen klar begründen, wenn keine Mitbestimmung möglich ist.
Demokratische und interkulturelle Kompetenzen in der Praxis stärken:
- Team- und Projektarbeit, auch in internationalen Kontexten, nutzen, um Zusammenarbeit und Meinungsvielfalt zu fördern.
- Auslandsaufenthalte oder internationale Kooperationen ermöglichen, um die Sensibilität für andere Kulturen und politische Systeme zu stärken.
- Eine Fehlerkultur etablieren, konstruktive Kritik üben und Konflikte gemeinsam lösen.
- Diskriminierung und rechtsextreme Tendenzen offen thematisieren und Sensibilisierungsmaßnahmen organisieren.
Demokratie erlebbar machen:
- Aktionstage zu Demokratie und gesellschaftlichem Engagement im Betrieb oder in der Berufsschule durchführen.
- Ein demokratisches Unterrichts- und Betriebsklima fördern, das sich durch Fairness, Toleranz und Meinungsvielfalt auszeichnet.
- Als Ausbilderin oder Ausbilder, Lehrerin oder Lehrer eine Vorbildfunktion einnehmen und sich respektvoll, offen und gerecht verhalten.
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KMK – Sekretariat der Kultusministerkonferenz: Handreichung für die Erarbeitung von Rahmenlehrplänen der Kultusministerkonferenz für den berufsbezogenen Unterricht in der Berufsschule und ihre Abstimmung mit Ausbildungsordnungen des Bundes für anerkannte Ausbildungsberufe. Berlin 2021, S. 15.