BP:

Schlagworte A-Z. Bitte wählen Sie einen Anfangsbuchstaben:

 

Voraussetzungen für gute Qualifizierung

Ergebnisse aus den Fachgruppentreffen des Sonderprogramms ÜBS-Digitalisierung

Sara Müller

Die Digitalisierung stellt neue Anforderungen an Ausbildende in ÜBS. Welche Kompetenzen benötigen sie zukünftig und welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, um sie gut qualifizieren zu können? Darüber diskutierten Expert/-innen in den Fachgruppentreffen des Sonderprogramms ÜBS-Digitalisierung.

Inhalte des Beitrags

Überbetrieblichen Berufsbildungsstätten (ÜBS) benötigen modern qualifiziertes Ausbildungspersonal, um zukünftige Fachkräfte qualitativ hochwertig ausbilden zu können. Die Qualität der überbetrieblichen Ausbildung ist dabei insbesondere für kleine und mittlere Betriebe von hoher Bedeutung: Oft können diese nicht alle Ausbildungsinhalte abdecken oder es sind in ihren Betriebsstätten nur wenige digitale Technologien vorhanden. ÜBS unterstützen dann mit modernen Ausbildungsangeboten.

Modern qualifiziertes Ausbildungspersonal erhöht damit die Attraktivität der überbetrieblichen Ausbildungsangebote für die Betriebe und ihre Auszubildenden (vgl. KURZ/KÖHLMANN-ECKEL/GÖRGEN-ENGELS 2020, S. 256-257). Aber auch alle anderen Bildungsangebote der ÜBS profitieren davon: So ist für viele Aus-, Fort- und Weiterzubildende die Kompetenz des Ausbildungspersonals ein bedeutender Qualitätsfaktor der überbetrieblichen (Aus-)Bildung (vgl. BAUER u. a. 2019).

Über das Weiterbildungsverhalten von ÜBS-Ausbildungspersonal sind allerdings kaum Daten bzw. gesicherte Informationen vorhanden. Studien und Erhebungen thematisieren vielmals betriebliches Ausbildungspersonal oder konkretisieren nicht genau, auf welches Ausbildungspersonal sie sich beziehen. So geht z. B. der Abschlussbericht der Enquete-Kommission „Berufliche Bildung in der digitalen Arbeitswelt“ auf die Qualifizierung des Ausbildungspersonals ein und beinhaltet Handlungsempfehlungen für deren Aus- und Weiterbildung. Es wird jedoch nur sehr vereinzelt Bezug auf das überbetriebliche Ausbildungspersonal genommen und ob diese Gruppe mitgedacht wird, geht aus den Empfehlungen nicht hervor (vgl. DEUTSCHER BUNDESTAG (Hrsg.) 2021, S. 208).

Praxis und Wissenschaft in Austausch bringen

Vor diesem Hintergrund hat das Projektteam des Sonderprogramms ÜBS-Digitalisierung Ende 2021 Expert/-innen aus Wissenschaft und Praxis zum Fachgruppentreffen „Qualifizierung des ÜBS-Ausbildungspersonals in der digitalen (Arbeits-)welt“ eingeladen. Die Teilnehmenden sollten zunächst explorativ Erfahrungen, Ansätze und Ideen sammeln und einordnen. Ziel war es dabei, den wissenschaftlichen Diskurs mit Praxisbeispielen zu verknüpfen, um einerseits wissenschaftliche Erkenntnisse für die Anwendungspraxis und andererseits Praxiserfahrungen für die Wissenschaft nutzbar zu machen. Die Fachgruppe bestand aus knapp über 20 Expertinnen und Experten aus ausgewählten Projekten des Sonderprogramms ÜBS-Digitalisierung, der Wissenschaft, der Berufsbildungspraxis, dem Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und dem Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB). Auch Schnittstellen zu BMBF-geförderten Programmen, wie dem Netzwerk Q 4.0, wurden hergestellt.

Das Thema gestaltete sich dabei derartig komplex und facettenreich, dass sich daraus unterschiedliche konkrete Fragestellungen ableiten ließen. Diesen widmeten sich die Expert/-innen der Fachgruppe in zwei digitalen Treffen im November und Dezember 2021.

„Digitalisierungsbezogene Anforderungen und Kompetenzen“ – Ergebnisse des 1. Treffens

Das 1. Treffen fokussierte sich auf die digitalisierungsbezogenen Anforderungen an das ÜBS-Ausbildungspersonal. Auf Basis der Impulsvorträge von Prof. Dr. Andreas Diettrich (Wissenschaft) und Ralf Marohn (Praxis) tauschten sich die Expert/-innen über die Auswirkungen von Digitalisierung auf das ÜBS-Ausbildungspersonal, neue Arbeitsformen und deren Auswirkungen aus und diskutierten über digitalisierungsbezogene Anforderungen und Kompetenzen.

Als digitalisierungsbezogene Anforderungen und Kompetenzen wurde neben mediendidaktischem Know-how beispielsweise die Fähigkeit zur Reflexion identifiziert: ÜBS-Ausbildungspersonal muss erkennen können, wo der Einsatz digitaler Lernmittel unterstützt (und wo nicht). Auch die Bereitschaft und Motivation zur Nutzung der digitalen Technologien erachteten die Teilnehmenden als zentral. Dies erfordert von den Ausbildenden in der Regel Mut zum Erproben, Offenheit und Agilität: Hersteller erklären zum Teil nur die Funktion der Technologien, die didaktisch-methodischen Einsatzkonzepte erarbeitet das ÜBS-Ausbildungspersonal meist selbst. Eine weitere Kompetenz besteht den Expertinnen und Experten zufolge darin, Praxisnähe zu schaffen bzw. den Bezug zur betrieblichen Praxis herstellen zu können. Auch ist ein hohes Maß an Ausdauer erforderlich, sich kontinuierlich mit den neuen Technologien zu beschäftigen.

Ausgehend von der qualifikatorischen Heterogenität von ÜBS-Ausbildungspersonal diskutierten die Expertinnen und Experten zudem, ob das Profil der/des Aus- und Weiterbildungspädagog/-in mit den erforderlichen Qualifikationen für ÜBS-Ausbildungspersonal übereinstimmt. Den Teilnehmenden zufolge deckt das Profil nicht vollständig die Kompetenzen ab, die die Arbeit in ÜBS erfordert. Es wird zudem für nicht spezifisch genug gehalten, da es zu übergreifend und zu stark organisatorisch geprägt sei. Mehrfach wurde die Entwicklung eines Kompetenzprofils für ÜBS-Ausbildungspersonals ins Gespräch gebracht, das neben digitalisierungsbezogenen auch berufspädagogische Anforderungen berücksichtigt. Sowohl die Einführung von Mindestqualifikationen und Standards für (neu einzustellendes) ÜBS-Ausbildungspersonal als auch die Entwicklung passender Weiter- und Fortbildungsangebote für Bestandspersonal wurden debattiert – vor allem vor dem Hintergrund schon jetzt existierender Rekrutierungsprobleme von neuem Personal. Diese Fragestellungen mündeten zuletzt in Überlegungen darüber ein, welchen Auftrag und Anspruch ÜBS haben, welche Anforderungen sich dadurch an das Personal ergeben und wie sich ÜBS gegenwärtig und zukünftig als attraktive Arbeitgeber präsentieren können.

„Digitale Lehr-/Lernszenarien gestalten – Implikationen für Qualifizierungsangebote an das ÜBS-Ausbildungspersonal“ – Ergebnisse des 2. Treffens

Nachdem beim 1. Treffen ein breiter Austausch über Anforderungen und erforderliche Kompetenzen stattgefunden hatte, fokussierte sich das 2. Treffen auf Qualifizierungsangebote für ÜBS-Ausbildungspersonal. Schwerpunktmäßig ging es um die Fragen, welche organisationalen Rahmenbedingungen einerseits (vgl. Abb. 1) und welche individuellen Faktoren andererseits gegeben sein müssen, um ÜBS-Ausbildungspersonal gut qualifizieren zu können.

Unter der Überschrift „Organisationale Rahmenbedingungen für gute Qualifizierung“ befinden sich viele grüne Kästchen, in denen verschiedene Texte stehen, z. B. Entlastung im Arbeitsalltag, Lern- und Experimentierräume oder Begleitung durch IT und Didaktik
Auswahl der diskutierten Rahmenbedingungen, eigene Darstellung.

Als wichtige Rahmenbedingung identifizierten die Expertinnen und Experten der Fachgruppe übereinstimmend eine Unternehmenskultur im Sinne einer Lernkultur: Weiterbildung muss in der Firmenphilosophie verankert und Lernen positiv besetzt sein. Dazu gehören auch ein strategisches Personalentwicklungskonzept sowie eine weiterbildungsaffine Leitung, die eine lernförderliche Kultur unterstützt, fördert und vorlebt. Dabei kann die Geschäftsführung die Mitarbeitenden vor allem dahingehend unterstützen, dass sie ihnen die notwendigen Ressourcen zur Verfügung stellt. Lernzeiten- und kontingente zu schaffen, beschreibt dabei die notwendigste Ressource und größte Herausforderung bei der Qualifizierung von ÜBS-Ausbildungspersonal. Es müssen passende Zeitfenster während der Arbeitszeit eingeplant und die Entlastung im Arbeitsalltag sichergestellt werden. Aber auch die Bereitstellung von Lernangeboten inklusive der erforderlichen Infrastruktur – d. h. ein geeigneter Arbeitsplatz mit entsprechender Ausstattung sowie eine professionelle Begleitung durch IT und Didaktik – stellt laut Teilnehmenden der Fachgruppe eine zentrale Voraussetzung für eine gute Qualifizierung dar.

Wichtig für die Nachhaltigkeit von Qualifizierungen ist zudem deren Begleitung durch internes und/oder externes Personal, das als Ansprechperson oder Coach dient, und deren Einbettung in die Strukturen der ÜBS. Entwicklungsprozesse sollen nicht nur angestoßen, sondern auch nachgehalten werden, z. B. über das Initiieren von Projekten und Arbeitsaufträgen oder durch die Schaffung von Lern- und Experimentierräumen für die Anwendung und kontinuierliche Entwicklung der Kompetenzen. Die ÜBA soll sich auch als Lernfeld für das ÜBS-Ausbildungspersonal etablieren.

Motivation ist der entscheidende Faktor

Übereinstimmung seitens der Expertinnen und Experten der Fachgruppe bestand darin, dass die zuvor erwähnten organisationalen Rahmenbedingungen entscheidend für die Motivation von ÜBS-Ausbildungspersonal sind. Intrinsische Motivation wird wiederum als wichtiger Faktor gesehen, um die Zielgruppe gut qualifizieren zu können. ÜBS-Ausbildungspersonal muss motiviert sein, sich weiterzubilden und auch die Notwendigkeit der eigenen Qualifizierung selbst erkennen. Das bedeutet, dass auch das ÜBS-Ausbildungspersonal selbst dafür verantwortlich ist, die eigenen Weiterbildungsbedarfe zu äußern. In den an der Fachgruppe beteiligten ÜBS werden die Weiterbildungsbedarfe der Ausbilderinnen und Ausbilder bspw. mittels eines externen Dienstleisters, per Abfrage durch Beauftragte des Qualitätsmanagements oder bei regelmäßigen Mitarbeitergesprächen ermittelt.

Mit der Motivation geht einher, dass für das ÜBS-Ausbildungspersonal Mehrwert und Nutzen der Qualifizierung erkennbar sein müssen: Das Angebot sollte genau auf die Bedarfe der Zielgruppe ausgerichtet und so konzipiert sein, dass ein konkreter Praxisbezug hergestellt wird. Der Fokus sollte auf konkreten Handlungsbedarfen und praxisorientierten Anwendungsfällen statt auf generellem Wissen und Möglichkeiten liegen. Positiv wirkt sich laut der Expert/-innen zudem aus, verschiedene Angebote vorzuhalten, damit individuelle Lernbedürfnisse besser gefördert werden können. Alles in allem müssen Sinnhaftigkeit und Vorteile der Qualifizierung klar herausgestellt werden, um die Zielgruppe zu motivieren.

Im weiteren Verlauf knüpfte die Diskussion an das 1. Treffen an: Es wurde nochmals betont, dass die Eigenschaften Neugierde und Wissensdurst wichtige Faktoren darstellen, die seitens des ÜBS-Ausbildungspersonals Voraussetzung für eine gute Qualifizierung sind. Damit ist die Neugier auf Neues, Lust am Ausprobieren und Experimentieren sowie die persönliche Bereitschaft, immer wieder Neues aufzunehmen, gemeint. Zudem wurde ein „digitales Mindset“ im Sinne einer kritischen Offenheit gegenüber digitalen Technologien und eines Gestaltungswillens hervorgehoben, immer verknüpft mit technischer Affinität und dem Willen, methodisch-didaktisch sowie technisch up-to-date zu sein.

Als Ergebnis der beiden Treffen der Fachgruppe ist dieses Dossier entstanden, um Praktikerinnen und Praktikern Impulse und Anregungen zur Bearbeitung des Themas zu geben.

Literaturverzeichnis

BAUER, Philipp; PFEIFFER, Iris; ROTHAUG, Eva; WITTIG, Wolfgang: Evaluation der Förderung überbetrieblicher Berufsbildungsstätten und ihrer Weiterentwicklung zu Kompetenzzentren. Endbericht. Nürnberg 2019 (unveröffentlicht)

DEUTSCHER BUNDESTAG (Hrsg.): Bericht der Enquete-Kommission Berufliche Bildung in der digitalen Arbeitswelt. 22.06.2021. URL: https://dserver.bundestag.de/btd/19/309/1930950.pdf (Stand 10.06.2022)

KURZ, Alexandra; KÖHLMANN-ECKEL, Christiane; GÖRGEN-ENGELS, Anne: „Förderung von überbetrieblichen Berufsbildungsstätten (ÜBS) und Kompetenzzentren“ In: BUNDESINSTITUT FÜR BERUFSBILDUNG (Hrsg.): Datenreport zum Berufsbildungsbericht 2020. Informationen und Analysen zur Entwicklung der beruflichen Bildung. Bonn 2020, S. 256-257