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Video-Interview Martina Heßler

Society – Technology – People

Prof. Dr. Martina Heßler, Darmstadt, unternimmt eine technikhistorische Einordnung der Zusammenhänge und Wechselwirkungen von technologischer und gesellschaftlicher Entwicklung. Sie beschreibt, wie zum einen die Sichtweise auf Technik und Technologien diese bestimmen und zum anderen aber durch die Techniken und Technologien wiederum individuelles und gesellschaftliches Handeln bestimmt werden. Heßler hält den Lehrstuhl Technikgeschichte an der TU Darmstadt inne und forscht unter anderem zum Mensch-Maschinen-Verhältnis im 20. Jahrhundert.

Textfassung des Video Länge 16:03 Min.

13.03.2019 | BIBB

Society – Technology– People: Theory-Interviews on the relationship between societal and technological change

 

Interview with Prof. Dr. Martina Heßler

This interview was filmed in Darmstadt on 13 March 2019. The interviewer was Robert Helmrich. It is part of a BIBB-research project on "Polarisierung von Tätigkeiten in der Wirtschaft 4.0 - Fachkräftequalifikationen und Fachkräftebedarf in der digitalisierten Arbeit von morgen", funded by BMBF.

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Theorieinterviews

zur englischsprachigen Übersetzung des Interviews

 

Where do we find sources for technological change and social division of labour?

Als erstes würde ich sagen, dass ich nicht von Treiber sprechen würde. Also Treiber scheint mir doch auch ein sehr ökonomischer Begriff, der, glaube ich, auch mit der Computerisierung en vogue wurde. Und gerade die interdisziplinäre Technikforschung hat vielfältig Ansätze entwickelt, da wo sie drauf hinweist, dass diese Suggestion die mit dem Begriff Treiber verbunden ist, dass es bestimmbare Akteure gibt, die für Entwicklung verantwortlich sind, unterkomplex ist. Wir haben viel komplexere Verflechtungen, als das wir genau einen Treiber bestimmen könnten. Da gibt es sehr viele Ansätze in der interdisziplinären Technikforschung.  Mein Ansatz wäre aber über diese Ansätze, die ja alle schon existieren, hinaus nochmal einer, den ich die historische Technikanthropologie nenne und dabei spreche ich eher von Bedingungen als von Treibern. Diese historische Technikanthropologie meint, dass wir die Frage nach der Position der Menschen in einer technisierten Welt, nach dem Verhältnis von Mensch und Maschinen im Wandel, nach dem Wandel von Menschenbildern fragen müssen. Und da kann man ganz deutlich sehen, auch historisch wie aktuell, dass diese Menschenbilder, die Selbstverständnisse, die Menschen von sich haben, das Verhältnis, dass sie zu Technik entwerfen, eine ganz klare Bedingung ist, die die Technikentwicklung mitbestimmt. Also, meine Perspektive ist ja eine historisch anthropologische und deswegen fokussiere ich in dieser Frage eben auf das Mensch-Maschine-Verhältnis und die gesellschaftliche Arbeitsteilung ist natürlich auch immer, müssen wir sagen, eine zwischen Menschen und Maschinen. Die dann natürlich stratifiziert ist und nach sozialen Gruppen und Qualifikationsmerkmalen. Mich interessiert aber darin tatsächlich das Mensch-Maschinen-Verhältnis und hier würde ich sagen, dass eben diese Menschenbilder, Technikentwicklung und das Mensch-Maschinen-Verhältnis und die gesellschaftliche Arbeitsteilung zwischen Menschen und Maschinen mitbedingt. Also, wenn sie Ingenieure haben, haben die natürlich ein bestimmtes Menschenbild. Das ist oft implizit, aber sie entwerfen Technik im Hinblick auf bestimmte Menschenbilder. Die Mensch-Maschine-Interaktion muss entworfen werden und dabei sind Menschenbilder ganz relevant. Auch Nutzerinnen von Technik entwerfen sich mit einem bestimmten Selbstverständnis, zum Beispiel, dass sie die Technik kontrollieren und das prägt dann die Akzeptanz, die Nutzung, und auch langfristig, mittelfristig die Entwicklung von Technik. Also ich glaube schon, dass wir einen Prozess haben der beschleunigter abläuft, als das in der industriellen Revolution oder auch in den 1970er, 80er Jahren der Fall war. Also die Entwicklungen sind schon beeindruckend also, wenn Sie nur zum Beispiel Übersetzungsprogramme nehmen, über die man lange Zeit gelacht hat, die auch heute noch nicht; die weit davon entfernt sind mit guten, menschlichen, professionellen Übersetzer mithalten zu können aber gleichwohl in relativ kurzer Zeit wahnsinnige Entwicklungen gemacht haben, sodass man sie heute massenweise nutzt, als Vorlage.  Also ich glaube, dass da schon eine Beschleunigung stattfindet.  #00:03:30-9#

 

Who is driving technological change and social division of labour?

Also ich glaube, dass dieser Anthropozentrismus, also die Vorstellung, dass die Menschen doch die Kontrolleure und Gestalter, Bediener von Technik sind und dieser ganzen technisierten Welt, dass die noch sehr dominant ist und sehr wirkmächtig und das auch bleiben wird und Diskurs sehr stark bestimmen wird. Und darin sehe ich auch eigentlich ein großes Problem, weil es nicht dem entspricht, was wir in Praktiken erleben und was passiert. Also im Grunde genommen muss man stärker reflektieren, dass diese gestaltende Position der Menschen nicht mehr so souverän ist, wie Menschen das annehmen. Und ich glaube hier kommen auch ganz starke Veränderungen, weil inzwischen Maschinen Anweisungen geben. Wir haben vorher auch Karteikarten und so weiter, aber es sind Maschinen, die Anweisungen an die Menschen geben und wir haben im Grunde genommen so eine Tendenz zum neo-kybernetischen System, in dem Menschen eine Komponente in einem Arbeitsprozess sind ganz eng verbunden mit Maschinen, mit Ressourcen, mit Materialien usw. und in diesem System über Informationen funktionieren müssen.  #00:04:46-6#

 

Which consequences will arise from technological change?

Arbeit gehört in einer Arbeitsgesellschaft seit Jahrhunderten zum Selbstverständnis und wenn dann die Gefahr besteht aus Sicht der Menschen, dass Maschinen ihre Arbeit machen, ist eben auch dieses Selbstverständnis bedroht. Und das, denk ich, ist ein Punkt, der für diese Technikentwicklung und auch für gesellschaftliche Arbeitsteilung ganz relevant ist. Da geht es eben nicht immer nur um Ersetzung, sondern auch um eine Neuverteilung der Arbeitsteilung: Maschinen übernehmen Aufgaben und ersetzen Menschen nicht, sondern das Zusammenspiel von Mensch und Maschine wird ein Neues. Neu ist, glaube ich, tatsächlich diese Frage der Entscheidung, also, dass künstliche Intelligenzsysteme Entscheidung treffen, die Menschen teilweise gar nicht mehr nachvollziehen können. Wir haben Expertensysteme, die Mengen von Daten durchwälzen können und damit weit über menschliche Fähigkeiten hinausgehen und eine Grundlage für die Entscheidung darstellen, ohne dass Menschen noch verstehen, wie diese Entscheidung zu Stande kam. Das führt zu einer Diskussion, die im Grunde genommen auch schon seit den 50er Jahren geführt wird, damals zum Beispiel für das Auto-Pilot-System im Flugzeug: "Was passiert eigentlich, wenn Menschen diese Fähigkeiten verlieren?" Weil alles was man nicht selbst ausübt, wird natürlich auch verlernt und damit gibt es auch eine Verschiebung in den Kompetenzen und dem, was Menschen überhaupt noch können und die Angewiesenheit auf Maschinen wird, glaube ich, momentan viel, viel enger und Menschen werden viel abhängiger von der Zusammenarbeit mit Maschinen. Das heißt, da verändern sich auch Arbeitskörper, menschliche Körper und es verändern sich die menschlichen Praktiken in der Arbeitswelt. Und für mich immer noch ganz wichtig: Das Selbstverständnis der jeweiligen Arbeitenden, als was sie sich verstehen, welche Position sie in diesem Arbeitsprozess haben. Und ich glaube die Frage, was sinnvoll ist, ist ja schon hochkontrovers. Gleichwohl muss sie gestellt werden und ich denke genau in so einem Aushandlungsprozess muss dann geklärt werden oder muss versucht werden zu gestalten. Auch hier hat die interdisziplinäre Technikforschung ja sehr klar aufgezeigt, dass Gestaltungsprozesse hochkomplex sind. Dass wir zwar seit den 1980er Jahren betonen: Keinen Technikdeterminismus, sondern wir können, wir müssen gestalten! Gleichwohl ist das Ergebnis der Gestaltung selten das, was man intendiert hat, weil es eben solche komplexen Prozesse, an denen so viele Akteure beteiligt sind, weil es sich darum handelt. Jüngere Stimmen, zum Beispiel Peter Haff, der den Begriff "Technosphäre" oder "technosphere" eingeführt hat, sagt, dass wir im Grunde genommen auf lokaler Ebene gestalten können, also das wäre die Betriebsebene, dass aber auf komplexeren oder Systemebenen überhaupt keine Steuerungs- und Kontrollmöglichkeiten mehr bestehen, sondern das hier im System mit diesen vielen unterschiedlichen Komponenten etwas geschieht, was durch einzelne Akteursgruppen gar nicht mehr steuerbar ist. Das heißt, auf der lokalen Betriebsebene muss gestaltet werden, aber auch das hängt ja an größeren Zusammenhängen. Das heißt, die Frage der Gestaltung ist eine hochkomplexe und schwierige, die gleichwohl getan werden muss. Und ich glaube der Punkt ist, dass man sich immer darüber im Klaren sein muss, dass die Gestaltung nicht zu den Ergebnissen führt, die intendiert sind - vor allem mittel- und langfristig. Ich glaube, da ist ein großes Potential an Verantwortung, was Einzelgruppen haben, was sie mit bedenken und mit reflektieren müssen, wenn man Neuerungen einführt. Ganz zentral ist ein Punkt, der im Kontext von Digitalisierung zu wenig geführt wird, nämlich die Frage der Ressourcen und des Klimawandels, weil gerade Digitalisierung unglaublich viel Energie und Ressourcen verbraucht, was völlig unterschätzt wird und nicht präsent ist. Sowohl im Privatleben wie bei den Firmen. Also, dass hier Folgen entstehen, indem man neu technisiert und neue Energie- und Ressourcenverbrauch schafft - während der Klimadiskurs unabhängig davon geführt wird. Also im Grunde müsste man diese Diskurse zusammenführen. Das sind vielleicht negative Folgen, die man mitbedenken sollte also: Umwelt, Klima, Ressourcenverbrauch. Es kann auch negative Folgen geben, also ich glaube es gibt - das sehen wir auch historisch in jeder Transformation, auch wenn sie keine disruptive ist, gibt es immer Verlierer. Die wird es auch dieses Mal geben, davon bin ich überzeugt. Also Menschen, die nicht mithalten können, die mit solchen Weiterbildungs-, Lernprozessen nicht mehr mitgehen wollen auch oder mitgehen können. Das ist sicherlich auch eine negative Folge, wenn man solche Transformationsprozesse hat. Positive Folgen können natürlich - also wir haben ganz viele positive Folgen, wenn Digitalisierung in der Medizin angesetzt wird, Expertensysteme Krankheiten erkennen können und so weiter. Aber im Grunde genommen muss man diese Frage auch in vielen empirischen Beispielen konkret beantworten und genau hinschauen, was passiert. Also ich würde da auf die Frage des Ressourcenverbrauchs und des Energieverbrauchs durch Digitalisierung hinweisen und natürlich, das ist aber jetzt sehr naheliegend, die Frage der Datensicherheit und der Verwendung von Daten. Aber ich denke, das wird diskutiert, wenn auch noch lange nicht gelöst. Aber die Frage der Ressourcen und des Energieverbrauchs ist eine meines Erachtens komplett unterschätzte im Kontext von Digitalisierung.  #00:10:24-7#

 

How are drivers and consequences of technological change connected?

Also der Begriff der Mechanismen ist vielleicht für Historiker ähnlich schwierig wie der der Treiber, weil dahinter auch ein Konzept der Kausalität steckt, also, dass man ganz klare Mechanismen zuordnen kann und Historikerinnen tendieren eigentlich stärker inzwischen dazu nach dem Wie zu fragen und nicht nach dem Warum. Aus meiner historisch-anthropologischen Sicht würde ich auch nicht von Mechanismen sprechen, aber vielleicht würde ich die Frage dann dahingehend beantworten, dass wir durchaus verschiedene Grundfragen oder Problemkreise in historisch-anthropologischer Perspektive sehen, die seit der früheren Neuzeit, seit der Industrialisierung immer wieder diskutiert werden. Das sind eben Fragen wie: Welche Position haben Menschen in einer hoch technisierten Welt? Wie werden Menschen jeweils definiert, gerade im Hinblick auf Technik? Sehen sie sich als Cyborg oder sehen sie sich in Konkurrenz zur Technik, sehen sie sich als Bediener oder als technisches Wesen? Das sind Fragen die man historisch immer wieder diskutiert hat und die heutzutage hoch virulent sind. Und der zweite wichtige Punkt ist, dass der Diskurs derzeit zu stark auf Digitalisierung und K.I. in einer sehr eindimensionalen Weise fokussiert und das man im Grunde genommen auch das Zusammenspiel von verschiedenen Technologien anschauen muss, also Neurowissenschaften, Gentechnik, Infrastrukturen, Mobilitäts- und Kommunikationstechnologien, die ja auch alle für die Arbeitswelt eine große Rolle spielen also zumindest Infrastrukturen, Mobilitäts- und Kommunikationstechnologien, aber vielleicht auch Genetik und Neurowissenschaften. Ich glaube eine der großen Herausforderungen ist, das einfach auch zusammenzudenken. Also was passiert, wenn wir in unterschiedlichen Feldern Durchbrüche haben, Entwicklungen haben, Weiterentwicklungen und das sich hier Menschen neu positionieren müssen und vor ganz neuen Herausforderungen und auch vor Verantwortung stehen. Das, denke ich, ist ein wichtiger Punkt, das zusammenzudenken. Also ist gibt so ein schönes Zitat, das ich immer erwähne, von Käte Meyer-Drawe, die sagt "Menschen spiegeln sich in ihren Maschinen" und sie versuchen ihr Rätsel zu lösen in dem sie sich mit Maschinen auseinandersetzen oder identifizieren, das ist ja sehr unterschiedlich. Sie setzt es an in der frühen Neuzeit und ich glaube tatsächlich diese Frage wird seit der frühen Neuzeit, seit Descartes, gestellt. Gleichwohl gibt es historische Unterschiede und Verschiebungen, also einmal natürlich die Verquickung, also der Begriff des Cyborgs taucht erst im 20ten Jahrhundert, in der zweiten Hälfte auf. Da haben wir ein ganz neues Phänomen, dass Menschen sich selbst als technische Wesen beschreiben. Sodass wir diese Grundfrage nach dem Verhältnis von Mensch und Maschine immer haben, aber dass es Nuancen gibt oder auch ganz starke Verschiebungen, wie es gefasst wird. Ich glaube es gibt immer Pfadabhängigkeiten, allein durch Infrastrukturen, das sehen wir bei der Digitalisierung, oder nichtvorhandene Infrastrukturen, gleichwohl kennt ja auch die Pfadtheorie inzwischen "critical junctures", an denen man abbiegen kann - alternative Pfade. Also ich glaube, dass man, das ist mehr Aufwand, mehr Kraft, mehr gesellschaftliche Auseinandersetzung, aber prinzipiell würde ich die Pfadabhängigkeit nicht zu stark setzen. #00:13:49-4#

 

What measures can be taken to steer technological change?

Die Herausforderung, die ich jetzt aus meiner historisch-anthropologischen Perspektive sehe ist, dass wir eine neue anthropologische Reflexion brauchen. Das ist nicht das erste Mal, dass solche Diskurse geführt werden, also um 2000 gab es auch eine intensive, kurze anthropologische Diskussion und ich denke, dass wir die heute erneut führen müssen. Die Herausforderung ist eben, dass man sich gesellschaftlich verständigen muss, welche Rolle Menschen spielen sollen und welche Rolle Maschine spielen sollen. Wie viel Entscheidung will man an Maschinen abgeben, in welchen Bereichen ist das legitim und sinnvoll und in welchen Bereich ist es das nicht? Diese Legitimation, die sagt der Mensch bleibt der letztliche der Entscheider, halte ich dabei eher für problematisch, weil es eine Illusion ist, dass der Mensch Entscheider ist, wenn Maschinen entscheiden und wir die Entscheidung gar nicht mehr nachvollziehen können. Also ich glaube, dass die Herausforderung tatsächlich in der Neuverhandlung und Neubestimmung der Position von Menschen besteht. Und das ist nicht nur in engeren technologischen Entwicklungen, sondern die Debatte wird ja auch für das Anthropozän geführt. Ich denke, dass Menschen sich positionieren müssen weg vom Antropozentrismus aber trotzdem in der Verantwortung eines Wesens, das eben viel mehr herstellt, produziert als das jedes andere Wesen auf der, auch Technik selbst, auf dieser Erde tun.

Meine Vision wäre tatsächlich solche Bürger-Foren, in denen solche Fragen auf breiter gesellschaftlicher Ebene diskutiert werden, dass es nicht unbedingt nur im Betrieb sondern tatsächlich auf lokaler Ebene Diskussionsgruppen, Bürger-Foren, das gab es ja nun schon häufig, auch im Kontext von Gen- oder Nanotechnologie, also dass man solche angeleiteten aber von unten wie so eine "Graswurzel-Bewegung" einen großen Verständigungsprozess über diese Frage nach Menschenbildern führen könnte und da auch viel beitragen könnte, um solche anthropozentrischen Illusion, die viele Menschen noch haben, zumindest zu hinterfragen.

Informationen zum Video

Interview aufgenommen am 13.03.2019 in Darmstadt

Interviewer: Robert Helmrich

Kamera, Ton: Olaf Kuzniar

Team vor Ort: Robert Helmrich, Olaf Kuzniar, Anna Christin Lewalder

Produktion: überRot GmbH

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