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Qualifizierung des Bildungspersonals durch Lernortkooperationen im Kontext der Digitalisierung

Thomas Schley

Lernortkooperationen eröffnen dem Berufsbildungspersonal vielfältige Chancen, sich in Zeiten des digitalen Wandels zu qualifizieren und weiterzubilden. Es entstehen neue Wege, von-, über- und miteinander zu lernen sowie neue Gestaltungsformate zur Kompetenzentwicklung.

Inhalte des Beitrags

Mit Blick auf den Wandel der Arbeitswelt aufgrund technologischer Innovationen erlebt die Lernortkooperation eine Renaissance. Ihr wird großes Potenzial für die Aufrechterhaltung und Förderung der Ausbildungsqualität zugeschrieben, da Besonderheiten der Lernorte Berufsschule, Betrieb und überbetrieblichen Berufsbildungsstätte (ÜBS) sich gegenseitig ergänzen können. Der Beitrag stellt daher zunächst die Bedeutung der Lernortkooperation in der beruflichen Bildung im Kontext der Digitalisierung dar. Anschließend fokussiert er sich auf die Lernortkooperation als „Lernort“ für das Berufsbildungspersonal: Denn die kooperative und kollaborative Zusammenarbeit im Zuge der Lernortkooperation bietet Ausbildenden verschiedene Möglichkeiten von-, über- und miteinander zu lernen. Schließlich skizziert der Beitrag vier Gestaltungselemente der Lernortkooperation, die Potenziale zur Kompetenzentwicklung für das Bildungspersonal aufweisen.

Bedeutung der Lernortkooperation in der beruflichen Bildung im Kontext der Digitalisierung

Im Kontext digitaler Transformationen spielen Kooperation und Kollaboration eine zunehmend bedeutende Rolle. Digitalisierung ermöglicht neue Formen der Zusammenarbeit, die hierarchie-, funktions- und abteilungs-, als auch organisationsübergreifend sind. Sie fördert und fordert neue Kompetenzen und trägt dazu bei, dass Ressourcen bedarfsorientierter eingesetzt werden können. Es wird zunehmend erfolgskritisch für Unternehmen, sich von einem Gegeneinander über ein Miteinander hin zu einem Füreinander weiter zu entwickeln. Dazu gehört, verbindende Sichtweisen und förderliche Einstellungen („Growth Mindset“, DWECK 2008) zu entwickeln, die das Gemeinsame betonen, und eigene Interessen zugunsten der Gemeinschaft aufgeben. Hierdurch können Mehrwerte durch digitale Technologien geschaffen und proaktiv genutzt werden, anstatt Entwicklungen lediglich reaktiv hinterherzulaufen (vgl. SPRENGER 2019).

Eine durch Lehrkräfte, Ausbilder/-innen und Auszubildende didaktisch begründete Lernortkooperation in der Berufsbildung kann den Bedarfen der digitalen Transformation im Besonderen gerecht werden, da sich dadurch die Ausbildungsqualität steigern, unterschiedliche Voraussetzungen der Lernorte ausgleichen und der Wissenstransfer in die Arbeitspraxis erleichtern lassen. Lernortübergreifend konzipierte und durchgeführte Ausbildungsprojekte eröffnen umfassendere didaktische Gestaltungsmöglichkeiten, die berufliche Handlungskompetenz fördern, indem Synergieeffekte und die Kompetenzvielfalt unterschiedlicher Ausbildungsakteure genutzt werden können (vgl. PFEIFFER/SCHLEY/DAUSER 2022; DIETTRICH/FASSHAUER/KOHL 2021). Zu begrüßen ist zudem, dass Ausbilder/-innen und Lehrkräfte, die Lernortkooperationen aktiv gestalten, auch deutlich mehr digitale Lernmedien in der Ausbildung einsetzen (ebd.; RISIUS/SEYDA/MEINHARD 2021).

Im Projekt „Bedingungen gelingender Lernortkooperationen im Kontext der Digitalisierung in der beruflichen Bildung (LoK-DiBB)“, das das Forschungsinstitut Betriebliche Bildung (f-bb) zusammen mit der Hochschule der Bundesagentur für Arbeit (HdBA) und dem Karlsruher Institut für Technologie (KIT) umgesetzt hat, konnten verschiedene Faktoren, die den Erfolg einer Lernortkooperation begünstigen, identifiziert und in Form eines Transfermodells nutzbar gemacht werden (vgl. SCHLEY u. a. 2022). Mittels des LoK-DiBB-Online-Selbstchecks kann die Qualität des eigenen Lernortkooperationsnetzwerks ermittelt und – idealerweise gemeinsam mit Netzwerkpartnern – reflektiert werden. Die Ergebnisse des Selbstchecks liefern Anhaltspunkte und Empfehlungen für mögliche Entwicklungsbedarfe, die zum Gelingen regionaler Lernortkooperationen und zu einer Intensivierung der Kooperation beitragen können.

Projekttitel
Bedingungen gelingender Lernortkooperationen im Kontext der Digitalisierung in der beruflichen Bildung (LoK-DiBB)

Konsortium
Forschungsinstitut Betriebliche Bildung (f-bb); Hochschule der Bundesagentur für Arbeit (HdBA); Karlsruher Institut für Technologie (KIT)

Projektziel
Das Projekt zielt darauf, die Gelingensbedingungen von Lernortkooperationen in der dualen Berufsausbildung speziell im Kontext der Digitalisierung zu identifizieren, zu bilanzieren und für die Entwicklung eines Modells für den Transfer der Erkenntnisse in die Bildungspraxis nutzbar zu machen. Zentrale Untersuchungsthese des Vorhabens ist dabei, dass die Kooperation zwischen den unterschiedlichen Akteuren der drei Lernorte Betrieb, Berufsschule, überbetriebliche Berufsbildungsstätte durch den Einsatz digitaler Medien in curricular-inhaltlicher sowie organisatorisch-kommunikativer Hinsicht an Qualität gewinnt.

Förderung
Gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) in der Förderlinie „Digitalisierung im Bildungsbereich – Grundsatzfragen und Gelingensbedingungen“ (Digitalisierung I)

Laufzeit
01.12.2019 bis 31.03.2022

Weitere Informationen
auf der Website des Metavorhabens und im Podcastbeitrag „Bildung auf die Ohren“ des deutschen Bildungsserver.

Zentral für das Gelingen einer konstruktiven Lernortkooperation sind, neben den notwendigen Ressourcen und organisatorischen Rahmenbedingungen, insbesondere das Engagement der beteiligten Akteure, deren Kompetenzen und das sie umschließende Beziehungsgeflecht.

Das Berufsbildungspersonal bzw. der/die einzelne Ausbilder/-in kann die Vielfalt an Herausforderungen, unter anderem die Innovationsgeschwindigkeit und den Wandel von Arbeit betreffend, nicht mehr allein bewältigen, so dass „inner- oder zwischenbetriebliche, lernortübergreifende oder regionale Netzwerke“ (vgl. DIETTRICH 2009, S. 16) notwendig und weiterzuentwickeln sind. Diese unterstützen die „Professionalisierung des Bildungspersonals durch die Möglichkeit kooperativer und arbeitsteiliger Zusammenarbeit“ (ebd.).

Die gemeinsame Auseinandersetzung mit neuen Lern- und Arbeitsformen sowie digitalen Technologien und Kompetenzanforderungen der Auszubildenden im Rahmen der aktiven lernortkooperativen Gestaltung der Ausbildung kann auch als „Lernort“ für die individuelle Qualifizierung der Bildungsakteure verstanden werden. Ausgewählte Gelegenheiten dazu sollen im Folgenden skizziert werden.

Lernortkooperation als „Lernort“ für das Bildungspersonal?! – von-, über- und miteinander lernen

Die Qualität der beruflichen Aus- und Weiterbildung wird mitunter beeinflusst von Synergien, die sich durch die unterschiedlichen Qualifikationen und Professionalisierungsgrade der beteiligten Akteure sowie durch Besonderheiten der jeweiligen Lernorte auszeichnen. Gemeinsame, didaktisch initiierte Bildungsbemühungen im Zuge der Lernortkooperation können kompensatorische Effekte in Bezug auf Kompetenzen des Bildungspersonals sowie auf vorhandene Ressourcen aufweisen. (vgl. DIETTRICH/FASSHAUER/KOHL 2021; FASSHAUER u. a. 2020). Im Kontext der Ausbildung ergänzen sich bspw. berufsfachliche und akademische Qualifikationen von Lehrkräften, Ausbilder/-innen in Betrieben und ÜBS und ausbildenden Fachkräften. Gleichzeitig müssen die teilweise nur grundständig vorhandenen oder gar gänzlich fehlenden (berufs-)pädagogischen Qualifikationen, wie etwa häufig bei ausbildenden Fachkräften beobachtbar, ausgeglichen werden.

In der kooperativen und kollaborativen Gestaltung der Ausbildung können alle Beteiligten voneinander und übereinander sowie miteinander lernen:

  • Voneinander lernen
    Lehrkräfte und Ausbilder/-innen sind Expert/-innen in ihrem jeweiligen Lernort Schule, Betrieb oder ÜBS und weisen unterschiedliche Qualifikationen auf. Der jeweilige Ausbildungsalltag unterscheidet sich in den jeweiligen Bildungssettings, so dass unterschiedliche Kompetenzen für Unterricht und Unterweisungsprozesse gefordert sind. Bildungsprozesse in Unternehmen sind stärker betriebsspezifisch ausgerichtet, wohingegen Berufsschulen und ÜBS vorwiegend berufsspezifisch ausbilden. Von dieser Vielfalt können die Akteure profitieren, indem Ausbilder/-innen und Lehrkräfte voneinander lernen. Lerngegenstand können dabei betriebsspezifische Beispiele für die schulische und überbetriebliche Ausbildung sein oder aber unterschiedliche methodisch-didaktische Möglichkeiten der Ausbildungsgestaltung, bspw. mit digitalen Medien.
  • Übereinander lernen
    Das Engagement im Kontext der Lernortkooperation ermöglicht es auch, die unterschiedlichen Sichtweisen und (außer-)betrieblichen sowie schulischen Realitäten besser zu verstehen. Die Herausforderungen und Möglichkeiten einer Lehrkraft oder einer bzw. eines Ausbildenden mit einer Klasse sind häufig andere als jene, die ein/-e betriebliche/-r Ausbilder/-in mit einzelnen Auszubildenden in Kleingruppen hat. Gleichsam ist eine arbeitsgebundene oder arbeitsverbundene Ausbildung im betrieblichen Arbeitsprozess anderen Restriktionen unterworfen als die Ausbildung im „Lern- und Experimentierraum“ Schule oder ÜBS. Das Verständnis für die individuellen Herausforderungen und Möglichkeiten schafft gegenseitiges Vertrauen, das einer der zentralen Erfolgsfaktoren für elaborierte Lernortkooperationen ist. Zudem lässt sich mittels differenzierten Wissens über die jeweiligen Lernorte in einem Kooperationsnetzwerk der Wissens- und Lerntransfer besser unterstützen.
  • Miteinander lernen
    Neues lässt sich gemeinsam oft leichter lernen. Die Anwendung und Einbindung neuer Technologien in Bildungs- und Arbeitsprozesse stellt für alle Berufsgruppen gleichermaßen eine Herausforderung dar. Einerseits müssen Kompetenzen und Sicherheit im Umgang und in der Gestaltung mit neuen Technologien aufgebaut werden. Andererseits braucht es eine Weiterentwicklung der medienpädagogischen Kompetenzen, um die Entwicklung digitaler Kompetenzen bei Auszubildenden initiieren und begleiten zu können. Die bereits beschriebenen Unterschiede in Qualifikationen und Erfahrungen im Bildungsalltag bereichern dabei gemeinsame Lernerfahrungen. Diese fördern wiederum die Entwicklung gemeinsamer Vorstellungen von Ausbildung und die Zielbildung in Kooperationsnetzwerken.

Nachfolgend sind Gestaltungselemente der Lernortkooperation skizziert, die das Lernen von-, über- und miteinander ermöglichen und forcieren können.

Gestaltungselemente der Lernortkooperation mit Bildungscharakter

Im Rahmen der Lernortkooperation ergeben sich unterschiedliche Gelegenheiten, die medienpädagogischen und digitalen Kompetenzen des Bildungspersonals lernortübergreifend, handlungsorientiert und praxisnah zu entwickeln. In Anlehnung an Elsholz, Jäkel, Megerle und Vollmer (2006) können Netzwerke als arbeitsbezogene Lernform verstanden werden. Sie bieten geeignete Umgebungen für die individuelle Kompetenzentwicklung des Bildungspersonals und für organisationales Lernen, da Wissen und Know-how in das Netzwerk eingebracht, generalisiert, angewendet und reflektiert werden (ebd.). Als besonders gewinnbringend haben sich vier zentrale Gestaltungselemente gezeigt, die nachfolgend kurz skizziert werden (vgl. PÄTZOLD/DREES/THIELE 1993; ELSHOLZ u. a. 2006; SCHLEY/LORENZ/PFEIFFER 2022).

Ein zentrales Gestaltungselement lernortkooperativer Ausbildung sind gemeinsame Ausbildungs- bzw. Lernortkooperationsprojekte, bei denen besonders gut mit- und voneinander gelernt werden kann (vgl. DAUSER u. a. 2022, PÄTZOLD/DREES/THIELE 1993). In der Planung, Durchführung und Nachbereitung derartiger Projekte ergeben sich vielfältige Entwicklungsmöglichkeiten, da die Besonderheiten der Lernorte, die individuellen Kompetenzen der Beteiligten und die Inhaltsschwerpunkte sondiert werden müssen. Hierdurch werden auch die unterschiedlichen Sichtweisen und Einstellungen der Beteiligten sichtbar, sie können anschließend abgeglichen und reflektiert werden. Die Gestaltung derartiger Projekte verlangt ein hohes Maß an Koordination und eine tiefgehende Verständigung über didaktisch-methodische Fragestellungen (vgl. PÄTZOLD/DREES/THIELE 1993). Ferner findet ein Austausch über verfügbare Ressourcen und deren zielführenden Einsatz statt, die die jeweiligen Lernorte in das Projekt einbringen können. So finden auch solche neue Technologien und erforderliche Kompetenzen für deren Nutzung Eingang in die Ausbildung, die ggf. nur an einem Lernort vorhanden sind. In der kooperativen Auswahl und (kollaborativen) Entwicklung passender Lernmaterialien liegen wiederum Potenziale, sich weiterzuentwickeln. Die Bildungsmöglichkeiten über die Planung, Durchführung und Gestaltung von Ausbildungsprojekten ergeben sich durch das gemeinsame Tun (learning by doing), ergänzt um eine (gemeinsame) Reflexion (reflective practice). Durch kollaborativ gestaltete Ausbildungsprojekte ergeben sich häufig auch Mehrwerte und Innovationen in der Gestaltung von Ausbildung, die von einem Lernort allein nicht hätten erreicht werden können.

Praxisbeispiele

Im Projekt „digiTS − Lernortkooperation und digitaler Wandel im Tischlerhandwerk“ sammelte auch das Bildungspersonal neue didaktische Erfahrungen in einem lernortübergreifenden Ausbildungsprojekt.
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Im Netzwerk Wissen - Wirtschaft 4.0 der Berufsschulen Kronach-Lichtenfels (vgl. SCHIRMER/LICHY/MEISINGER 2021; DAUSER u. a. 2022) konnten beteiligte Bildungsakteure ihre Kompetenzen über berufeübergreifende Ausbildung entlang der Wertschöpfungskette weiterentwickeln.
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Nicht nur im Zuge der täglichen Ausbildungsarbeit kann gemeinsam gelernt werden. Auch an formalen Bildungsveranstaltungen können Lehrkräfte und Ausbilder/-innen gemeinsam teilnehmen (vgl. SCHLEY/LORENZ/PFEIFFER 2022; PÄTZOLD/DREES/THIELE 1993). In der Regel richten sich Fort- und Weiterbildungen exklusiv an Lehrkräfte oder Ausbilder/-innen – durch gemischte Gruppen lassen sich aber die vielfältigen Sichtweisen des beruflichen Bildungspersonals in die Qualifikation einbinden. Gemischte Gruppen können so von den Unterschieden profitieren (miteinander lernen) und gleichzeitig Verständnis für die Ausbildungspraxis am anderen Lernort entwickeln (übereinander lernen). Beispiele aus der jeweiligen Ausbildungspraxis illustrieren die Vielfalt beruflicher Ausbildungsprozesse und vermitteln oder vertiefen die Inhalte nachhaltig (voneinander lernen). Gemeinsame Bildungsmöglichkeiten unterstützen den Aufbau von persönlichen Kontakten, Vertrauen und gegenseitiger Wertschätzung und fördern den Informationsaustausch, was ebenfalls zentral beim Ausbau von Lernortkooperationen ist (ebd.). Inklusive Fort- und Weiterbildungen haben das Potenzial, eine ggf. vorhandene gegenseitige Abschottung der Lernorte zu überwinden (vgl. PÄTZOLD/DREES/THIELE 1993). Ebenfalls wäre denkbar, dass Weiterbildungen durch das Bildungspersonal der jeweils anderen Lernorte durchgeführt werden. Lehrkräfte könnten von Weiterbildungsangeboten durch Ausbilder/-innen ebenso profitieren wie Ausbilder/-innen von Weiterbildungen durch Lehrkräfte. Hierbei kommt das auf Jean-Pol Martin zurückgehende Konzept „Lernen durch Lehren“ zum Tragen (zum Beispiel MARTIN 2018).

Praxisbeispiel

Im Projekt „Digitalisierung in der Ausbildung“, das die IHK Ulm zusammen mit dem f-bb durchgeführt hat (IHK Ulm 2020), wurden gemeinsame Qualifizierungen initiiert, die dem Aufbau medienpädagogischer Kompetenzen von Lehrkräften und Ausbilder/-innen dienten und die gemeinsame Gestaltung von Ausbildungsmaterialien unterstützten.
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Andere Lernorte und die Perspektive beteiligter Bildungsakteure kennenzulernen ist eine weitere Möglichkeit, seine Kompetenzen im Rahmen der Lernortkooperation auszubauen. Mittels Lernortbesuchen werden die Besonderheiten der unterschiedlichen Lernorte beruflicher Bildung sichtbarer. Erfahrungen über die Gegebenheiten in den jeweiligen Berufsschulen und ÜBS sind ebenso gewinnbringend wie die betrieblichen Realitäten der Ausbildungsbetriebe (übereinander lernen). So lassen sich einerseits Kenntnisse über den Einsatz von Technologien und (agilen) Arbeitsprozessen in den Organisationen sammeln sowie der Fundus an Praxisbeispielen ausbauen. Derartiges Wissen stärkt die Unterstützung des Wissens- und Lerntransfers durch passende Anwendungsbeispiele für Ausbildungsprozesse und die Möglichkeit des Kontextbezugs unterschiedlicher Arbeitsrealitäten. Im Zuge der gegenseitigen Lernortbesuche hat sich bewährt, mindestens einmal die Rollen zu tauschen: Ausbilder/-innen einer ÜBS oder Lehrkräfte beruflicher Schule können Erfahrungen in einem Ausbildungsprozess mit einzelnen oder einer kleinen Gruppe von Auszubildenden im Betrieb (betriebliche Unterweisung) sammeln. Betriebliche Ausbilder/-innen können wiederum die Erfahrung der Ausbildung mit großen Gruppen in einer ÜBS oder Berufsschule machen. Diese Form der Perspektivübernahme stärkt einerseits den pädagogischen Kompetenzaufbau, da unterschiedliche Bildungssituationen unterschiedliche An- und Herausforderungen mit sich bringen; andererseits stärkt sie die gegenseitige Wertschätzung und das Vertrauen in den jeweils zu verantwortenden Teil der dualen Ausbildung.

Praxisbeispiel Kooperationsnetzwerk

Das Kooperationsnetzwerk der Berufsschule 2 Nürnberg (DAUSER u. a. 2022) hat mit einem derartigen Austausch experimentiert und gute Erfahrungen gemacht. Gegenseitige Wertschätzung und das Vertrauen konnten durch die Perspektivübernahme im Lernortkooperationsnetzwerk gestärkt werden.
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Lehrkräfte und Ausbilder/-innen können im Kontext der Lernortkooperation auch sogenannte Communities of Practice (LAVE/WENGER 1991; WENGER 1998) oder Working Out Loud Circle (STEPPER 2015) gründen. Eine CoP (dt.: Gemeinschaft aus Praktiker/-innen) ist eine Gemeinschaft von Personen (community), die ein gemeinsames thematisches Interesse (domain) teilen, eine vergleichbare Herausforderung lösen wollen und/oder einfach durch den Austausch einer geteilten Praxis (practice) voneinander lernen wollen. Das WOL Circle-Konzept von Stepper (2015) ist vergleichbar, fokussiert aber eher kleinere Gruppen und einen begrenzten Zeitraum von 12 Wochen. Eine CoP zeichnet sich durch ein informelles oder non-formales Setting aus und ist prinzipiell zeitlich nicht begrenzt. Im Fokus steht bei beiden Konzepten das Teilen von Wissen zum Nutzen für andere. Im Zuge der Veränderungen im Kontext der digitalen Transformation gibt es zahlreiche Themen und Herausforderungen, die lernortübergreifend gemeinsam angegangen werden können. Zur Organisation und Gestaltung von CoP und WOL Circle können digitale Medien und Dienste wie soziale Netzwerke, (Open-Source-)Lern-Management-Systeme oder Kollaborations- und Kommunikationstools genutzt werden. Sie ermöglichen die Interaktion frei von Zeit und Raum. CoP und WOL Circle nehmen im Kontext der digitalen Transformation an Bedeutung zu, da sie zielorientierte Vernetzung, Kommunikation und Kooperation fördern. Das begünstigt wiederum innovative Entwicklungen und ein sogenanntes Growth Mindset (DWECK 2008). CoP und WOL Circle sind nicht zwingend öffentlich, können aber in der offenen Wissensteilung bspw. über soziale Netzwerke auch in ihrer Arbeit profitieren.

Praxisbeispiel CoP

Die Community of Practice „Betriebliche Bildung“ von Siepmann Media ist eine Netzwerkinitiative von Unternehmen, die sich dem Thema betriebliche Digitalisierung und digitale Kompetenzentwicklung widmen.
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Praxisbeispiel WOL

„Ohne Zusammenarbeit geht gar nichts!“ Bosch setzt seit 2015 die Methode Working Out Loud (WOL) ein.
Zum Praxisbeispiel WOL

Schlussbetrachtung

Kooperation und Kollaboration werden im Zuge digitaler Transformationsprozesse bedeutender. Digitalisierung fordert neue, übergreifende Formen der Zusammenarbeit, die neue Kompetenzen fördern und dazu beitragen, dass Ressourcen bedarfsorientiert gemeinsam genutzt werden können. Didaktisch begründeten Lernortkooperationen wird im Rahmen von Ausbildungsprozessen diesbezüglich großes Potenzial zugeschrieben. Das Projekt „LoK-DiBB“ konnte zentrale Bedingungen auf curricular-inhaltlicher und organisatorisch-kommunikativer Ebene identifizieren, die zum Gelingen elaborierter Lernortkooperation fernab der reinen Koordination beitragen. Aktivitäten im Kontext einer didaktisch elaborierter LOK können daneben auch Potenziale zur Weiterqualifikation des Bildungspersonal der Lernorte beruflicher Bildung heben. Im Rahmen kollaborativ gestalteter Ausbildungsprojekte und gemeinsam besuchter Weiterbildungen kann mit-, voneinander und übereinander gelernt werden, wie im Rahmen von Lernortbegehungen mit Rollentausch sowie in und durch Communities of Practice und Working Out Loud Circles. Die Voraussetzung dafür ist, Lernortkooperationen aktiv zu gestalten und als Gelegenheiten für die Weiterentwicklung der pädagogischen Professionalität zu nutzen.

Literaturverzeichnis

DAUSER, Dominique; FISCHER, Andreas; LORENZ, Sabrina; SCHLEY, Thomas: Digital und regional vernetzt – Ansätze zur Optimierung der Lernortkooperationen in der beruflichen Bildung. Ein Leitfaden zum Online-Selbstcheck. Reihe: f-bb-online 02/2021. Ohne Ort 2021

DAUSER, Dominique. u.a.: Fallbeispiele gelingender Lernortkooperation: Lernortübergreifende Projekte in Netzwerken in Bayern. In: KRETSCHMER, Susanne; PFEIFFER, Iris (Hrsg.): Lernortkooperation in der Ausbildung digital denken? Befunde und Impulse zur Lernortkooperation im Zeitalter digitaler Bildung. Reihe: Wirtschaft und Bildung 77. Bielefeld 2022 (erscheint 08/2022)

DWECK, Carol S.: Mindset: The new psychology of success. How we can learn to fulfill our potential. Chicago 2008

ELSHOLZ, Uwe; JÄKEL, Lutz; MEGERLE, Andreas; VOLLMER, Lutz-Michael: Verstetigung von Netzwerken. Arbeitsgemeinschaft Betriebliche Weiterbildungsforschung e.V. (Hrsg.). Berlin 2006. URL: https://www.abwf.de/content/main/publik/handreichungen/lipa/012_88hand-12.pdf (Stand: 10.05.2022)

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LAVE, Jean; WENGER, Etienne: Situated Learning: Legitimate Peripheral Participation. Cambridge 1991

MARTIN, Jean-Pol: Lernen durch Lehren: Konzeptualisierung als Glücksquelle. In: BUROW, Olaf-Axel; BORNEMANN, Stefan (Hrsg.): Das große Handbuch Unterricht & Erziehung in der Schule. Köln 2018, S. 345–360 URL: https://jeanpol.files.wordpress.com/2018/09/handbuch_ue_martin_jean-pol.pdf (Stand: 22.06.2022)

PÄTZOLD, Günter; DREES, Gerhard; THIELE, Heino: Lernortkooperation − Begründungen, Einstellungen, Perspektiven. In: Berufsbildung in Wissenschaft und Praxis 22 (1993) 2, S. 24-32

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SCHIRMER, Rudolf; LICHY, Hans-Jürgen; MEISINGER, Rainer: Lernortkooperation im Wissensnetzwerk Kronach-Lichtenfels. In: WILBERS, Karl; WINDELBAND, Lars (Hrsg.): Lernfabriken an beruflichen Schulen. Gewerblich-technische und kaufmännische Perspektiven. Berlin 2021, S. 241-265. URL: https://www.pedocs.de/volltexte/2021/21245/pdf/Wilbers_Windelband_2021_Lernfabriken_an_beruflichen.pdf (Stand 22.06.2022)

SCHLEY, Thomas; u.a.: Bedingungen gelingender Lernortkooperation im Kontext der Digitalisierung in der beruflichen Bildung – Das Projekt LoK-DiBB. In: KRETSCHMER, Susanne; PFEIFFER, Iris (Hrsg.): Lernortkooperation in der Ausbildung digital denken? Befunde und Impulse zur Lernortkooperation im Zeitalter digitaler Bildung. Reihe: Wirtschaft und Bildung 77. Bielefeld 2022 (erscheint 08/2022)

SCHLEY, Thomas; LORENZ, S.; PFEIFFER, Iris: Potenziale, Grenzen und weiterer Forschungsbedarf zur Optimierung der Lernortkooperation im Kontext der Digitalisierung. In: KRETSCHMER, Susanne; PFEIFFER, Iris (Hrsg.): Lernortkooperation in der Ausbildung digital denken? Befunde und Impulse zur Lernortkooperation im Zeitalter digitaler Bildung. Reihe: Wirtschaft und Bildung 77. Bielefeld 2022 (erscheint 08/2022)

SPRENGER, Reinhard K.: Radikal digital. Weil der Mensch den Unterschied macht – 111 Führungsrezepte. München 2019

STEPPER, John: Working Out Loud. For a better Career and life. New York 2015

WENGER, Etienne: Communities of Practice: Learning, Meaning, and Identity. Cambridge 1998