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Fachforum 1: Lernangebote – optimieren, erweitern, in die Fläche tragen

Wie müssen Lernangebote konzipiert sein, um funktionale Analphabeten zu erreichen? Wie lässt sich Lernerfolg messen? Welche Methoden und Materialien haben sich bewährt? Wie verändert die Digitalisierung das Lernen? An fünf Thementischen tauschten sich rund 90 Expert/-innen zu den unterschiedlichen Lernangeboten, Methoden und Erfolgsmessungsinstrumenten aus.

© Heidi Scherm, BIBB

Wie kann Lernerfolg gemessen werden und mit welchem Ziel?

Lernerfolgskontrolle sollte sich stärker am Lernfortschritt des Einzelnen orientieren und nicht so sehr amErreichen allgemeingültiger Zielvorgaben durch Lerngruppen. Da Lernende jeweils andere Ausgangsbedingungen und Lernziele mitbringen, ist eine individuelle Dokumentation des Lernerfolgs sinnvoll. In Zukunft sollte verstärkt der Lernprozess in den Fokus gerückt werden, da es vielen Lernenden vor allem an Lernerfahrung fehlt. Der Lernerfolg bemisst sich oft weniger am tatsächlichen Wissenszuwachs nach Beendigung eines Lernangebots, sondern vor allem daran, ob der Lernende befähigt wurde, selbstständig zu lernen und sich Wissen aneignen kann. Als Beispiel für einen interessanten Ansatz wurde die Mapping the Learning Journey (MLJ) aus Irland benannt

© Heidi Scherm, BIBB

Was ist der Mehrwert von frei verfügbaren Lernmaterialien für den Alphabetisierungs- und Grundbildungsunterricht? Wie lässt sich die gemeinsame Nutzung optimieren?

Open Educational Resources (OER) sind online verfügbare Lehr-Lern-Materialien, die kostenlos genutzt, bearbeitet und weitergegeben werden können. Für die meist sehr heterogenen Alphabetisierungskurse bieten sich solche Lernmaterialien an, da sie sehr individualisierbar sind. Dadurch sind sie stets auf dem aktuellen Stand und werden innerhalb der Community qualitativ weiterentwickelt. Bei vielen Dozenten hat sich diese Grundhaltung des Teilens jedoch noch nicht etabliert: sie empfinden ihr selbst entwickeltes Unterrichtsmaterial als ihr Kapital. Denn die Zeit, die sie für die Erstellung aufgewendet haben, wird in der Regel nicht vergütet. Um Lehrende für OER zu gewinnen, ist es nötig, den Mehrwert für den Einzelnen sichtbar zu machen. Ein Mehrwert könnte sein, dass die Masse an frei nutzbaren Materialien wächst und dadurch der eigene Materialienpool erweitert wird. Dies wiederum bedeutet, dass sich Lehrende mehr auf den Unterricht konzentrieren können, statt auf die Materialienerstellung. Ein Mehrwert von OER wird einstimmig für die Lernenden gesehen, weil davon auszugehen ist, dass dadurch der Unterricht qualitativ verbessert wird. Sinnvoll wäre auch eine Machbarkeitsstudie zum Einsatz von OER für die Alphabetisierung. Zudem müssten Lehrkräfte qualifiziert werden, damit sie digitale und offene Lernmaterialien einsetzen und weiterentwickeln können.

© Heidi Scherm, BIBB

Welche Chancen und Herausforderungen ergeben sich durch die Digitalisierung für Lernangebote zur Alphabetisierung und Grundbildung?

Mit ihrer ständigen Verfügbarkeit und Reichweite einerseits und der Möglichkeit, Lern- und Übungszyklen nach eigenem Ermessen zu gestalten, bieten digitale Grundbildungsangebote sinnvolle Ergänzungen zum Präsenzunterricht bzw. können – je nach Zuschnitt – auch als Ersatz für den Kurs vor Ort genutzt werden. Sie erlauben ein hohes Maß an Binnendifferenzierung, das mit anderen Unterrichtsmedien nicht erreicht werden kann. Ein Aspekt, der gerade in den außerordentlich heterogenen Lerngruppen in der Alphabetisierung und Grundbildung von großer Bedeutung ist. Außerdem bieten digitale Medien die Möglichkeit, zahlreiche kognitive Vorgänge in das Lernen einzubeziehen. Hören und Sehen werden auf unterschiedliche Weise und je nach den Bedarfen der Zielgruppe miteinander verknüpft. Die Lernmotivation kann erhöht werden, wenn beispielsweise spielerische Elemente in das Lernen integriert werden. Damit einher geht die Entwicklung einer Medienpraxis jenseits des reinen Konsums: Lernende erleben das Web als Lernort und können – mit Unterstützung durch Kursleitende – ihre Medienkompetenz weiter entwickeln. Dabei wird Medienkompetenz als wichtiger Baustein für ein Grundbildungsangebot betrachtet. Auf der Ebene des Kursangebots bieten digitale Lernmedien die Möglichkeit, in strukturschwachen Regionen (z. B. im ländlichen Raum) ein umfangreiches Kursangebot zur Verfügung zu stellen.
Gleichzeitig müssen Kursleitende für die Arbeit mit digitalen Angeboten geschult werden und es müssen – insbesondere im Themenfeld OER intensive Maßnahmen zur Steigerung der Bekanntheit erfolgen. Wichtig sind neben stetiger Evaluation und Qualitätssicherung eine motivationsfördernde Gestaltung der Angebote und Sichtbarkeit von Lernerfolgen. Zukünftig ist wichtig, Formen und Formate zu finden, um Erfolge beim Einsatz digitaler Instrumente/OER in der Alphabetisierung und Grundbildung darzustellen und Arbeitsansätze zu diskutieren. Vorbehalte gegen digitale Lernmedien müssen gezielt abgebaut werden. Dabei lassen sich auch Einzelaspekte von digitalen Lernmedien hervorheben, zum Beispiel Gamification, um anhand derer beispielhaft Vorteile und Herausforderungen für die Grundbildung zu erläutern. Eventuell müssen einzelne Bildungsträger weiterhin bei der Bereitstellung der notwendigen technischen Ausstattung unterstützt werden.

© Heidi Scherm, BIBB

Warum sind arbeitsplatzbezogene Lerninhalte für die Alphabetisierung und Grundbildung wichtig? Wie können Unternehmen dafür gewonnen werden?

Arbeitsplatzbezogene Lernangebote sind in der Alphabetisierung und Grundbildung so relevant, da sie dem Beschäftigten und dem Unternehmen einen konkreten Nutzen bieten. In der betrieblichen Weiterbildung ist das Thema Grundbildung jedoch noch nicht ausreichend bekannt. Es ist mühsam, Unternehmen für dieses Thema zu gewinnen. Bei der Akquise und Beratung von Unternehmen ist es daher wichtig, den Fokus auf den individuellen Bedarf des Unternehmens zu legen, um daraufhin auf das Unternehmen zugeschnittene Lernangebote zu entwickeln. Gute Zugänge ergeben sich über Gewerkschaften, Beauftrage für Sicherheits- und Gesundheitsvorschriften, Personalentwickler und regionale Unternehmensnetzwerke.
Eine Herausforderung ist der „Spagat“ zwischen Leistungserwartungen von Unternehmen (wer hat sich wie verbessert?) und der Vertraulichkeit gegenüber den lernenden Beschäftigten. Darüber hinaus gibt es den Bedarf, mehr über die Wirksamkeit aus Sicht von Lernenden (z.B. Selbstwirksamkeit, Arbeitszufriedenheit) zu erfahren.

© Heidi Scherm, BIBB

Welche Rolle spielen sozialraumorientierte Angebote für die Alphabetisierung und Grundbildung?

Sozialraumorientierte Lernangebote orientieren sich in ihrer Planung, Umsetzung und Bewerbung an der Lebensrealität der potentiellen Zielgruppe und berücksichtigendemografische Faktoren, wie die altersbezogene, die kulturelle oder die soziale Zusammensetzung des Stadtteils bzw. der anvisierten Zielgruppe. Auch das Geflecht anderer (sozialer) Institutionen im Stadtteil und deren Angebotsstrukturen und Arbeitsweisen sind zu beachten. In Trier und Köln werden solche Angebote in Form von offenen Lerntreffs und Lerncafés bereits in Kooperation mit kommunalen Partnern umgesetzt. Bewährte Modelle und Konzepte sollten bekannt gemacht und das Bildungspersonal animiert und geschult werden, die Sozialraumorientierung in ihrer Konzeption von Lernangeboten stärker zu berücksichtigen. Auf diese Weise erreicht man mehr Teilnehmende, vernetzt sich mit institutionellen Partnern und stellt Synergien her. Die sozialräumliche Umkehrung des Blickes (von außen – der Straße – in die Einrichtung, statt aus der Einrichtung in den Sozialraum) sollte als Erfolgsfaktor kommuniziert und als Voraussetzung für neu zu schaffende Angebote formuliert werden. Spannend und aus zeitlichen Gründen unbeantwortet blieb die Frage, inwiefern man über soziale Netzwerke Bedarfe zielgerichteter erkennen, Zielgruppen besser erreichen und neue Lerninhalte identifizieren könne.

Beteiligte

Einführung und Moderation
Regina Eichen, Deutscher Volkshochschul-Verband

World-Café mit sechs Thementischen

1. Lernerfolgskontrolle
Dr. Carola Rieckmann, VHS Frankfurt
Tim Henning, Bundesverband Alphabetisierung und Grundbildung
2. Digitale Lernangebote
Regina Eichen, Deutscher Volkshochschul-Verband
Björn Schulz, ARBEIT UND LEBEN - DGB/VHS Berlin-Brandenburg
3. Lernmaterialien als Open Educational Resources (OER)
Valentin Münscher, Wikimedia Deutschland
Doris Hirschmann, Deutsches Institut für Internationale Pädagogische Forschung
Dr. Caroline H. Kurz, Volkshochschule Göttingen Osterode
4. Arbeitsbezogene Lernangebote
Dr. Sabine Schwarz, Lernende Region - Netzwerk Köln
Anke Frey, Bundesarbeitskreis ARBEIT UND LEBEN
5. Sozialraumorientierte Lernangebote
Tim Westerholt, Caritasverband für die Stadt Köln
Annelie Cremer, Bildungs- und Medienzentrum VHS Trier