Durchlässigkeit: Herausforderungen für die berufliche Bildung
Durchlässigkeit beschreibt die Möglichkeit des individuellen Wechsels innerhalb und zwischen den Bildungsbereichen unter Berücksichtigung bereits erworbener Kompetenzen sowie der Annäherung der Bildungsbereiche durch Vergleichbarkeit und Validierung von Lernleistungen.
Die Förderung von Durchlässigkeit zwischen beruflicher und akademischer Bildung ist heute eines der bedeutendsten bildungspolitischen Themen in Deutschland. Dabei wird unter dem Begriff jedoch nicht bloß die Möglichkeit eines Übergangs von der beruflichen in die akademische Bildung verstanden. Vielmehr kann Durchlässigkeit als ein Ansatz zur Ermöglichung vielfältiger, flexibler Aus- und Weiterbildungswege begriffen werden.
Anforderungen an ein durchlässiges Bildungssystem
In Zeiten von Globalisierung, Digitalisierung und demografischem Wandel steigt der Bedarf an gut ausgebildeten Fachkräften. Daher ist es notwendig, ein attraktives und leistungsfähiges Bildungssystem zu gestalten und dieses kontinuierlich an die Anforderungen einer modernen, mobilen Gesellschaft anzupassen. Lebensbegleitendes bzw. lebenslanges Lernen steht im Zentrum dieser Strategie. Dafür bedarf es bildungsbereichsübergreifender, flexibler Lernwege, um jeder und jedem Einzelnen zu ermöglichen, die eigenen Fähigkeiten und Kompetenzen ständig zu erweitern. Dies setzt nicht nur bedarfsorientierte Zu- und Übergangsmöglichkeiten zu bzw. zwischen Angeboten der beruflichen und akademischen Aus- und Weiterbildung sowie die Implementierung von Verfahren und Instrumenten zur gleichwertigen Anerkennung und Anrechnung von erworbenen Kompetenzen in allen Bildungsbereichen, sondern vor allem auch ein breites, von allen Akteuren getragenes gesellschaftliches Verständnis voraus, das allgemeine und berufliche Bildung zusammen denkt.
Bildungspolitische Entwicklungen
Politisch steht die Forderung nach mehr Durchlässigkeit zwischen beruflicher und akademischer Bildung unter den Aspekten der Gleichwertigkeit und wechselseitiger Übergangsmöglichkeiten seit mehr als 50 Jahren in der öffentlichen Diskussion: Schon seit den 1960iger Jahren wurde eine mangelnde Durchlässigkeit als strukturelles Defizit des deutschen Bildungssystems identifiziert. Entsprechende Reformen auf Bundesebene wurden jedoch erst nach der Jahrtausendwende und im Kontext europäischer Forderungen angegangen. Von zentraler Bedeutung im europäischen Kontext ist insbesondere das im Jahr 2000 von der EG veröffentlichte „Memorandum über Lebenslanges Lernen“, zu dessen Hauptforderungen ein verbesserter Zugang zu Bildung und Bildungsabschlüssen für alle Bevölkerungsgruppen zählt.
Aber auch trotz wiederholt hervorgebrachter Forderungen nach einer verstärkten Durchlässigkeit zwischen beruflicher und akademischer Bildung auf Bundesebene, wie sie sich beispielsweise in einer 1984 vom Hauptausschuss des BIBB veröffentlichten Empfehlung zur „Gleichwertigkeit von beruflicher und allgemeiner Bildung“ oder in den Leitlinien des 2006 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) einberufenen Innovationskreises berufliche Bildung (IKBB) finden, wurde erst mit den verschiedenen Beschlüssen der Kultusministerkonferenz (KMK) aus den Jahren 2002 bis 2009 zur Anerkennung und Anrechnung beruflich erworbener Kompetenzen auf ein Hochschulstudium diesen Forderungen entsprochen.
Der Hauptausschuss des BIBB
„Für die Gleichwertigkeit beruflicher und allgemeiner Bildung ist darüber hinaus die Regelung des Zugangs zum tertiären Bereich von Bedeutung. Der Hauptausschuß vertritt daher die Auffassung, daß durch eine Gleichstellungsregelung den Absolventen beruflicher Fortbildungsprüfungen nach Berufsbildungsgesetz und Handwerksordnung (z. B. Handwerks-, Industriemeister und entsprechende kaufmännische Abschlüsse) der Zugang zum Fachhochschulbereich zu eröffnen ist. Durch geeignete Maßnahmen soll die Eingliederung der Absolventen beruflicher Bildungsgänge erleichtert werden.“
Einen weiteren Meilenstein stellt die Einigung von Bund (BMBF) und Ländern (KMK) auf die Einführung des „Deutschen Qualifikationsrahmens für lebenslanges Lernen – DQR“, einem Transparenzinstrument zur Einordnung der Qualifikationen des deutschen Bildungssystems, im Mai 2013 dar. Für die Zuordnung erworbener Qualifikationen stehen acht unterschiedliche Niveaus zur Verfügung. Dadurch, dass er Gleichwertigkeiten und Unterschiede von Qualifikationen durch seine Lernergebnisorientierung transparent macht, kann der DQR einen wesentlichen Beitrag zur Erhöhung der Durchlässigkeit leisten.
Der DQR
„Neben der Förderung von Transparenz und Mobilität kann der DQR auch Impulsgeber für neue Ansätze in der Bildung sein. So kann der DQR dazu beitragen
- die Gleichwertigkeit von allgemeiner, beruflicher und hochschulischer Bildung zu verdeutlichen,
- die Orientierung der Qualifikationen an Kompetenzen zu fördern,
- die Orientierung der Qualifizierungsprozesse an Lernergebnissen zu fördern,
- Durchlässigkeit und Qualitätssicherung im deutschen Bildungssystem zu unterstützen,
- Möglichkeiten der Anerkennung und Anrechnung von nicht-formal und informell erworbenen
- Kompetenzen zu verbessern sowie
- lebenslanges Lernen insgesamt zu stärken.“
Herausforderungen für die berufliche Bildung
Die berufliche Bildung steht aktuell insbesondere vor der Herausforderung, sich zu modernisieren und so zu gestalten, dass sie im Zuge des veränderten Verhältnisses von beruflicher und akademischer Bildung, auch im Hinblick auf zunehmende Akademisierungstendenzen, weiterhin attraktive Bildungsoptionen bietet. Die Verbesserung der Durchlässigkeit im Bildungssystem kann dabei u. a. dazu beitragen, dass sich berufliche und akademische Bildung nicht untereinander in einen Konkurrenzkampf begeben. Vielmehr sollte der Versuch im Vordergrund stehen, durch eine Annäherung der Bildungsbereiche die Vorteile beider Ausbildungswege zu nutzen.
Mit Blick auf die Zielstellung, ein attraktives und leistungsfähiges Bildungssystem zu gestalten, ist es daher vor allem auch für die Berufsbildungspolitik eine wichtige Aufgabe, adäquate und gleichwertige Aufstiegschancen zu schaffen, Zugänge zu ermöglichen, die Verzahnung von beruflicher Aus- und Weiterbildung zu verwirklichen und die Nutzung der Wechselmöglichkeit zwischen den Bildungsbereichen effektiv zu erhöhen. Schnittstellen- bzw. Übergangsmanagement, Anerkennung und Anrechnung sowie Information und Beratung sind Themenfelder, in denen erhöhter Handlungsbedarf besteht.
Das BIBB beteiligt sich aktiv an dieser Aufgabe. Im Zentrum der durchlässigkeitsfördernden Entwicklungsarbeiten stehen dabei vor allem drei Strategien:
- Die Gestaltung wechselseitiger Übergänge zwischen Berufsbildung und Hochschule (reziproke Durchlässigkeit)
Beruflich qualifiziert studieren
Umsteigen: Vom Studienausstieg zum Berufsabschluss - Die Entwicklung innovativer, bereichsübergreifender Bildungsgänge mit Gültigkeit in Berufsbildung und Hochschule (konvergente Durchlässigkeit)
Verzahnung: Bereichsübergreifende Bildungsformate - Die Kombination beruflicher und hochschulischer Bildungs- und Lernformen (hybride Durchlässigkeit)
Studium und Beruf kombinieren: Duales Studium
Durchlässigkeit im Bildungssystem – Möglichkeiten zur Gestaltung individueller Bildungswege
Vogel, Christian | 2017
Informationen aus dem BIBB. Bundesinstitut für Berufsbildung (Hrsg.). Bonn. - (2017)
Berufsbildung und Hochschulbildung: Durchlässigkeit und Verzahnung als bildungspolitische Herausforderungen – bisherige Entwicklungen und aktuelle Herausforderungen
Frank, Irmgard; Heister, Michael; Walden, Günter (Hrsg.) | 2015
Wissenschaftliche Diskussionspapiere Heft 166. Bonn. - (2015)