Mein Praktikum in Dublin - Maike Henschel
Die BIBB-Bibliothek hat eine Menge Bücher und Zeitschriften und vielleicht noch ein paar Spinnen in den Magazinräumen. Die älteste öffentliche Bibliothek Irlands ist da etwas verschrobener. In Marsh’s Library gibt es Bücher, die von Maschinengewehrfeuer getroffen wurden, Nachbildungen von Schädeln, Käfige, in denen Leser eingeschlossen wurden und natürlich wurde auch irgendwann einmal eine ägyptische Mumie in einem der Regale gefunden.
Vom 1. bis zum 30. Juni 2016 hatte ich die Gelegenheit, im Rahmen eines Auslandpraktikums in dieser Bibliothek zu arbeiten, die man in Dublin gleich neben der St. Patricks Cathedral finden kann. Fünf Wochen lang hatte ich die Gelegenheit die Hauptstadt von Irland kennenzulernen – und mit ihr die älteste Bibliothek des Landes.
Der Erzbischof Narcissus Marsh ließ 1703 seine eigene Bibliothek errichten, die Marsh’s Library, die 1707 durch einen Parlamentsbeschluss zu einer öffentlichen Bibliothek gemacht wurde. Seitdem haben einige bekannte Persönlichkeiten die Bibliothek besucht, so zum Beispiel James Joyce, der die Bibliothek in seinem Roman „Ulysses“ erwähnt, Jonathan Swift, der Autor von „Gullivers Reisen“, der mit Narcissus Marsh bekannt war und ihn wohl nicht ausstehen konnte, und Bram Stoker, der in Marsh’s Library - 30 Jahre bevor er „Dracula“ schrieb - Bücher über Transsilvanien und Hexerei las. Etwa 70 Jahre nachdem die Bibliothek öffnete wurden dort drei Käfige errichtet. In diese Käfige wurden die Leser/-innen während ihrer Nachforschungen eingesperrt. Wenn sie eine Glocke läuteten, wurden sie vom Bibliothekspersonal wieder auf freien Fuß gesetzt. Dies war eine Maßnahme, um die Nutzer/-innen der Bibliothek vom Stehlen abzuhalten, was anscheinend damals sehr häufig vorkam. Heutzutage dürfen die Käfige natürlich nicht mehr zu ihrem ursprünglichen Zweck genutzt werden. Leser/-innen dürfen sich für Recherchen in einen Lesesaal begeben, wo sie unter Aufsicht immer noch auf die jahrhundertealten Bücher zugreifen können. Vorab müssen sie dafür aber einen Termin mit der Bibliothek ausmachen und mitteilen, an welchen Büchern sie interessiert sind.
Denn auch wenn die Bibliothek noch immer öffentlich ist, ist sie nicht ganz so, wie man sich eine öffentliche Bibliothek vorstellt. Sie wurde so erhalten, wie sie von Marsh in 1703 erbaut und eingerichtet wurde. Der Buchbestand der Bibliothek besteht aus vier verschiedenen Sammlungen, deren Bücher aus dem 15. bis 18. Jahrhundert stammen. Neuere Bücher gibt es kaum. Das älteste gedruckte Buch ist von 1472, „Ciceros Tagebücher“. Viele Manuskripte sind sogar noch älter. Viele Leute würden Marsh’s Library vermutlich eher als Museum sehen, gerade weil sie auch dem Touristenverkehr zugänglich ist.
"Es war unglaublich interessant, in diesem Umfeld zu arbeiten"
Meine Aufgabe war es, zusammen mit weiteren Mitarbeitern/-innen, Praktikanten/-innen und Ehrenamtlichen, Besucher/-innen an der Tür zu empfangen und ihnen etwas über die Bibliothek zu erzählen. Ein kleines Eintrittsgeld wird nur genommen, um die Bibliothek weiter erhalten zu können, denn die Restaurierung der Bücher fordert viel Zeit und somit auch viel Geld. Die meisten Touristen/-innen sind begeistert von der Atmosphäre, und auch wenn man leider keine Fotos von den Galerien machen darf und es auch untersagt ist, die Bücher in den Regalen anzufassen, kommen die Besucher/-innen auf ihre Kosten. Je nachdem, wie interessiert sie sind, gestaltet man die Einführung in die Bibliothek länger oder kürzer und beantwortet die Fragen der Besucher/-innen. Dann können sie sich die Bibliothek mit ihren aktuellen Ausstellungen ansehen. Diesen Sommer hat Marsh’s Library eine Ausstellung zum Osteraufstand von 1916, anlässlich des hundertjährigen Jubiläums. Hier kann man unter anderem Bücher sehen, die getroffen wurden, als die Bibliothek selbst 1916 ins Kreuzfeuer der Briten und der irischen Rebellen geriet. Die zweite Ausstellung umfasst Comic-Illustrationen der skurrileren Geschichten aus der Bibliothek. Unter anderem die der Mumie, die einmal in einem der Regale gefunden wurde. Keiner weiß so genau, wo diese Mumie herkam. Nach ihrem Fund wurde sie aber nicht mehr in der Bibliothek aufbewahrt, sondern einem der Museen übergeben. Auch der Nachbildung vom Schädel von Jonathan Swifts Freundin Stella ist ein Bild gewidmet. Die Nachbildung selbst findet man im ersten der Lesekäfige. Die Anwesenheit dieses Gegenstands erschloss sich mir und den anderen Praktikanten/-innen nicht ganz. Für das Personal schien es hingegen ganz normal zu sein, dass eine Bibliothek über so etwas verfügt, und ab und zu wurde man auch von Sätzen wie „Eigentlich müsste unsere Totenmaske auch irgendwo hier sein, seltsam, wo die wohl hin ist?“ überrumpelt.
Es war unglaublich interessant, in diesem Umfeld zu arbeiten. Abgesehen davon, dass man ausreichend Pausen für ein paar Tassen Tee mit Milch bekam, war es toll, sich mit dem Personal auszutauschen und sich mit Touristen/-innen aus aller Welt zu unterhalten – unter anderem auch mit vielen Deutschen, die meist sehr erfreut waren, dass ich ihnen auf Deutsch etwas über die Bibliothek erzählen konnte. Man muss dazu aber auch sagen, dass es manchmal gar nicht so einfach ist, einen irischen Akzent zu verstehen, vor allem nicht, wenn die Person außerdem noch Heuschnupfen hat.
Wenn ich nicht gerade gearbeitet habe, habe ich die Stadt erkundet. In Dublin gibt es unglaublich viel zu sehen und am liebsten wäre ich noch ein paar Wochen länger geblieben, um mir auch den Rest von Irland in Ruhe ansehen zu können. So war ich, abgesehen von vielen Streifzügen durch Dublin selbst, unter anderem in den Wicklow Mountains, im Titanic Museum in Belfast und bei den Hügelgräbern Newgrange und Knowth. Auch die EM habe ich natürlich mitverfolgt, vor allem die Spiele von Irland, auch wenn die „Boys in green“ letztlich leider im Achtelfinale gegen Frankreich verloren haben.
Die Zeit in Irland war unglaublich! Ich habe nicht nur die Möglichkeit gehabt, ein wunderschönes Land kennen zu lernen und meine Sprachkenntnisse zu verbessern, sondern auch viele tolle Leute kennengelernt und ich weiß jetzt schon, dass ich Irland auf jeden Fall noch das ein oder andere mal besuchen werde. An dieser Stelle möchte ich nochmal allen danken, die mich unterstützt und diese Erfahrung für mich möglich gemacht haben!